Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, I. Semester. II. Band."Schöpfungen des staatenbildenden Triebes im deutschen Volke" mit gebüh¬ Neuerdings scheint es nun, als ob auch in Deutschland die englisch-fran¬ Gerne brächten wir, was wir unter dem Namen des großherzoglich hes¬ Grenzboten II. 1868. 39
„Schöpfungen des staatenbildenden Triebes im deutschen Volke" mit gebüh¬ Neuerdings scheint es nun, als ob auch in Deutschland die englisch-fran¬ Gerne brächten wir, was wir unter dem Namen des großherzoglich hes¬ Grenzboten II. 1868. 39
<TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0309" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/117841"/> <p xml:id="ID_1011" prev="#ID_1010"> „Schöpfungen des staatenbildenden Triebes im deutschen Volke" mit gebüh¬<lb/> render Ehrfurcht und wissenschaftlicher Gründlichkeit behandelt wurden. Wer<lb/> solche Ausdrücke, ins Französische oder Englische übersetzen wollte, der dürfte<lb/> sich gehörig den Kopf zerbrechen und zuletzt doch nur eine jener steifen Um¬<lb/> schreibungen aushecken, mit welchen wir in deutsch-lateinischen Wörterbüchern<lb/> Worte wie „Nähmaschine" und „Panzerfregatte" in das Idiom des Cicero<lb/> und des Tacitus übertragen finden. Gerade so nämlich, wie die Toga des<lb/> Cicero nicht mittelst einer Nähmaschine gesäumt wurde, wie der von Tacitus<lb/> beschriebene Angriff des Tiberius aus die Nordseeküsten nicht durch Panzer-,<lb/> fregatten geschah. gerade so pflegen Franzosen und Belgier, Engländer und<lb/> Amerikaner ihre Staatseinrichtungen nicht aus den unergründlichen Tiefen des<lb/> staatenbildenden Volksgeistes, sondern mit frivoler Oberflächlichkeit aus dem<lb/> die Bedürfnisse der Bevölkerungen zu Rathe haltenden gesunden Menschen¬<lb/> verstande hervorgehen zu lassen. Kein Wunder, daß ihnen, denen das Ding<lb/> selbst fehlt, auch das Wort dafür gebricht.</p><lb/> <p xml:id="ID_1012"> Neuerdings scheint es nun, als ob auch in Deutschland die englisch-fran¬<lb/> zösische, auf dem armseligen Prinzip der Zweckmäßigkeit beruhende Staats¬<lb/> und Gesetzmacherei an die Stelle der an eigenthümlichen Bildungen reichen<lb/> organischen Entwickelung des deutschen Staatslebens treten solle. Angesichts<lb/> der auf Herstellung einer mechanischen Uniformität und Verherrlichung der<lb/> materialistischen Nützlichkeit gerichteten Bestrebungen des großpreußischen Cä¬<lb/> sarismus ist es eine wahre Genugthuung, zu sehen, wie die unverwüstliche<lb/> Lebenskraft des deutschen Volkes nicht aufhört, sich in Erzeugung neuer ur¬<lb/> eigenthümlicher Gastaltungen zu bethätigen, deren Werth, wer daran den<lb/> Maßstab platter Verständlichkeit legen will, nicht zu würdigen vermag. Eine<lb/> dieser Gestaltungen, welche in einem kleinen Theile des weiteren Vaterlan¬<lb/> des sich vollziehend die Augen der Freunde echter deutscher Staatsentwicke¬<lb/> lung noch nicht wie sie verdiente auf sich gezogen hat, wollen wir denselben<lb/> zum Trost in den gegenwärtigen trüben Zeitläuften und als Verheißung einer<lb/> besseren Zukunft vorführen.</p><lb/> <p xml:id="ID_1013" next="#ID_1014"> Gerne brächten wir, was wir unter dem Namen des großherzoglich hes¬<lb/> sischen Dualismus als ein neues originelles Gebilde des deutschen Geistes<lb/> begrüßen, mit dem besser bekannten östreichischen Dualismus in inneren<lb/> Zusammenhang. Allein obwohl es einst in schöneren Tagen nicht an den<lb/> Anzeichen einer engeren Verwandtschaft zwischen dem Habsburgischen Kaiser-<lb/> staate und dem kleinen Reiche der Großherzoge von Hessen und bei Rhein<lb/> gefehlt hat — wir brauchen nur an die merkwürdige Analogie des östreichi¬<lb/> schen Concordates und der Dalwigk-Ketteler'schen sog. Mainzer Convention<lb/> Zu erinnern — so ist es doch gewiß, daß Oestreich heute in betrübender Weise<lb/> seiner wahren Natur untreu wird und daß die Sympathien der hessischen</p><lb/> <fw type="sig" place="bottom"> Grenzboten II. 1868. 39</fw><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0309]
„Schöpfungen des staatenbildenden Triebes im deutschen Volke" mit gebüh¬
render Ehrfurcht und wissenschaftlicher Gründlichkeit behandelt wurden. Wer
solche Ausdrücke, ins Französische oder Englische übersetzen wollte, der dürfte
sich gehörig den Kopf zerbrechen und zuletzt doch nur eine jener steifen Um¬
schreibungen aushecken, mit welchen wir in deutsch-lateinischen Wörterbüchern
Worte wie „Nähmaschine" und „Panzerfregatte" in das Idiom des Cicero
und des Tacitus übertragen finden. Gerade so nämlich, wie die Toga des
Cicero nicht mittelst einer Nähmaschine gesäumt wurde, wie der von Tacitus
beschriebene Angriff des Tiberius aus die Nordseeküsten nicht durch Panzer-,
fregatten geschah. gerade so pflegen Franzosen und Belgier, Engländer und
Amerikaner ihre Staatseinrichtungen nicht aus den unergründlichen Tiefen des
staatenbildenden Volksgeistes, sondern mit frivoler Oberflächlichkeit aus dem
die Bedürfnisse der Bevölkerungen zu Rathe haltenden gesunden Menschen¬
verstande hervorgehen zu lassen. Kein Wunder, daß ihnen, denen das Ding
selbst fehlt, auch das Wort dafür gebricht.
Neuerdings scheint es nun, als ob auch in Deutschland die englisch-fran¬
zösische, auf dem armseligen Prinzip der Zweckmäßigkeit beruhende Staats¬
und Gesetzmacherei an die Stelle der an eigenthümlichen Bildungen reichen
organischen Entwickelung des deutschen Staatslebens treten solle. Angesichts
der auf Herstellung einer mechanischen Uniformität und Verherrlichung der
materialistischen Nützlichkeit gerichteten Bestrebungen des großpreußischen Cä¬
sarismus ist es eine wahre Genugthuung, zu sehen, wie die unverwüstliche
Lebenskraft des deutschen Volkes nicht aufhört, sich in Erzeugung neuer ur¬
eigenthümlicher Gastaltungen zu bethätigen, deren Werth, wer daran den
Maßstab platter Verständlichkeit legen will, nicht zu würdigen vermag. Eine
dieser Gestaltungen, welche in einem kleinen Theile des weiteren Vaterlan¬
des sich vollziehend die Augen der Freunde echter deutscher Staatsentwicke¬
lung noch nicht wie sie verdiente auf sich gezogen hat, wollen wir denselben
zum Trost in den gegenwärtigen trüben Zeitläuften und als Verheißung einer
besseren Zukunft vorführen.
Gerne brächten wir, was wir unter dem Namen des großherzoglich hes¬
sischen Dualismus als ein neues originelles Gebilde des deutschen Geistes
begrüßen, mit dem besser bekannten östreichischen Dualismus in inneren
Zusammenhang. Allein obwohl es einst in schöneren Tagen nicht an den
Anzeichen einer engeren Verwandtschaft zwischen dem Habsburgischen Kaiser-
staate und dem kleinen Reiche der Großherzoge von Hessen und bei Rhein
gefehlt hat — wir brauchen nur an die merkwürdige Analogie des östreichi¬
schen Concordates und der Dalwigk-Ketteler'schen sog. Mainzer Convention
Zu erinnern — so ist es doch gewiß, daß Oestreich heute in betrübender Weise
seiner wahren Natur untreu wird und daß die Sympathien der hessischen
Grenzboten II. 1868. 39
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