Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, I. Semester. II. Band.stehen dem konstitutionellen Verein, der sich unlängst gebildet hat und 40 Ja, sagte ein innsbrucker Advocat zu mir, wir haben viel Bildung unter Jak. Gilden. 40*
stehen dem konstitutionellen Verein, der sich unlängst gebildet hat und 40 Ja, sagte ein innsbrucker Advocat zu mir, wir haben viel Bildung unter Jak. Gilden. 40*
<TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0319" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/117851"/> <p xml:id="ID_1036" prev="#ID_1035"> stehen dem konstitutionellen Verein, der sich unlängst gebildet hat und 40<lb/> Mitglieder zählt, nur geringe Mittel zu Gebote. Die ultramontane Partei<lb/> dagegen gebietet über das Fett des Landes, und die zahlreichen katholischen<lb/> Vereine machen kostspielige Kundgebungen. So pilgert in den nächsten Ta¬<lb/> gen ein Seelenhirt mit acht Schäflein nach Rom, um dort im Namen des<lb/> tiroler Volkes einen Aufschrei gegen die Vergewaltigungen des wiener Reichs¬<lb/> tages zu thun und dafür den Segen des heiligen Vaters nebst einem Bün¬<lb/> delchen alter Bannstrahlen heimzubringen. Die Pilger sind aus Gratsch und<lb/> Algund; diese Dörfer stehen auf der Stätte des Rosengartens, der vor tau¬<lb/> send Jahren dem König Laurin gehörte; ein bloßer Goldfäden, um den wun¬<lb/> derreichen Garten.gezogen, schützte ihn vor dem Einbruch des Fremdlings.<lb/> Wie der Rosengarten der holdeste Punkt in ganz Tirol, so war Tirol noch<lb/> vor Kurzem das reinste aller Alpenlande. Die Glaubenseinheit bildete den<lb/> goldenen Faden, der jede Befleckung fern hielt. Aber Eisenbahnen, Kurgäste<lb/> und Reichstagsbeschlüsse arbeiten seit lange schon daran, den Grenzfaden zu<lb/> zerstören, und die Heiligen im Himmel — wer hätte es gedacht — spielen<lb/> Nichtintervention! Doch fiel unlängst ein großer Felsblock auf die Schienen<lb/> der Brennerbahn. Fromme Männer und Weiber, die keinen Kurgast im<lb/> Hause haben, deuteten mit dem Finger nach oben. Treuer Brenner, seufzten<lb/> sie, hast Du nicht mehr solcher Steinchen? Eine neue Landplage ist der<lb/> meraner Turnverein, der die hiesige Jugend mit protestantischen Knaben aus<lb/> dem Norden zusammenbringt und die Deutschthümelei einschleppe. Ein paar<lb/> Kanzeln donnern gegen das ausländische Treiben, doch wer weiß, ob das<lb/> bloße Predigen viel helfen wird, da die Behörden die Kirche im Stich lassen.<lb/> Die Landbevölkerung horcht manchmal noch auf das Wort der Geweihten.<lb/> Wenn ein paar Turner im Sommer über die Wiese gehn und sich in die<lb/> kühlen Wogen der Etsch werfen, dann kommt wohl der Hirtenbub vom Ab¬<lb/> hang des Marlingers ans Ufer herab, bewirft die „schamlosen Herrenleute,<lb/> die keine Religion haben" mit faustgroßen Steinen und schleudert ihre Klei¬<lb/> der ihnen ins Wasser nach.</p><lb/> <p xml:id="ID_1037"> Ja, sagte ein innsbrucker Advocat zu mir, wir haben viel Bildung unter<lb/> unsern Geistlichen! Es ist nur ein Glück, erstens, daß das Ländchen kein<lb/> unabhängiger Staat mit allgemeinem Stimmrecht ist, und dann, daß unsere<lb/> Bauern von Natur doch sehr gutmüthig sind, sonst —!</p><lb/> <note type="byline"> Jak. Gilden.</note><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> <fw type="sig" place="bottom"> 40*</fw><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0319]
stehen dem konstitutionellen Verein, der sich unlängst gebildet hat und 40
Mitglieder zählt, nur geringe Mittel zu Gebote. Die ultramontane Partei
dagegen gebietet über das Fett des Landes, und die zahlreichen katholischen
Vereine machen kostspielige Kundgebungen. So pilgert in den nächsten Ta¬
gen ein Seelenhirt mit acht Schäflein nach Rom, um dort im Namen des
tiroler Volkes einen Aufschrei gegen die Vergewaltigungen des wiener Reichs¬
tages zu thun und dafür den Segen des heiligen Vaters nebst einem Bün¬
delchen alter Bannstrahlen heimzubringen. Die Pilger sind aus Gratsch und
Algund; diese Dörfer stehen auf der Stätte des Rosengartens, der vor tau¬
send Jahren dem König Laurin gehörte; ein bloßer Goldfäden, um den wun¬
derreichen Garten.gezogen, schützte ihn vor dem Einbruch des Fremdlings.
Wie der Rosengarten der holdeste Punkt in ganz Tirol, so war Tirol noch
vor Kurzem das reinste aller Alpenlande. Die Glaubenseinheit bildete den
goldenen Faden, der jede Befleckung fern hielt. Aber Eisenbahnen, Kurgäste
und Reichstagsbeschlüsse arbeiten seit lange schon daran, den Grenzfaden zu
zerstören, und die Heiligen im Himmel — wer hätte es gedacht — spielen
Nichtintervention! Doch fiel unlängst ein großer Felsblock auf die Schienen
der Brennerbahn. Fromme Männer und Weiber, die keinen Kurgast im
Hause haben, deuteten mit dem Finger nach oben. Treuer Brenner, seufzten
sie, hast Du nicht mehr solcher Steinchen? Eine neue Landplage ist der
meraner Turnverein, der die hiesige Jugend mit protestantischen Knaben aus
dem Norden zusammenbringt und die Deutschthümelei einschleppe. Ein paar
Kanzeln donnern gegen das ausländische Treiben, doch wer weiß, ob das
bloße Predigen viel helfen wird, da die Behörden die Kirche im Stich lassen.
Die Landbevölkerung horcht manchmal noch auf das Wort der Geweihten.
Wenn ein paar Turner im Sommer über die Wiese gehn und sich in die
kühlen Wogen der Etsch werfen, dann kommt wohl der Hirtenbub vom Ab¬
hang des Marlingers ans Ufer herab, bewirft die „schamlosen Herrenleute,
die keine Religion haben" mit faustgroßen Steinen und schleudert ihre Klei¬
der ihnen ins Wasser nach.
Ja, sagte ein innsbrucker Advocat zu mir, wir haben viel Bildung unter
unsern Geistlichen! Es ist nur ein Glück, erstens, daß das Ländchen kein
unabhängiger Staat mit allgemeinem Stimmrecht ist, und dann, daß unsere
Bauern von Natur doch sehr gutmüthig sind, sonst —!
Jak. Gilden.
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