Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, I. Semester. II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

und in immer neue Gestalten zu kleiden gewußt haben. Man kann es dahin
gestellt sein lassen, wie weit die bildende Kunst unter dem Einfluß der dichten-
den gestanden oder selbständig aus dem Born der Volkssage geschöpft habe,
wie weit der Vasenmaler die Erfindungen größerer Künstler nachgebildet
und benutzt oder selbstthätig gearbeitet habe: die Thatsache, daß uns auf ver¬
hältnißmäßig untergeordneten Erzeugnissen des Kunsthandwerks eine künstle¬
rische Durchbildung der Sage in solchem Umfang und in solcher Bedeutsam¬
keit als Gemeingut des griechischen Volks entgegentritt, bleibt in ihrem
vollen Werth bestehen. Nicht minder anziehend und belehrend ist uns der
Einblick, welchen sie uns in das wirkliche Leben thun lassen. Keine Seite
des Lebensverkehrs geht leer aus, die Beschäftigung des Tages, Ackerbau,
Jagd, Handwerk, gymnische und musische Bildung, Krieg, Verkehr der
Jünglinge und Mädchen, Hochzeit und Ehestand, Symposion und Komos,
Spiel und Tanz, Tod und Bestattung - alles kommt zur Darstellung. Und
zwar nicht dies und jenes in vereinzelten Andeutungen, sondern das ge-
sammte Leben in seiner reichen Fülle, im Zusammenhang und, was von be¬
sonderer Wichtigkeit ist. in seiner geschichtlichen Entwickelung. Wer bedenkt,
wie trümmerhaft und zersplittert unsere Ueberlieferung vom Alterthum ist, wie
selten uns ein Ganzes geboten wird, wie mühselig und doch wie unvollständig
die Steinchen zusammengelesen werden müssen, um nur die Umrisse mancher
Bilder wieder hervorzubringen, der. wird den Gewinn ermessen, daß uns in
den Vasenbildern tausende von Zeugnissen erhalten sind, welche in ununter-
brochener Folge vom sechsten Jahrhundert bis ins dritte uns die Anschauung
gewähren, wie Sage und Sitte, im Geist und im Leben des Volks sortwäh-
rend neugeboren, auch in der Kunst immer neue Gestalt gewann.

Doch diese Betrachtungen im Einzelnen fortzuführen würde nicht ohne
die Versuchung gelingen, den Vasenbildern auch ästhetischen Genuß zu vindi-
ciren. Für jetzt möge die alte Vasenmalerei zufrieden sein, wie manche Frau,
wenn sie nicht für schön, sondern ur interessant gilt.'"'


Otto Jahr.


Die deutschen Großmächte und die französische Revolution.

Diplomatische Verhandlungen aus der Zeit der französischen Revolu.
"on. Von Hermann Husfer. 1. B. Oestreich und Preußen gegenüber
französischen Revolution bis zum Abschluß des Friedens von Campo
Formio. (Bonn bei Adolph Marcus 1863).

Es ist nicht allzulange her. daß von Franzosen und Engländern be¬
hauptet wurde, die Gegensätze, welche das öffentliche Leben Deutschlands be-


03*

und in immer neue Gestalten zu kleiden gewußt haben. Man kann es dahin
gestellt sein lassen, wie weit die bildende Kunst unter dem Einfluß der dichten-
den gestanden oder selbständig aus dem Born der Volkssage geschöpft habe,
wie weit der Vasenmaler die Erfindungen größerer Künstler nachgebildet
und benutzt oder selbstthätig gearbeitet habe: die Thatsache, daß uns auf ver¬
hältnißmäßig untergeordneten Erzeugnissen des Kunsthandwerks eine künstle¬
rische Durchbildung der Sage in solchem Umfang und in solcher Bedeutsam¬
keit als Gemeingut des griechischen Volks entgegentritt, bleibt in ihrem
vollen Werth bestehen. Nicht minder anziehend und belehrend ist uns der
Einblick, welchen sie uns in das wirkliche Leben thun lassen. Keine Seite
des Lebensverkehrs geht leer aus, die Beschäftigung des Tages, Ackerbau,
Jagd, Handwerk, gymnische und musische Bildung, Krieg, Verkehr der
Jünglinge und Mädchen, Hochzeit und Ehestand, Symposion und Komos,
Spiel und Tanz, Tod und Bestattung - alles kommt zur Darstellung. Und
zwar nicht dies und jenes in vereinzelten Andeutungen, sondern das ge-
sammte Leben in seiner reichen Fülle, im Zusammenhang und, was von be¬
sonderer Wichtigkeit ist. in seiner geschichtlichen Entwickelung. Wer bedenkt,
wie trümmerhaft und zersplittert unsere Ueberlieferung vom Alterthum ist, wie
selten uns ein Ganzes geboten wird, wie mühselig und doch wie unvollständig
die Steinchen zusammengelesen werden müssen, um nur die Umrisse mancher
Bilder wieder hervorzubringen, der. wird den Gewinn ermessen, daß uns in
den Vasenbildern tausende von Zeugnissen erhalten sind, welche in ununter-
brochener Folge vom sechsten Jahrhundert bis ins dritte uns die Anschauung
gewähren, wie Sage und Sitte, im Geist und im Leben des Volks sortwäh-
rend neugeboren, auch in der Kunst immer neue Gestalt gewann.

Doch diese Betrachtungen im Einzelnen fortzuführen würde nicht ohne
die Versuchung gelingen, den Vasenbildern auch ästhetischen Genuß zu vindi-
ciren. Für jetzt möge die alte Vasenmalerei zufrieden sein, wie manche Frau,
wenn sie nicht für schön, sondern ur interessant gilt.'"'


Otto Jahr.


Die deutschen Großmächte und die französische Revolution.

Diplomatische Verhandlungen aus der Zeit der französischen Revolu.
"on. Von Hermann Husfer. 1. B. Oestreich und Preußen gegenüber
französischen Revolution bis zum Abschluß des Friedens von Campo
Formio. (Bonn bei Adolph Marcus 1863).

Es ist nicht allzulange her. daß von Franzosen und Engländern be¬
hauptet wurde, die Gegensätze, welche das öffentliche Leben Deutschlands be-


03*
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0503" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/118035"/>
          <p xml:id="ID_1561" prev="#ID_1560"> und in immer neue Gestalten zu kleiden gewußt haben. Man kann es dahin<lb/>
gestellt sein lassen, wie weit die bildende Kunst unter dem Einfluß der dichten-<lb/>
den gestanden oder selbständig aus dem Born der Volkssage geschöpft habe,<lb/>
wie weit der Vasenmaler die Erfindungen größerer Künstler nachgebildet<lb/>
und benutzt oder selbstthätig gearbeitet habe: die Thatsache, daß uns auf ver¬<lb/>
hältnißmäßig untergeordneten Erzeugnissen des Kunsthandwerks eine künstle¬<lb/>
rische Durchbildung der Sage in solchem Umfang und in solcher Bedeutsam¬<lb/>
keit als Gemeingut des griechischen Volks entgegentritt, bleibt in ihrem<lb/>
vollen Werth bestehen. Nicht minder anziehend und belehrend ist uns der<lb/>
Einblick, welchen sie uns in das wirkliche Leben thun lassen. Keine Seite<lb/>
des Lebensverkehrs geht leer aus, die Beschäftigung des Tages, Ackerbau,<lb/>
Jagd, Handwerk, gymnische und musische Bildung, Krieg, Verkehr der<lb/>
Jünglinge und Mädchen, Hochzeit und Ehestand, Symposion und Komos,<lb/>
Spiel und Tanz, Tod und Bestattung - alles kommt zur Darstellung. Und<lb/>
zwar nicht dies und jenes in vereinzelten Andeutungen, sondern das ge-<lb/>
sammte Leben in seiner reichen Fülle, im Zusammenhang und, was von be¬<lb/>
sonderer Wichtigkeit ist. in seiner geschichtlichen Entwickelung. Wer bedenkt,<lb/>
wie trümmerhaft und zersplittert unsere Ueberlieferung vom Alterthum ist, wie<lb/>
selten uns ein Ganzes geboten wird, wie mühselig und doch wie unvollständig<lb/>
die Steinchen zusammengelesen werden müssen, um nur die Umrisse mancher<lb/>
Bilder wieder hervorzubringen, der. wird den Gewinn ermessen, daß uns in<lb/>
den Vasenbildern tausende von Zeugnissen erhalten sind, welche in ununter-<lb/>
brochener Folge vom sechsten Jahrhundert bis ins dritte uns die Anschauung<lb/>
gewähren, wie Sage und Sitte, im Geist und im Leben des Volks sortwäh-<lb/>
rend neugeboren, auch in der Kunst immer neue Gestalt gewann.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1562"> Doch diese Betrachtungen im Einzelnen fortzuführen würde nicht ohne<lb/>
die Versuchung gelingen, den Vasenbildern auch ästhetischen Genuß zu vindi-<lb/>
ciren. Für jetzt möge die alte Vasenmalerei zufrieden sein, wie manche Frau,<lb/>
wenn sie nicht für schön, sondern ur interessant gilt.'"'</p><lb/>
          <note type="byline"> Otto Jahr.</note><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
        </div>
        <div n="1">
          <head> Die deutschen Großmächte und die französische Revolution.</head><lb/>
          <p xml:id="ID_1563"> Diplomatische Verhandlungen aus der Zeit der französischen Revolu.<lb/>
"on.  Von Hermann Husfer. 1. B. Oestreich und Preußen gegenüber<lb/>
französischen Revolution bis zum Abschluß des Friedens von Campo<lb/>
Formio.  (Bonn bei Adolph Marcus 1863).</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1564" next="#ID_1565"> Es ist nicht allzulange her. daß von Franzosen und Engländern be¬<lb/>
hauptet wurde, die Gegensätze, welche das öffentliche Leben Deutschlands be-</p><lb/>
          <fw type="sig" place="bottom"> 03*</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0503] und in immer neue Gestalten zu kleiden gewußt haben. Man kann es dahin gestellt sein lassen, wie weit die bildende Kunst unter dem Einfluß der dichten- den gestanden oder selbständig aus dem Born der Volkssage geschöpft habe, wie weit der Vasenmaler die Erfindungen größerer Künstler nachgebildet und benutzt oder selbstthätig gearbeitet habe: die Thatsache, daß uns auf ver¬ hältnißmäßig untergeordneten Erzeugnissen des Kunsthandwerks eine künstle¬ rische Durchbildung der Sage in solchem Umfang und in solcher Bedeutsam¬ keit als Gemeingut des griechischen Volks entgegentritt, bleibt in ihrem vollen Werth bestehen. Nicht minder anziehend und belehrend ist uns der Einblick, welchen sie uns in das wirkliche Leben thun lassen. Keine Seite des Lebensverkehrs geht leer aus, die Beschäftigung des Tages, Ackerbau, Jagd, Handwerk, gymnische und musische Bildung, Krieg, Verkehr der Jünglinge und Mädchen, Hochzeit und Ehestand, Symposion und Komos, Spiel und Tanz, Tod und Bestattung - alles kommt zur Darstellung. Und zwar nicht dies und jenes in vereinzelten Andeutungen, sondern das ge- sammte Leben in seiner reichen Fülle, im Zusammenhang und, was von be¬ sonderer Wichtigkeit ist. in seiner geschichtlichen Entwickelung. Wer bedenkt, wie trümmerhaft und zersplittert unsere Ueberlieferung vom Alterthum ist, wie selten uns ein Ganzes geboten wird, wie mühselig und doch wie unvollständig die Steinchen zusammengelesen werden müssen, um nur die Umrisse mancher Bilder wieder hervorzubringen, der. wird den Gewinn ermessen, daß uns in den Vasenbildern tausende von Zeugnissen erhalten sind, welche in ununter- brochener Folge vom sechsten Jahrhundert bis ins dritte uns die Anschauung gewähren, wie Sage und Sitte, im Geist und im Leben des Volks sortwäh- rend neugeboren, auch in der Kunst immer neue Gestalt gewann. Doch diese Betrachtungen im Einzelnen fortzuführen würde nicht ohne die Versuchung gelingen, den Vasenbildern auch ästhetischen Genuß zu vindi- ciren. Für jetzt möge die alte Vasenmalerei zufrieden sein, wie manche Frau, wenn sie nicht für schön, sondern ur interessant gilt.'"' Otto Jahr. Die deutschen Großmächte und die französische Revolution. Diplomatische Verhandlungen aus der Zeit der französischen Revolu. "on. Von Hermann Husfer. 1. B. Oestreich und Preußen gegenüber französischen Revolution bis zum Abschluß des Friedens von Campo Formio. (Bonn bei Adolph Marcus 1863). Es ist nicht allzulange her. daß von Franzosen und Engländern be¬ hauptet wurde, die Gegensätze, welche das öffentliche Leben Deutschlands be- 03*

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_362043
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_362043/503
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_362043/503>, abgerufen am 15.01.2025.