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Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, I. Semester. II. Band.

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auf den wir in Süddeutschland gestellt sind. Den Parteigenossen wäre es
ein bequemer aber demoralisirender Rath. Ein Freibrief für die Enthaltung
von jeder ernsten Thätigkeit, würde er nicht einmal seinen Zweck erreichen.
Denn die Partei würde sich gar nicht von ihren Leitern zu dieser Abdankung
bestimmen lassen; man würde also genau denselben Fehler begehen wie die
Volkspartei, als sie anfänglich die Enthaltung von den Parlamentswahlen
beschloß, um nachher von ihren eigenen Anhängern dementirt zu werden. Es
ist denn auch auf einer Parteiversammlung in Stuttgart einstimmig beschlossen
worden, auf Grund des Parteiprogramms abermals den Kampf aufzu¬
nehmen.

Von einem Bündniß mit der Regierung kann dabei so wenig die Rede
sein als von Bündnissen nach der anderen Seite. Es ist ein Wort im Um¬
lauf, das der Frhr. von Varnbüler während des Zollparlaments nach Stutt¬
gart geschrieben haben soll. Es sei schlechterdings unmöglich -- so ist der
Sinn -- daß das Verhältniß Würtembergs zu Preußen sich noch länger auf
demselben Fuß erhalte; entweder müsse unser Land weitere Schritte einer
Annäherung thun oder gänzlich mit Preußen brechen. Hätte dies Herr
v. Varnbüler wirklich geschrieben, so wäre es bezeichnend für die Unbefangen¬
heit, mit welcher ein würtembergischer Minister auch heute noch mit den ver¬
schiedensten Eventualitäten zu spielen im Stande ist. Nur scheint bisher der
Muth gefehlt zu haben, wirklich eine dieser beiden Partien zu ergreifen.
Nach allen Anzeichen zu schließen, herrscht durchaus noch das alte Schaukelspiel.
Man war genöthigt, sich den Armen der Democratie zu entziehen, aber man
hat deswegen nicht im geringsten der nationalen Seite sich genähert. Die
kleine osficiöse Presse macht zwar Miene, für die Verträge, für die Heeres¬
verfassung, gegen den Südbund einzutreten, aber gleichzeitig fährt sie fort,
die Persönlichkeiten der Nationalliberalen in derselben cyntschen Weise herab¬
zuziehen, die nun einmal bei uns herkömmlich geworden ist, vollends seitdem
der Sturm von 1866 eine Anzahl der seltsamsten Individuen nach dem
Nesenbach zusammengefegt hat. Ein Bündniß nach dieser Seite ist also der
deutschen Partei erspart, sie steht auf ihren eigenen Füßen.

Gleichwohl ist ihre Stellung der Regierungspartei gegenüber nicht ganz
dieselbe scharfbegrenzte, wie nach Seite der Volkspartei. Wir besitzen zwar
nicht eine unabhängige Mittelpartei, wie sie in Baiern besteht, dagegen stuft
sich der Standpunkt der deutschen Partei in einer Reihe von unmerklich in
einander übergehenden Schattirungen ganz allmählich bis zu dem der Regie¬
rung ab. Gemäßigte aber aufrichtige Anhänger der nationalen Richtung
finden sich zahlreich bis in die obersten Beamtenkreise hinauf. Die Regierung
selbst wird genöthigt sein, neben entschiedenen Particularisten doch auch solche
Candidaten aufzustellen, deren nationale Gesinnung die Unterstützung von


auf den wir in Süddeutschland gestellt sind. Den Parteigenossen wäre es
ein bequemer aber demoralisirender Rath. Ein Freibrief für die Enthaltung
von jeder ernsten Thätigkeit, würde er nicht einmal seinen Zweck erreichen.
Denn die Partei würde sich gar nicht von ihren Leitern zu dieser Abdankung
bestimmen lassen; man würde also genau denselben Fehler begehen wie die
Volkspartei, als sie anfänglich die Enthaltung von den Parlamentswahlen
beschloß, um nachher von ihren eigenen Anhängern dementirt zu werden. Es
ist denn auch auf einer Parteiversammlung in Stuttgart einstimmig beschlossen
worden, auf Grund des Parteiprogramms abermals den Kampf aufzu¬
nehmen.

Von einem Bündniß mit der Regierung kann dabei so wenig die Rede
sein als von Bündnissen nach der anderen Seite. Es ist ein Wort im Um¬
lauf, das der Frhr. von Varnbüler während des Zollparlaments nach Stutt¬
gart geschrieben haben soll. Es sei schlechterdings unmöglich — so ist der
Sinn — daß das Verhältniß Würtembergs zu Preußen sich noch länger auf
demselben Fuß erhalte; entweder müsse unser Land weitere Schritte einer
Annäherung thun oder gänzlich mit Preußen brechen. Hätte dies Herr
v. Varnbüler wirklich geschrieben, so wäre es bezeichnend für die Unbefangen¬
heit, mit welcher ein würtembergischer Minister auch heute noch mit den ver¬
schiedensten Eventualitäten zu spielen im Stande ist. Nur scheint bisher der
Muth gefehlt zu haben, wirklich eine dieser beiden Partien zu ergreifen.
Nach allen Anzeichen zu schließen, herrscht durchaus noch das alte Schaukelspiel.
Man war genöthigt, sich den Armen der Democratie zu entziehen, aber man
hat deswegen nicht im geringsten der nationalen Seite sich genähert. Die
kleine osficiöse Presse macht zwar Miene, für die Verträge, für die Heeres¬
verfassung, gegen den Südbund einzutreten, aber gleichzeitig fährt sie fort,
die Persönlichkeiten der Nationalliberalen in derselben cyntschen Weise herab¬
zuziehen, die nun einmal bei uns herkömmlich geworden ist, vollends seitdem
der Sturm von 1866 eine Anzahl der seltsamsten Individuen nach dem
Nesenbach zusammengefegt hat. Ein Bündniß nach dieser Seite ist also der
deutschen Partei erspart, sie steht auf ihren eigenen Füßen.

Gleichwohl ist ihre Stellung der Regierungspartei gegenüber nicht ganz
dieselbe scharfbegrenzte, wie nach Seite der Volkspartei. Wir besitzen zwar
nicht eine unabhängige Mittelpartei, wie sie in Baiern besteht, dagegen stuft
sich der Standpunkt der deutschen Partei in einer Reihe von unmerklich in
einander übergehenden Schattirungen ganz allmählich bis zu dem der Regie¬
rung ab. Gemäßigte aber aufrichtige Anhänger der nationalen Richtung
finden sich zahlreich bis in die obersten Beamtenkreise hinauf. Die Regierung
selbst wird genöthigt sein, neben entschiedenen Particularisten doch auch solche
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_362043/514>, abgerufen am 15.01.2025.