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Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, I. Semester. II. Band.

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genossen derselben vom 6. Mai dergestalt, daß den Nationalliberalen kaum
etwas zu thun übrig blieb. Gleichwohl nahmen auch verschiedene ihrer
Redner einen hervorragenden Antheil an der Debatte: Bamberger, Metz,
Laster und vor allen Volk, der "größte Redner Süddeutschlands", der sich
bisher ganz stumm verhalten hatte, am 19. Mai aber den ihm vorher¬
gehenden Ruf auf's glänzendste rechtfertigte. Es war für die preußischen
Conservativen augenscheinlich wie eine Entdeckung, daß ein Mann aus dem
dänischen Schwaben, gewählt am Rande des Bodensees, ein Mann der sich
obendrein statistisch einen seinen Gegnern gleichkommenden Anhang vindiciren
konnte, so gut norddeutsche und preußische Gesinnungen an den Tag legte.
Bisher hatten sie einen solchen Grad von Eifer, für Herstellung der politischen
Einheit des Vaterlands, jedenfalls nur Hessen und Badensern zugetraut.
Volk riß vor ihren Blicken die trügerische Hülle hinweg, durch welche sie in
dem größten süddeutschen Staate lauter Gleichgesinnte der Herren v. Thüngen,
Jörg und Sepp, lauter gleich hartgesottene Particularisten, wie die siebzehn
Schwaben-Vertreter erblickt hatten. Der kurze untersetzte Mann mit dem
germanisch blonden Vollbart und der Löwenstimme sprach denn doch etwas
anders zu der Vernunft, dem Herzen und dem Geiste seiner Hörer, als vor
ihm der dünnere Fisteltenor Moritz Mohls, die glatte Kälte Probsts und Herrn
von Neurath's eintönige Wiederholung der abgedroschenen alten Vertrags-
Melodie. Hier vernahm man wirklich einmal redliche und glühende Liebe
zum deutschen Vaterlande, nicht bloße höfliche oder scheinheilige Redensarten.
Graf Bismarck hatte vorher die Enthaltsamkeit der norddeutschen Politik dem
Süden gegenüber nochmals aufs schneidendste betont. Den Particularisten
konnte dieses Stück seiner Erklärung natürlich nur beruhigend lauten. Volk
hatte es anders aufgefaßt. Er empfand es wie einen Mangel an bundes-
genössischem Wohlwollen und führte seinen Landsleuten zu Gemüthe, wieviel
besser es für sie sein würde, wenn ihr Anschluß an das geeinte Ganze sich
vollziehen könne vor der völligen Beendigung des Baus. Ich bin überzeugt,
daß diese Auffassung wie die ganze vortreffliche Rede den mit Süddeutschland
minder bekannten Hörern eine neue Vorstellung von der Lage eröffnet hat.
Insofern hat Volks endliches Hervortreten das Werk der Einigung eine
gute Strecke Wegs vorwärtsgeschoben.

Das ganze Zollparlament aber, das dünkt mir klar, ist durch die ereigniß-
reiche Sitzung vom 18. Mai auf eine höhere Stufe gehoben. Diese hat reichlich
nachgeholt, was durch die Ablehnung des Adreßentwurfs verfehlt worden
war. Sie hat die Auseinandersetzung der Patrioten und der Particularisten,
welche unmöglich unterbleiben konnte, in einen für die nationale Partei unzwei¬
felhaft viel günstigeren Zeitpunkt verlegt. Der Idee des Adreßantrags hat sie
aufs bündigste Recht, ihrer Verwirklichung in dieser Form einigermaßen Un-


genossen derselben vom 6. Mai dergestalt, daß den Nationalliberalen kaum
etwas zu thun übrig blieb. Gleichwohl nahmen auch verschiedene ihrer
Redner einen hervorragenden Antheil an der Debatte: Bamberger, Metz,
Laster und vor allen Volk, der „größte Redner Süddeutschlands", der sich
bisher ganz stumm verhalten hatte, am 19. Mai aber den ihm vorher¬
gehenden Ruf auf's glänzendste rechtfertigte. Es war für die preußischen
Conservativen augenscheinlich wie eine Entdeckung, daß ein Mann aus dem
dänischen Schwaben, gewählt am Rande des Bodensees, ein Mann der sich
obendrein statistisch einen seinen Gegnern gleichkommenden Anhang vindiciren
konnte, so gut norddeutsche und preußische Gesinnungen an den Tag legte.
Bisher hatten sie einen solchen Grad von Eifer, für Herstellung der politischen
Einheit des Vaterlands, jedenfalls nur Hessen und Badensern zugetraut.
Volk riß vor ihren Blicken die trügerische Hülle hinweg, durch welche sie in
dem größten süddeutschen Staate lauter Gleichgesinnte der Herren v. Thüngen,
Jörg und Sepp, lauter gleich hartgesottene Particularisten, wie die siebzehn
Schwaben-Vertreter erblickt hatten. Der kurze untersetzte Mann mit dem
germanisch blonden Vollbart und der Löwenstimme sprach denn doch etwas
anders zu der Vernunft, dem Herzen und dem Geiste seiner Hörer, als vor
ihm der dünnere Fisteltenor Moritz Mohls, die glatte Kälte Probsts und Herrn
von Neurath's eintönige Wiederholung der abgedroschenen alten Vertrags-
Melodie. Hier vernahm man wirklich einmal redliche und glühende Liebe
zum deutschen Vaterlande, nicht bloße höfliche oder scheinheilige Redensarten.
Graf Bismarck hatte vorher die Enthaltsamkeit der norddeutschen Politik dem
Süden gegenüber nochmals aufs schneidendste betont. Den Particularisten
konnte dieses Stück seiner Erklärung natürlich nur beruhigend lauten. Volk
hatte es anders aufgefaßt. Er empfand es wie einen Mangel an bundes-
genössischem Wohlwollen und führte seinen Landsleuten zu Gemüthe, wieviel
besser es für sie sein würde, wenn ihr Anschluß an das geeinte Ganze sich
vollziehen könne vor der völligen Beendigung des Baus. Ich bin überzeugt,
daß diese Auffassung wie die ganze vortreffliche Rede den mit Süddeutschland
minder bekannten Hörern eine neue Vorstellung von der Lage eröffnet hat.
Insofern hat Volks endliches Hervortreten das Werk der Einigung eine
gute Strecke Wegs vorwärtsgeschoben.

Das ganze Zollparlament aber, das dünkt mir klar, ist durch die ereigniß-
reiche Sitzung vom 18. Mai auf eine höhere Stufe gehoben. Diese hat reichlich
nachgeholt, was durch die Ablehnung des Adreßentwurfs verfehlt worden
war. Sie hat die Auseinandersetzung der Patrioten und der Particularisten,
welche unmöglich unterbleiben konnte, in einen für die nationale Partei unzwei¬
felhaft viel günstigeren Zeitpunkt verlegt. Der Idee des Adreßantrags hat sie
aufs bündigste Recht, ihrer Verwirklichung in dieser Form einigermaßen Un-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_362043/323>, abgerufen am 15.01.2025.