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Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, I. Semester. II. Band.

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immer steigendem Beifall gab. Auf dem Felde der Virtuosität hat Rubin-
stein wohl die äußerste Grenze erreicht. Es wäre für ihn und die Kunst ein
Gewinn, wenn er sich nun auch dem dramatischen Fache wieder zuwenden
würde, auf das ihn sein Talent vorzugsweise hinweist. Die Pianistin Frl.
Anna Mehlig zeigte in ihrem Concerte elegantes Spiel, ausgebildete Tech¬
nik, richtige Auffassung; doch fehlte demselben leider der frische Zug, der den
Zuhörer zu größerem Interesse anregt; der Eindruck war daher von keiner
Nachhaltigkeit. Unter den einheimischen Pianisten gab Joseph Labor in
zwei Concerten abermals Beweise seines schönen Talentes. Die Sicherheit,
welche der des Augenlichts beraubte Künstler in seinem Spiel entwickelt, ist
staunenswerth; damit geht Hand in Hand eine seelische Ausdrucksweise, die
beweist, daß der Spieler den Verlust des einen Sinnes auf andere Art zu
ersetzen weiß. Der hier mit Recht beliebte Pianist I. Epst ein führte in
seinem diesjährigen Concert ein Clavierconcert (v-aur) von I. Hahdn aus,
in dem namentlich der letzte Satz mit seinen ungarischen Anklängen voll spru¬
delnder Frische dem Klavierspieler eine dankbare Aufgabe bietet. Das
Orchester tritt wenig vollständig auf und zeigt noch nicht jenes wechselseitige
Zusammenwirken zwischen Hauptstimme und Begleitung, worin Mozart in
seinen späteren Schöpfungen der Art (denn Haydn's Concert fällt noch in
seine frühere Periode) so herrliches geschaffen. Ein reizendes Andante aus
Mozarts Clavierconcert Ur. 19 sM-aur) zeigte recht auffällig den erwähnten
Fortschritt in dieser Compositionsgattung. Der meisterhaft gespielten Sonate,
op. 122, von Schubert gingen zwei, von Frl. Helene Magnus in richtigem
Ton vorgetragene schottische Lieder von Beethoven voraus, denen man viel
zu selten in Concerten begegnet. Auch Haydn hatte eine große Anzahl dieser,
uns so lebhast in die schottischen Hochlande versetzenden Melodien bearbeitet;
ja, er gewann diese Arbeit so lieb, daß er ordentlich stolz darauf sagte:
,Mi paulo al ciussto lavvro, e xer ein> wi lusinZo all vivers in Lcviiia,
molli imm üopxo ig. wia mores."

Nebst drei Quartettproductionen gab Joachim zwei Concerte im großen
Redoutensaale und zwei mit Brahms zusammen im Musikvereinssaal.
Joachim hat abermals bewährt, daß sich in ihm alles vereinigt, was den
Künstler auf die höchste Stufe der Meisterschaft stellt. Sein Einfluß auf die
Veredlung des musikalischen Geschmacks ist unberechenbar. Er spielte diesmal
vier Concerte: von Beethoven, Viotti, und zwei eigener Composition, von
denen das neue in gleich dem schon bekannten ungarischen mehr sym¬
phonisch angelegt ist. Der Componist verschmäht es hier, sich als Virtuose
vorzudrängen; klar geformt, vortrefflich instrumentirt kann es eben vom
virtuosen Standpunkte aus besehen dock) nicht zu den sogenannten dankbaren
Aufgaben gerechnet werden. Besser entspricht diesem Zweck Viottis Concert


immer steigendem Beifall gab. Auf dem Felde der Virtuosität hat Rubin-
stein wohl die äußerste Grenze erreicht. Es wäre für ihn und die Kunst ein
Gewinn, wenn er sich nun auch dem dramatischen Fache wieder zuwenden
würde, auf das ihn sein Talent vorzugsweise hinweist. Die Pianistin Frl.
Anna Mehlig zeigte in ihrem Concerte elegantes Spiel, ausgebildete Tech¬
nik, richtige Auffassung; doch fehlte demselben leider der frische Zug, der den
Zuhörer zu größerem Interesse anregt; der Eindruck war daher von keiner
Nachhaltigkeit. Unter den einheimischen Pianisten gab Joseph Labor in
zwei Concerten abermals Beweise seines schönen Talentes. Die Sicherheit,
welche der des Augenlichts beraubte Künstler in seinem Spiel entwickelt, ist
staunenswerth; damit geht Hand in Hand eine seelische Ausdrucksweise, die
beweist, daß der Spieler den Verlust des einen Sinnes auf andere Art zu
ersetzen weiß. Der hier mit Recht beliebte Pianist I. Epst ein führte in
seinem diesjährigen Concert ein Clavierconcert (v-aur) von I. Hahdn aus,
in dem namentlich der letzte Satz mit seinen ungarischen Anklängen voll spru¬
delnder Frische dem Klavierspieler eine dankbare Aufgabe bietet. Das
Orchester tritt wenig vollständig auf und zeigt noch nicht jenes wechselseitige
Zusammenwirken zwischen Hauptstimme und Begleitung, worin Mozart in
seinen späteren Schöpfungen der Art (denn Haydn's Concert fällt noch in
seine frühere Periode) so herrliches geschaffen. Ein reizendes Andante aus
Mozarts Clavierconcert Ur. 19 sM-aur) zeigte recht auffällig den erwähnten
Fortschritt in dieser Compositionsgattung. Der meisterhaft gespielten Sonate,
op. 122, von Schubert gingen zwei, von Frl. Helene Magnus in richtigem
Ton vorgetragene schottische Lieder von Beethoven voraus, denen man viel
zu selten in Concerten begegnet. Auch Haydn hatte eine große Anzahl dieser,
uns so lebhast in die schottischen Hochlande versetzenden Melodien bearbeitet;
ja, er gewann diese Arbeit so lieb, daß er ordentlich stolz darauf sagte:
,Mi paulo al ciussto lavvro, e xer ein> wi lusinZo all vivers in Lcviiia,
molli imm üopxo ig. wia mores."

Nebst drei Quartettproductionen gab Joachim zwei Concerte im großen
Redoutensaale und zwei mit Brahms zusammen im Musikvereinssaal.
Joachim hat abermals bewährt, daß sich in ihm alles vereinigt, was den
Künstler auf die höchste Stufe der Meisterschaft stellt. Sein Einfluß auf die
Veredlung des musikalischen Geschmacks ist unberechenbar. Er spielte diesmal
vier Concerte: von Beethoven, Viotti, und zwei eigener Composition, von
denen das neue in gleich dem schon bekannten ungarischen mehr sym¬
phonisch angelegt ist. Der Componist verschmäht es hier, sich als Virtuose
vorzudrängen; klar geformt, vortrefflich instrumentirt kann es eben vom
virtuosen Standpunkte aus besehen dock) nicht zu den sogenannten dankbaren
Aufgaben gerechnet werden. Besser entspricht diesem Zweck Viottis Concert


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_362043/339>, abgerufen am 15.01.2025.