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Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, I. Semester. II. Band.

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die allerhöchste Genehmhaltung erlangen werde, -- so würden wir doch ein¬
tretenden Falles die ersten "sein, eine solche Verordnung zu respectiren und
von einem gesetzwidrig gewordenen Unternehmen abzustehen. Gibt es über¬
haupt in unserem Vaterlande noch Leute, die bereit sind, demselben mit Red¬
lichkeit, Treue und aufrichtiger Liebe zu dienen, so gehören wir entschieden
zu dieser Zahl, und uns in irgend etwas gegen unsere einheimische Gesetz¬
gebung verstoßendes einzulassen, liegt uns und unsersgleichen durchaus fern.
-- Heißt aber "die hohe Regierung verbietet den Muchbir" nichts als: das
Blatt steht dem oder jenem Minister nicht an; auf irgend einen Artikel der
bestehenden Gesetzgebung zurückzugehen hat er dabei nicht nöthig; er verbietet
das Blatt ohne weiteres, -- so fürchten wir uns vor so reiner Willkür
durchaus nicht, und wenn ein solcher Mensch seinerseits dem von uns ange¬
strebten Guten entgegentreten zu dürfen glaubt, so halten auch wir unserer¬
seits es nicht für unerlaubt, gegen sein Belieben Opposition zumachen. Das
wissen wir bestimmt, daß, wenn irgend einer von den Herren der Regierung
nach bloßem individuellen Belieben ein solches Verbot erlassen sollte"), er
nach dem türkischen Sprichworte "keinen Pflock in die Welt einschlagen"**)
wird. Oder auch, er tritt morgen ab, ein anderer kommt und wendet
dem Unternehmen Gunst und Förderung zu. Denn unsere Zeitung ist so
fest begründet, daß jedes persönliche und sachliche Hinderniß vor ihr
schwinden, sie selbst aber bestehen und leben wird, so lange das türkische
Volk lebt."

Eine solche Sprache ist mehr als orientalische Phraseologie; sie ist der
Ausdruck der Zuversicht, mit welcher die jungtürkische Partei dem Siege ihrer
Sache in der Umgebung des Sultans und den Regierungskreisen selbst ent¬
gegensieht. Jedenfalls hat sie in diesen Förderer und Anhänger, die, sowie sie
den Muchbir als Parteiorgan ins Leben gerufen haben, bei der ersten günstigen
Gelegenheit den Versuch machen werden, sich selbst und ihre Partei an das
Staatsruder zu bringen. Auf wie lange freilich Und mit welcher Gewähr
für die Durchführung des in den vorliegenden Nummern des Muchbir ent¬
wickelten Programms, -- wer vermöchte dies bei der Wandelbarkeit des ober¬
sten leitenden Willens und bei der überwältigenden Masse altererbter und
stets neu hinzukommender Schwierigkeiten auch nur mit annähernder Ge¬
wißheit zu beantworten? -- Von den hervorragenden Männern der Partei,
welche ihr Vaterland in der Absicht verlassen haben, die jetzige Regierung
von "Europa" aus desto sicherer und nachdrücklicher zu bekämpfen und nach
deren Sturze als Sieger in die Heimath zurückzukehren, nennt der Muchbir




") Nach Ur. 7. ist dies wirklich geschehen.
D. h. den natürlichen Lauf der Dinge hemmen, das Rad der Zeit zum Stillstande
bringen.

die allerhöchste Genehmhaltung erlangen werde, — so würden wir doch ein¬
tretenden Falles die ersten »sein, eine solche Verordnung zu respectiren und
von einem gesetzwidrig gewordenen Unternehmen abzustehen. Gibt es über¬
haupt in unserem Vaterlande noch Leute, die bereit sind, demselben mit Red¬
lichkeit, Treue und aufrichtiger Liebe zu dienen, so gehören wir entschieden
zu dieser Zahl, und uns in irgend etwas gegen unsere einheimische Gesetz¬
gebung verstoßendes einzulassen, liegt uns und unsersgleichen durchaus fern.
— Heißt aber „die hohe Regierung verbietet den Muchbir" nichts als: das
Blatt steht dem oder jenem Minister nicht an; auf irgend einen Artikel der
bestehenden Gesetzgebung zurückzugehen hat er dabei nicht nöthig; er verbietet
das Blatt ohne weiteres, — so fürchten wir uns vor so reiner Willkür
durchaus nicht, und wenn ein solcher Mensch seinerseits dem von uns ange¬
strebten Guten entgegentreten zu dürfen glaubt, so halten auch wir unserer¬
seits es nicht für unerlaubt, gegen sein Belieben Opposition zumachen. Das
wissen wir bestimmt, daß, wenn irgend einer von den Herren der Regierung
nach bloßem individuellen Belieben ein solches Verbot erlassen sollte"), er
nach dem türkischen Sprichworte „keinen Pflock in die Welt einschlagen"**)
wird. Oder auch, er tritt morgen ab, ein anderer kommt und wendet
dem Unternehmen Gunst und Förderung zu. Denn unsere Zeitung ist so
fest begründet, daß jedes persönliche und sachliche Hinderniß vor ihr
schwinden, sie selbst aber bestehen und leben wird, so lange das türkische
Volk lebt."

Eine solche Sprache ist mehr als orientalische Phraseologie; sie ist der
Ausdruck der Zuversicht, mit welcher die jungtürkische Partei dem Siege ihrer
Sache in der Umgebung des Sultans und den Regierungskreisen selbst ent¬
gegensieht. Jedenfalls hat sie in diesen Förderer und Anhänger, die, sowie sie
den Muchbir als Parteiorgan ins Leben gerufen haben, bei der ersten günstigen
Gelegenheit den Versuch machen werden, sich selbst und ihre Partei an das
Staatsruder zu bringen. Auf wie lange freilich Und mit welcher Gewähr
für die Durchführung des in den vorliegenden Nummern des Muchbir ent¬
wickelten Programms, — wer vermöchte dies bei der Wandelbarkeit des ober¬
sten leitenden Willens und bei der überwältigenden Masse altererbter und
stets neu hinzukommender Schwierigkeiten auch nur mit annähernder Ge¬
wißheit zu beantworten? — Von den hervorragenden Männern der Partei,
welche ihr Vaterland in der Absicht verlassen haben, die jetzige Regierung
von „Europa" aus desto sicherer und nachdrücklicher zu bekämpfen und nach
deren Sturze als Sieger in die Heimath zurückzukehren, nennt der Muchbir




") Nach Ur. 7. ist dies wirklich geschehen.
D. h. den natürlichen Lauf der Dinge hemmen, das Rad der Zeit zum Stillstande
bringen.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_362043/300>, abgerufen am 15.01.2025.