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Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, I. Semester. II. Band.

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daß es die bessere Kenntniß der süddeutschen Verhältnisse, Parteien und Per¬
sönlichkeiten war, was die Nationalliberalen leitete, von vornherein eine be¬
stimmte Stellung zu den Brüdern aus Süddeutschland einzunehmen, die einen
nicht für patriotischer zu halten als sie sind, den glühenden Patriotismus der
anderen nicht auf secundäre Motive zurückzuführen.

Vergleicht man mit dem düstern Anfang das helle Schlußtableau in den
Räumen der neuen Börse: Graf Bismarck nicht allein mit den National¬
liberalen ausgesöhnt, sondern Aper sie hinweg selbst patriotischen Fort¬
schrittsmännern die Hand reichend, Fürst Hohenlohe seinen preußischen
Collegen in einem prägnant nationalen Toaste fast noch überbietend, und
endlich den Führer der bairischen Nationalliberalen, wie er aller Vorsicht
überdrüssig auf Bismark als den Mann des Jahrhunderts trinkt, -- so hat
man den Eindruck eines vollen und innigen Zusammenschlusses aller patrio¬
tisch-deutschen Parteien. Innerhalb der nationalliberalen Gesammtpartei
sind gleichzeitig solche Verabredungen getroffen worden, welche ein Zusammen¬
wirken der einzelnen Bestandtheile in allen wichtigen Fällen sichern. Bei
dem Festmahle der Fraction am 20. Mai, welchem die süddeutschen Partei¬
genossen als Gäste beiwohnten, erhielt dieses Abkommen durch beziehungs¬
reiche Reden und herzlichen persönlichen Austausch aller mit allen die Weihe
einer Verbrüderung. So sind auch in dieser Beziehung dem vaterländischen
Nothbau nun verlässige Stützen untergeschoben.

Den letzten Schluß der Parlamentssession bezeichnet die Festfahrt nach
Kiel zur Besichtigung des Hafens und der Kriegsflotte. Keine Partei hat
sich ganz von derselben ausgeschlossen, zum Zeichen, daß das nationale Be¬
wußtsein in keiner von ihnen gänzlich fehlt. Denn nicht als bloße Größe
eines Schaugeprängs oder eines Champagner-Frühstücks sind die Vertreter des
dentschen Volkes dort erschienen, sondern in dieser ihrer moralischen Eigen¬
schaft von keinen Competenzzweifeln mehr bedrängt. Nicht Alles zwar, was man
sie da sehen ließ, war erfreulich- es gab auch abgetakelte Schiffe in der
Hafenbucht, die an den noch schwebenden Conflict zwischen dem Bundes¬
kanzler und dem norddeutschen Reichstag mahnten. Indessen darf man heute
schon behaupten, daß dieser Zwiespalt die längste Zeit gewährt haben wird.
Eine dauernde Einstellung der Flottenthätigkeit ist einfach unmöglich: daher
wird sie gar bald rückgängig gemacht werden. An einem betreibaren Aus¬
wege aus der Klemme wird es dem guten Willen beider Theile jq nicht
fehlen. Freudiger war ein anderes Zusammentreffen, -- das merkwürdige
nämlich, daß am gleichen Tage gerade die "Germania", Capitain Koldewey,
von Bergen in Norwegen auf Dr. Petermanns Nordpolexpedition auslief.
Dieses Unternehmen deutschen wissenschaftlichen und seemännischen Muthes ist
wohl geeignet, den trüben Eindruck niederzuschlagen, welchen die Wahrneh¬
mung der abgetakelten Schiffe etwa auf das eine oder andere Gemüth unter
den Abgeordneten gemacht haben mag. Es deutet an, wo der wahre Quell
unserer nationalen Stärke liegt: nicht allein in hochgetriebener und vollen¬
deten Rüstungen, so nothwendig diese leider sind, sondern in dem sich selbst
bestimmenden muthigen und erleuchteten Unternehmungsgeist vieler Einzelner.




Berichtigung.

In Heft 21. -- "Berliner Bildergallerie und ihr Katalog", ist S. 289 Z. 10
v. u. statt Antonio Vivarini zu lesen: Antonio da Murano.




VcranIwvriUche Redacteure: Gustav Freytag u. Julius Eckardt.
Verlag von F. L. Herdig. -- Druck von Hüthel H Segler in Leipzig.

daß es die bessere Kenntniß der süddeutschen Verhältnisse, Parteien und Per¬
sönlichkeiten war, was die Nationalliberalen leitete, von vornherein eine be¬
stimmte Stellung zu den Brüdern aus Süddeutschland einzunehmen, die einen
nicht für patriotischer zu halten als sie sind, den glühenden Patriotismus der
anderen nicht auf secundäre Motive zurückzuführen.

Vergleicht man mit dem düstern Anfang das helle Schlußtableau in den
Räumen der neuen Börse: Graf Bismarck nicht allein mit den National¬
liberalen ausgesöhnt, sondern Aper sie hinweg selbst patriotischen Fort¬
schrittsmännern die Hand reichend, Fürst Hohenlohe seinen preußischen
Collegen in einem prägnant nationalen Toaste fast noch überbietend, und
endlich den Führer der bairischen Nationalliberalen, wie er aller Vorsicht
überdrüssig auf Bismark als den Mann des Jahrhunderts trinkt, — so hat
man den Eindruck eines vollen und innigen Zusammenschlusses aller patrio¬
tisch-deutschen Parteien. Innerhalb der nationalliberalen Gesammtpartei
sind gleichzeitig solche Verabredungen getroffen worden, welche ein Zusammen¬
wirken der einzelnen Bestandtheile in allen wichtigen Fällen sichern. Bei
dem Festmahle der Fraction am 20. Mai, welchem die süddeutschen Partei¬
genossen als Gäste beiwohnten, erhielt dieses Abkommen durch beziehungs¬
reiche Reden und herzlichen persönlichen Austausch aller mit allen die Weihe
einer Verbrüderung. So sind auch in dieser Beziehung dem vaterländischen
Nothbau nun verlässige Stützen untergeschoben.

Den letzten Schluß der Parlamentssession bezeichnet die Festfahrt nach
Kiel zur Besichtigung des Hafens und der Kriegsflotte. Keine Partei hat
sich ganz von derselben ausgeschlossen, zum Zeichen, daß das nationale Be¬
wußtsein in keiner von ihnen gänzlich fehlt. Denn nicht als bloße Größe
eines Schaugeprängs oder eines Champagner-Frühstücks sind die Vertreter des
dentschen Volkes dort erschienen, sondern in dieser ihrer moralischen Eigen¬
schaft von keinen Competenzzweifeln mehr bedrängt. Nicht Alles zwar, was man
sie da sehen ließ, war erfreulich- es gab auch abgetakelte Schiffe in der
Hafenbucht, die an den noch schwebenden Conflict zwischen dem Bundes¬
kanzler und dem norddeutschen Reichstag mahnten. Indessen darf man heute
schon behaupten, daß dieser Zwiespalt die längste Zeit gewährt haben wird.
Eine dauernde Einstellung der Flottenthätigkeit ist einfach unmöglich: daher
wird sie gar bald rückgängig gemacht werden. An einem betreibaren Aus¬
wege aus der Klemme wird es dem guten Willen beider Theile jq nicht
fehlen. Freudiger war ein anderes Zusammentreffen, — das merkwürdige
nämlich, daß am gleichen Tage gerade die „Germania", Capitain Koldewey,
von Bergen in Norwegen auf Dr. Petermanns Nordpolexpedition auslief.
Dieses Unternehmen deutschen wissenschaftlichen und seemännischen Muthes ist
wohl geeignet, den trüben Eindruck niederzuschlagen, welchen die Wahrneh¬
mung der abgetakelten Schiffe etwa auf das eine oder andere Gemüth unter
den Abgeordneten gemacht haben mag. Es deutet an, wo der wahre Quell
unserer nationalen Stärke liegt: nicht allein in hochgetriebener und vollen¬
deten Rüstungen, so nothwendig diese leider sind, sondern in dem sich selbst
bestimmenden muthigen und erleuchteten Unternehmungsgeist vieler Einzelner.




Berichtigung.

In Heft 21. — „Berliner Bildergallerie und ihr Katalog", ist S. 289 Z. 10
v. u. statt Antonio Vivarini zu lesen: Antonio da Murano.




VcranIwvriUche Redacteure: Gustav Freytag u. Julius Eckardt.
Verlag von F. L. Herdig. — Druck von Hüthel H Segler in Leipzig.
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[0364] daß es die bessere Kenntniß der süddeutschen Verhältnisse, Parteien und Per¬ sönlichkeiten war, was die Nationalliberalen leitete, von vornherein eine be¬ stimmte Stellung zu den Brüdern aus Süddeutschland einzunehmen, die einen nicht für patriotischer zu halten als sie sind, den glühenden Patriotismus der anderen nicht auf secundäre Motive zurückzuführen. Vergleicht man mit dem düstern Anfang das helle Schlußtableau in den Räumen der neuen Börse: Graf Bismarck nicht allein mit den National¬ liberalen ausgesöhnt, sondern Aper sie hinweg selbst patriotischen Fort¬ schrittsmännern die Hand reichend, Fürst Hohenlohe seinen preußischen Collegen in einem prägnant nationalen Toaste fast noch überbietend, und endlich den Führer der bairischen Nationalliberalen, wie er aller Vorsicht überdrüssig auf Bismark als den Mann des Jahrhunderts trinkt, — so hat man den Eindruck eines vollen und innigen Zusammenschlusses aller patrio¬ tisch-deutschen Parteien. Innerhalb der nationalliberalen Gesammtpartei sind gleichzeitig solche Verabredungen getroffen worden, welche ein Zusammen¬ wirken der einzelnen Bestandtheile in allen wichtigen Fällen sichern. Bei dem Festmahle der Fraction am 20. Mai, welchem die süddeutschen Partei¬ genossen als Gäste beiwohnten, erhielt dieses Abkommen durch beziehungs¬ reiche Reden und herzlichen persönlichen Austausch aller mit allen die Weihe einer Verbrüderung. So sind auch in dieser Beziehung dem vaterländischen Nothbau nun verlässige Stützen untergeschoben. Den letzten Schluß der Parlamentssession bezeichnet die Festfahrt nach Kiel zur Besichtigung des Hafens und der Kriegsflotte. Keine Partei hat sich ganz von derselben ausgeschlossen, zum Zeichen, daß das nationale Be¬ wußtsein in keiner von ihnen gänzlich fehlt. Denn nicht als bloße Größe eines Schaugeprängs oder eines Champagner-Frühstücks sind die Vertreter des dentschen Volkes dort erschienen, sondern in dieser ihrer moralischen Eigen¬ schaft von keinen Competenzzweifeln mehr bedrängt. Nicht Alles zwar, was man sie da sehen ließ, war erfreulich- es gab auch abgetakelte Schiffe in der Hafenbucht, die an den noch schwebenden Conflict zwischen dem Bundes¬ kanzler und dem norddeutschen Reichstag mahnten. Indessen darf man heute schon behaupten, daß dieser Zwiespalt die längste Zeit gewährt haben wird. Eine dauernde Einstellung der Flottenthätigkeit ist einfach unmöglich: daher wird sie gar bald rückgängig gemacht werden. An einem betreibaren Aus¬ wege aus der Klemme wird es dem guten Willen beider Theile jq nicht fehlen. Freudiger war ein anderes Zusammentreffen, — das merkwürdige nämlich, daß am gleichen Tage gerade die „Germania", Capitain Koldewey, von Bergen in Norwegen auf Dr. Petermanns Nordpolexpedition auslief. Dieses Unternehmen deutschen wissenschaftlichen und seemännischen Muthes ist wohl geeignet, den trüben Eindruck niederzuschlagen, welchen die Wahrneh¬ mung der abgetakelten Schiffe etwa auf das eine oder andere Gemüth unter den Abgeordneten gemacht haben mag. Es deutet an, wo der wahre Quell unserer nationalen Stärke liegt: nicht allein in hochgetriebener und vollen¬ deten Rüstungen, so nothwendig diese leider sind, sondern in dem sich selbst bestimmenden muthigen und erleuchteten Unternehmungsgeist vieler Einzelner. Berichtigung. In Heft 21. — „Berliner Bildergallerie und ihr Katalog", ist S. 289 Z. 10 v. u. statt Antonio Vivarini zu lesen: Antonio da Murano. VcranIwvriUche Redacteure: Gustav Freytag u. Julius Eckardt. Verlag von F. L. Herdig. — Druck von Hüthel H Segler in Leipzig.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_362043/364>, abgerufen am 15.01.2025.