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Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, I. Semester. II. Band.

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und trotz starker Verlockungen zeitgemäß fortzubilden. Seitdem endlich die
größeren Städte für alle Gattungen des Dramas Häuser erbauten, welche
nur der großen Oper gerecht sind, verfiel die Kunst des Schauspiels unauf¬
haltsam.

Wollte man aber das Maß für Bühne und Zuschauerraum nach den
angegebenen Gesichtspunkten bemessen, wie sie der Ausdrucksweise und dem
Redetempo unserer Zeit am günstigsten ist, so gehen schon das berliner
Schauspielhaus und das Burgtheater über die Größe hinaus, welche den
schönsten Kunstwirkungen am bequemsten ist. Auch das alte Theater von
Leipzig hat in seinem Bühnenraum die richtige Länge, aber etwas zu große
Höhe und der Zuschauerraum würde erst dann die günstigste Beschaffenheit
erhalten, wenn ihm die ausgebauchten Seiten eingezogen, die Hinterwand
näher zur Bühne gerückt und seine Grundfläche in elliptischer Form con-
struirt werden sollte; er müßte dann einige hundert Sitze verlieren, da alle
vorhandenen zu erweitern wären, aber er würde seinen Raumverhältnissen
nach den Forderungen des Dramas gerecht werden.

Daß wir in Deutschland noch eine Anzahl von Mittelbühnen besitzen,
welche nicht weit über die richtige Größe hinausgehen oder sich innerhalb
derselben halten, wie die Hoftheater in Schwerin, Karlsruhe und den Residenz¬
städten Thüringens, das hat um wesentlich geholfen, die Schauspielkunst vor
völliger Verwilderung zu bewahren. Nur waren leider diese Bühnen, auch
wenn ihre Leitung das nöthige Kunstverständniß besaß, nicht im Stande, die
Schauspieler sich zu bewahren. Aber es verdient wohl Theilnahme, daß die
deutsche Muse auf solchen kleinen Bühnen noch in den letzten Jahrzehnten
immer aufs Neue Anstrengungen gemacht hat, dem einbrechenden Verderben
zu steuern, jedesmal mit schönem und kurzem Erfolg, in Düsseldorf unter
Immermann, in Leipzig unter Marr und Schmidt, in Carlsruhe, in Schwe^
rin und anderwärts.

Und wenn nicht alles täuscht, ist die Zeit gekommen, wo eine allgemeine
Reaction gegen die großen Häuser wirksam wird. Der nächste Fortschritt
aber und der Beginn einer besseren Periode für das Schauspiel wird sein,
wenn in einer unserer großen Hauptstädte unter dem Schutz einflußreicher
Persönlichkeiten, ein ganz kleines Theater für die höchsten Aufgaben der
Schauspielkunst eingerichtet wird, im besten Sinne des Wortes für ein
gewähltes Publikum, welches einem Publikum, wie die Abonnenten unserer
Symphonieconcerte sind, ein gutes und tüchtiges Zusammenspiel und sorg¬
fältige Durcharbeitung bis auf die größten Kleinigkeiten bietet. Diese kleinen
anspruchsvollen Theater würden bei einem Etat von 33--40,000 Thlr. und
viermaligem Spiel in der Woche sehr wohl ohne jeden Zuschuß bestehen.

Nun würde es gerade jetzt in Leipzig ganz unthunlich sein, von der


und trotz starker Verlockungen zeitgemäß fortzubilden. Seitdem endlich die
größeren Städte für alle Gattungen des Dramas Häuser erbauten, welche
nur der großen Oper gerecht sind, verfiel die Kunst des Schauspiels unauf¬
haltsam.

Wollte man aber das Maß für Bühne und Zuschauerraum nach den
angegebenen Gesichtspunkten bemessen, wie sie der Ausdrucksweise und dem
Redetempo unserer Zeit am günstigsten ist, so gehen schon das berliner
Schauspielhaus und das Burgtheater über die Größe hinaus, welche den
schönsten Kunstwirkungen am bequemsten ist. Auch das alte Theater von
Leipzig hat in seinem Bühnenraum die richtige Länge, aber etwas zu große
Höhe und der Zuschauerraum würde erst dann die günstigste Beschaffenheit
erhalten, wenn ihm die ausgebauchten Seiten eingezogen, die Hinterwand
näher zur Bühne gerückt und seine Grundfläche in elliptischer Form con-
struirt werden sollte; er müßte dann einige hundert Sitze verlieren, da alle
vorhandenen zu erweitern wären, aber er würde seinen Raumverhältnissen
nach den Forderungen des Dramas gerecht werden.

Daß wir in Deutschland noch eine Anzahl von Mittelbühnen besitzen,
welche nicht weit über die richtige Größe hinausgehen oder sich innerhalb
derselben halten, wie die Hoftheater in Schwerin, Karlsruhe und den Residenz¬
städten Thüringens, das hat um wesentlich geholfen, die Schauspielkunst vor
völliger Verwilderung zu bewahren. Nur waren leider diese Bühnen, auch
wenn ihre Leitung das nöthige Kunstverständniß besaß, nicht im Stande, die
Schauspieler sich zu bewahren. Aber es verdient wohl Theilnahme, daß die
deutsche Muse auf solchen kleinen Bühnen noch in den letzten Jahrzehnten
immer aufs Neue Anstrengungen gemacht hat, dem einbrechenden Verderben
zu steuern, jedesmal mit schönem und kurzem Erfolg, in Düsseldorf unter
Immermann, in Leipzig unter Marr und Schmidt, in Carlsruhe, in Schwe^
rin und anderwärts.

Und wenn nicht alles täuscht, ist die Zeit gekommen, wo eine allgemeine
Reaction gegen die großen Häuser wirksam wird. Der nächste Fortschritt
aber und der Beginn einer besseren Periode für das Schauspiel wird sein,
wenn in einer unserer großen Hauptstädte unter dem Schutz einflußreicher
Persönlichkeiten, ein ganz kleines Theater für die höchsten Aufgaben der
Schauspielkunst eingerichtet wird, im besten Sinne des Wortes für ein
gewähltes Publikum, welches einem Publikum, wie die Abonnenten unserer
Symphonieconcerte sind, ein gutes und tüchtiges Zusammenspiel und sorg¬
fältige Durcharbeitung bis auf die größten Kleinigkeiten bietet. Diese kleinen
anspruchsvollen Theater würden bei einem Etat von 33—40,000 Thlr. und
viermaligem Spiel in der Woche sehr wohl ohne jeden Zuschuß bestehen.

Nun würde es gerade jetzt in Leipzig ganz unthunlich sein, von der


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_362043/422>, abgerufen am 15.01.2025.