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Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, I. Semester. II. Band.

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An einem Punkt sind Kurlands Grenzen freilich schon früher in samo-
gitisches Gebiet hinein erweitert worden: der hart an der preußischen Küste
belegene Flecken Polangen, ausschließlich von Deutschen und Juden be¬
wohnt, wird in administrativer Beziehung zu Kurland gerechnet und steht
unter der Oberaufsicht der mitauer Regierung. Von Bedeutung ist die Er¬
werbung dieses Schmugglernestes für das alte Herzogthum nicht gewesen und
die drastische Beschreibung, welche Aurelio Buddeus vor zwei Jahrzehnten
von der Landschaft erwarb, die dasselbe umgibt, paßt noch he,nec: „So öde und
menschenleer ist jener schmale Zipfel, welchen Kurland dort unten zwischen
Litthauen und die Seeflächen schiebt, daß Preußen und Rußland durch lange
Jahre sogar eine Grenzregulirung zwischen dem elenden Flecken Nimmersatt
und dem ebenso jammervollen Polangen für unnöthig erachteten. Vom
weißen Dünensand überweht, hie? und da mit einem einzelnen Wachholder-
busch besetzt, welchen karge Halme halbverdorrten Riedgrases umflüstern,
außerdem vollkommen todt — so liegt das herrenlose Land zwischen dem
Schlagbaum des preußischen und des russischen Zollhauses..... Unabseh¬
bar breiten sich rechts und links vor- und rückwärts rothstämmige Kiefern
und grauschwarze Föhren; nirgends ein Feld, nirgends Wiesenfläche oder
Laubholz, höchstens ein Morastbruch oder ein Stück von Waldbrand blos¬
gelegtes Haideland. Ringsum brütet dazu beängstigendes Schweigen, in
welches nur selten der schrillende Ruf eines Geiers oder krächzende Weheruf
eines Raben hereingellt. ... So bleibt es auf beinahe zehn Meilen." Erst
wenn der Reisende wieder auf altkurischen Boden gelangt und sich weiter
von den sandbedeckten Ufern des baltischen Meeres in das Land begeben hat,
kommt er wieder in Gegenden, die die Spuren würdigerer Cultur tragen.

So sehen wir das alte Samogitien von zwei Seiten her durch ein¬
dringende deutsche Elemente berührt — von Norden her tragen deutsche
und lettische Kurländer ihren Pflug immer tiefer ins Land hinein, von Süd¬
westen ergießen sich bewegliche Einwandrerschwärme in die fruchtbaren Ebenen
und Thäler des einstigen deutschen Ordenslandes. Ob diese friedlichen Co-
lonisten festeren Fuß fassen werden, als die eisengepanzerten Männer, welche
im 13. und 14. Jahrhundert über den Niemen kamen — wer vermag es zu
sagen, wo die politischen Verhältnisse immerwährendem Wechsel unterworfen
sind und der erbitterte Kampf zwischen Russen und Polen noch immer
unentschieden zwischen Siegen und Niederlagen schwankt!




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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_362043/462>, abgerufen am 23.01.2025.