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Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, I. Semester. II. Band.

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Rücksichtslosigkeit in der Verleugnung der höheren Gesichtspunkte zusammen¬
hängt, im Süden noch ungleich breitere Wurzeln haben, als in dem volks-
wirthschaftlich aufgeklärteren Norden.

Für das Scheitern der Vorlage lassen sich ihre unmittelbaren Verthei¬
diger nicht verantwortlich machen. Die Geheimräthe Michaelis (vom Bun¬
deskanzleramt) und Scheele (vom preußischen Finanzministerium) haben der
eine die finanzielle Berechtigung höherer Sätze, der andere die relative tech¬
nische Vorzüglichkeit der Bodensteuer und das gewählte Verhältniß zwischen
Steuer und Zoll so geschickt und auch, was den nächsten Eindruck ihrer
Worte im Hause betrifft, so erfolgreich vertreten, wie es unter den gegebenen
Umständen nur immer möglich war. Man kann bedauern, daß Geheimrath
Michaelis genöthigt erschien, seine neue Carriere mit keiner seiner Stellung
und Begabung besser entsprechenden Aufgabe zu beginnen (nachdem etwas
ähnliches schon bei der von ihm mitentworfenen und in der Reichstagscom¬
mission mitverfochtenen Gewerbegesetzvorlage zu constatiren gewesen war);
aber nur feindselige Blindheit könnte behaupten, daß mehr Scharfsinn. Stu-
dium oder Beredsamkeit, von seiner Seite aufgewandt, die Tabaksvorlage
hätte retten können. Ihr Schicksal war eigentlich schon besiegelt, als das
Parlament zusammentrat. Es war vorherzusehen, daß politische Rücksichten
auf den Süden -- Rücksichten von besser begründeter Art, als die den süd¬
deutschen Abgeordneten ohne Unterschied hier anfangs entgegengetragenen --
eine große Anzahl von Mitgliedern äußerst abgeneigt stimmen würden, we¬
sentlich mehr zu thun, als die norddeutsche Steuer den Verträgen gemäß auf
den Süden auszudehnen. Diese Steuer gleichzeitig namhaft zu erhöhen hatte
sowohl die allgemeine Rücksicht aus die Menge der davon hart betroffenen
kleinen Tabaksbauer gegen sich, wie die höchst berechtigte Rücksicht auf den
Umstand, daß diese Tabaksbauer vorzugsweise gerade in den dem Norden
am günstigsten gestimmten Theilen Süddeutschlands wohnen, Baden, Franken
und Rheinbaiern. Es konnte gewiß nicht wünschenswert!) erscheinen, die
Wucht der ersten großen Maßregel des Zollparlaments gerade auf diejenigen
Süddeutschen fallen zu lassen, welche sich am wenigsten gegen eine innigere
Verbindung mit dem Norden gestemmt hatten, und so vielleicht die na¬
tionale Gesinnung da an der Wurzel zu beschädigen, wo ihr Vorhandensein
im vaterländischen Interesse am allerwichtigsten ist. Einer Erhöhung der
Tabaksbesteuerung in diesem Augenblicke mußten große, nur so zu erlan¬
gende und ganz Deutschland gleichmäßig zu Gute kommende volksrvirth-
schaftliche Erleichterungen gegenüberstehen, wenn sie auf Annahme sollte
rechnen dürfen. Davon aber konnte ernstlich nicht die Rede sein. Die Aus¬
fälle durch gleichzeitig aufzuhebende oder herabzusetzende andere Zölle reichten
keineswegs hin, die Forderung eines so erheblichen Mehrertrages vom Tabak


Rücksichtslosigkeit in der Verleugnung der höheren Gesichtspunkte zusammen¬
hängt, im Süden noch ungleich breitere Wurzeln haben, als in dem volks-
wirthschaftlich aufgeklärteren Norden.

Für das Scheitern der Vorlage lassen sich ihre unmittelbaren Verthei¬
diger nicht verantwortlich machen. Die Geheimräthe Michaelis (vom Bun¬
deskanzleramt) und Scheele (vom preußischen Finanzministerium) haben der
eine die finanzielle Berechtigung höherer Sätze, der andere die relative tech¬
nische Vorzüglichkeit der Bodensteuer und das gewählte Verhältniß zwischen
Steuer und Zoll so geschickt und auch, was den nächsten Eindruck ihrer
Worte im Hause betrifft, so erfolgreich vertreten, wie es unter den gegebenen
Umständen nur immer möglich war. Man kann bedauern, daß Geheimrath
Michaelis genöthigt erschien, seine neue Carriere mit keiner seiner Stellung
und Begabung besser entsprechenden Aufgabe zu beginnen (nachdem etwas
ähnliches schon bei der von ihm mitentworfenen und in der Reichstagscom¬
mission mitverfochtenen Gewerbegesetzvorlage zu constatiren gewesen war);
aber nur feindselige Blindheit könnte behaupten, daß mehr Scharfsinn. Stu-
dium oder Beredsamkeit, von seiner Seite aufgewandt, die Tabaksvorlage
hätte retten können. Ihr Schicksal war eigentlich schon besiegelt, als das
Parlament zusammentrat. Es war vorherzusehen, daß politische Rücksichten
auf den Süden — Rücksichten von besser begründeter Art, als die den süd¬
deutschen Abgeordneten ohne Unterschied hier anfangs entgegengetragenen —
eine große Anzahl von Mitgliedern äußerst abgeneigt stimmen würden, we¬
sentlich mehr zu thun, als die norddeutsche Steuer den Verträgen gemäß auf
den Süden auszudehnen. Diese Steuer gleichzeitig namhaft zu erhöhen hatte
sowohl die allgemeine Rücksicht aus die Menge der davon hart betroffenen
kleinen Tabaksbauer gegen sich, wie die höchst berechtigte Rücksicht auf den
Umstand, daß diese Tabaksbauer vorzugsweise gerade in den dem Norden
am günstigsten gestimmten Theilen Süddeutschlands wohnen, Baden, Franken
und Rheinbaiern. Es konnte gewiß nicht wünschenswert!) erscheinen, die
Wucht der ersten großen Maßregel des Zollparlaments gerade auf diejenigen
Süddeutschen fallen zu lassen, welche sich am wenigsten gegen eine innigere
Verbindung mit dem Norden gestemmt hatten, und so vielleicht die na¬
tionale Gesinnung da an der Wurzel zu beschädigen, wo ihr Vorhandensein
im vaterländischen Interesse am allerwichtigsten ist. Einer Erhöhung der
Tabaksbesteuerung in diesem Augenblicke mußten große, nur so zu erlan¬
gende und ganz Deutschland gleichmäßig zu Gute kommende volksrvirth-
schaftliche Erleichterungen gegenüberstehen, wenn sie auf Annahme sollte
rechnen dürfen. Davon aber konnte ernstlich nicht die Rede sein. Die Aus¬
fälle durch gleichzeitig aufzuhebende oder herabzusetzende andere Zölle reichten
keineswegs hin, die Forderung eines so erheblichen Mehrertrages vom Tabak


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[0321] Rücksichtslosigkeit in der Verleugnung der höheren Gesichtspunkte zusammen¬ hängt, im Süden noch ungleich breitere Wurzeln haben, als in dem volks- wirthschaftlich aufgeklärteren Norden. Für das Scheitern der Vorlage lassen sich ihre unmittelbaren Verthei¬ diger nicht verantwortlich machen. Die Geheimräthe Michaelis (vom Bun¬ deskanzleramt) und Scheele (vom preußischen Finanzministerium) haben der eine die finanzielle Berechtigung höherer Sätze, der andere die relative tech¬ nische Vorzüglichkeit der Bodensteuer und das gewählte Verhältniß zwischen Steuer und Zoll so geschickt und auch, was den nächsten Eindruck ihrer Worte im Hause betrifft, so erfolgreich vertreten, wie es unter den gegebenen Umständen nur immer möglich war. Man kann bedauern, daß Geheimrath Michaelis genöthigt erschien, seine neue Carriere mit keiner seiner Stellung und Begabung besser entsprechenden Aufgabe zu beginnen (nachdem etwas ähnliches schon bei der von ihm mitentworfenen und in der Reichstagscom¬ mission mitverfochtenen Gewerbegesetzvorlage zu constatiren gewesen war); aber nur feindselige Blindheit könnte behaupten, daß mehr Scharfsinn. Stu- dium oder Beredsamkeit, von seiner Seite aufgewandt, die Tabaksvorlage hätte retten können. Ihr Schicksal war eigentlich schon besiegelt, als das Parlament zusammentrat. Es war vorherzusehen, daß politische Rücksichten auf den Süden — Rücksichten von besser begründeter Art, als die den süd¬ deutschen Abgeordneten ohne Unterschied hier anfangs entgegengetragenen — eine große Anzahl von Mitgliedern äußerst abgeneigt stimmen würden, we¬ sentlich mehr zu thun, als die norddeutsche Steuer den Verträgen gemäß auf den Süden auszudehnen. Diese Steuer gleichzeitig namhaft zu erhöhen hatte sowohl die allgemeine Rücksicht aus die Menge der davon hart betroffenen kleinen Tabaksbauer gegen sich, wie die höchst berechtigte Rücksicht auf den Umstand, daß diese Tabaksbauer vorzugsweise gerade in den dem Norden am günstigsten gestimmten Theilen Süddeutschlands wohnen, Baden, Franken und Rheinbaiern. Es konnte gewiß nicht wünschenswert!) erscheinen, die Wucht der ersten großen Maßregel des Zollparlaments gerade auf diejenigen Süddeutschen fallen zu lassen, welche sich am wenigsten gegen eine innigere Verbindung mit dem Norden gestemmt hatten, und so vielleicht die na¬ tionale Gesinnung da an der Wurzel zu beschädigen, wo ihr Vorhandensein im vaterländischen Interesse am allerwichtigsten ist. Einer Erhöhung der Tabaksbesteuerung in diesem Augenblicke mußten große, nur so zu erlan¬ gende und ganz Deutschland gleichmäßig zu Gute kommende volksrvirth- schaftliche Erleichterungen gegenüberstehen, wenn sie auf Annahme sollte rechnen dürfen. Davon aber konnte ernstlich nicht die Rede sein. Die Aus¬ fälle durch gleichzeitig aufzuhebende oder herabzusetzende andere Zölle reichten keineswegs hin, die Forderung eines so erheblichen Mehrertrages vom Tabak

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_362043/321>, abgerufen am 15.01.2025.