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Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, I. Semester. II. Band.

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im allgemeinen zu orientiren und ihm das Einzelne präcis zu erklären, hatte
er Freiheit genug, um auf Goethes Intentionen einzugehen, so konnte er
seines Erfolges sicher sein. Goethes Intentionen aber gingen immer aus
einem praktischen Bedürfniß seiner productiven Natur hervor, sie waren daher
auf so einfache, wesentliche Punkte gerichtet, daß schon seine Fragstellungen
fördernd gewesen sein müssen, und seine Antheilnahme war, aufnehmend wie
anregend, so gewinnend und bezwingend, wie seine ganze Persönlichkeit für
alle, die ihm nahe kamen. Wer aber meinen vortrefflichen ehemaligen Col-
legen Kosegarten hat kennen lernen, muß sich sagen, daß es keinen wün¬
schenswerteren Rathgeber für Goethe geben konnte als ihn. Unbestechliche
Wahrheitsliebe und unermüdliche Forscherlust ließen ihn keine Mühe scheuen,
die Wahrheit zu finden, an der gründlich ermittelten festhalten und nichts
so verabscheuen als unüberlegtes, haltloses Gerede. Den Eindruck unbeding¬
ter Zuverlässigkeit erhöhete seine gleichmüthige Ruhe, welche selten merken
ließ, was in ihm vorging, und die Einfachheit feines Wesens, welche ohne
alle Umschweife geradeswegs auf die Sache zuging. Wie er es verstand, zu
fragen und den Befragten in Stand zu setzen, auf das einzugehen, worauf
es ihm ankam, so war es ein Vergnügen, ihn zu fragen, zu orientiren, und
dann in knappster Form gerade das zu vernehmen, was man zu wissen be¬
gehrte. Obwohl er in seiner Unabhängigkeit sich durch nichts imponiren
ließ, war er eine innerlichst bescheidene Natur, Achtung vor jedem wahrhaften
wissenschaftlichen Streben, Verehrung vor dem Großen und Hohen kamen
ihm aus dem Herzen.

Der orientalische Verkehr Kosegartens mit Goethe ist überwiegend der
mündliche gewesen, wenn Goethe sich in Jena aufhielt, was in den Jahren
1818--1824 ja öfter auf längere Zeit geschah, und bei Kosegartens Besuchen
in Weimar. Die nicht zahlreichen Briefe Goethes, welche die verehrte Wittwe
Kosegartens mir freundlichst anvertraut hat, lassen nicht mehr in die ge-
meinsame Arbeit hineinsehen; einiges daraus ist aber der Mittheilung
Wohl werth.

Am 23. Sept. 1818 schreibt Goethe von Weimar:

"Sogleich nach meiner Ankunft verfehle nicht Ew. Wohlgeb. aufs beste
zu begrüßen und zu vermelden, daß ich einen sehr freundlichen Brief von
Ihrem Herrn Vater erhalten habe; machen Sie ihm dagegen meine schönste
Empfehlung. Er sagt mir einiges von seinen poetischen Arbeiten zu, möge
kr es gelegentlich übersenden."

"Zugleich nehme ich mir die Freiheit Sie zu ersuchen, beigehendes Ge¬
dicht gefällig anzusehen. Ich habe es in irgend einer Reisebeschreibung pro¬
saisch gefunden und in diese freie Art von Rythmen umgesetzt; nun weiß ich
aber nicht, wo es steht, noch weniger aus welchem Zeitalter sich das Origi-


im allgemeinen zu orientiren und ihm das Einzelne präcis zu erklären, hatte
er Freiheit genug, um auf Goethes Intentionen einzugehen, so konnte er
seines Erfolges sicher sein. Goethes Intentionen aber gingen immer aus
einem praktischen Bedürfniß seiner productiven Natur hervor, sie waren daher
auf so einfache, wesentliche Punkte gerichtet, daß schon seine Fragstellungen
fördernd gewesen sein müssen, und seine Antheilnahme war, aufnehmend wie
anregend, so gewinnend und bezwingend, wie seine ganze Persönlichkeit für
alle, die ihm nahe kamen. Wer aber meinen vortrefflichen ehemaligen Col-
legen Kosegarten hat kennen lernen, muß sich sagen, daß es keinen wün¬
schenswerteren Rathgeber für Goethe geben konnte als ihn. Unbestechliche
Wahrheitsliebe und unermüdliche Forscherlust ließen ihn keine Mühe scheuen,
die Wahrheit zu finden, an der gründlich ermittelten festhalten und nichts
so verabscheuen als unüberlegtes, haltloses Gerede. Den Eindruck unbeding¬
ter Zuverlässigkeit erhöhete seine gleichmüthige Ruhe, welche selten merken
ließ, was in ihm vorging, und die Einfachheit feines Wesens, welche ohne
alle Umschweife geradeswegs auf die Sache zuging. Wie er es verstand, zu
fragen und den Befragten in Stand zu setzen, auf das einzugehen, worauf
es ihm ankam, so war es ein Vergnügen, ihn zu fragen, zu orientiren, und
dann in knappster Form gerade das zu vernehmen, was man zu wissen be¬
gehrte. Obwohl er in seiner Unabhängigkeit sich durch nichts imponiren
ließ, war er eine innerlichst bescheidene Natur, Achtung vor jedem wahrhaften
wissenschaftlichen Streben, Verehrung vor dem Großen und Hohen kamen
ihm aus dem Herzen.

Der orientalische Verkehr Kosegartens mit Goethe ist überwiegend der
mündliche gewesen, wenn Goethe sich in Jena aufhielt, was in den Jahren
1818—1824 ja öfter auf längere Zeit geschah, und bei Kosegartens Besuchen
in Weimar. Die nicht zahlreichen Briefe Goethes, welche die verehrte Wittwe
Kosegartens mir freundlichst anvertraut hat, lassen nicht mehr in die ge-
meinsame Arbeit hineinsehen; einiges daraus ist aber der Mittheilung
Wohl werth.

Am 23. Sept. 1818 schreibt Goethe von Weimar:

„Sogleich nach meiner Ankunft verfehle nicht Ew. Wohlgeb. aufs beste
zu begrüßen und zu vermelden, daß ich einen sehr freundlichen Brief von
Ihrem Herrn Vater erhalten habe; machen Sie ihm dagegen meine schönste
Empfehlung. Er sagt mir einiges von seinen poetischen Arbeiten zu, möge
kr es gelegentlich übersenden."

„Zugleich nehme ich mir die Freiheit Sie zu ersuchen, beigehendes Ge¬
dicht gefällig anzusehen. Ich habe es in irgend einer Reisebeschreibung pro¬
saisch gefunden und in diese freie Art von Rythmen umgesetzt; nun weiß ich
aber nicht, wo es steht, noch weniger aus welchem Zeitalter sich das Origi-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_362043/401>, abgerufen am 15.01.2025.