Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, I. Semester. II. Band.Gewiß ist es sehr verdienstlich, wenn ein Katalog es wenigstens versucht, Der berliner Katalog genügt den Anforderungen nicht, die man heut zu Zur Rechtfertigung unseres Urtheils verweilen wir ein wenig bei ein¬ 36*
Gewiß ist es sehr verdienstlich, wenn ein Katalog es wenigstens versucht, Der berliner Katalog genügt den Anforderungen nicht, die man heut zu Zur Rechtfertigung unseres Urtheils verweilen wir ein wenig bei ein¬ 36*
<TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0287" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/117819"/> <p xml:id="ID_900"> Gewiß ist es sehr verdienstlich, wenn ein Katalog es wenigstens versucht,<lb/> in großen Zügen die Hauptmomente der Entwickelung und des Verfalles der<lb/> Kunstthätigkeit innerhalb der Nation oder des Landestheiles zu skizziren,<lb/> nach denen die Bilder geordnet sind. Dem Beschauer zu erzählen, wann der<lb/> Maler, vor dessen Werke er steht, geboren und gestorben sei, ist sehr lehrreich;<lb/> nur müssen solche Angaben streng correct sein; wo Zweifel vorhanden sind,<lb/> muß es gesagt werden, sodaß die Controversen bestehen bleiben. Denn es<lb/> ist kein Vortheil, sondern schadet sehr, wenn Angaben als positiv hingestellt<lb/> werden, die zur Zeit noch Gegenstand wissenschaftlicher Untersuchungen sind,<lb/> wenn Stilbeschreibungen und Hypothesen über Ursprung und Verbreitung<lb/> von Malerschulen als thatsächlich festgestellt erscheinen, wo das erst in der<lb/> Zukunft möglich ist. Nach beiden Richtungen ist unablässig zu revidiren,<lb/> damit solche Angaben nicht mit den Resultaten in Widerspruch treten, welche<lb/> alle Jahre durch neue Forschungen gewonnen werden.</p><lb/> <p xml:id="ID_901"> Der berliner Katalog genügt den Anforderungen nicht, die man heut zu<lb/> Tage in dieser Beziehung zu stellen berechtigt ist; seine Darstellungen, veral¬<lb/> tet wie sie sind, bedürfen überall der Berichtigung, seine Einzelangaben sind oft<lb/> notorisch falsch, er ist sonach nichts weniger als das, was er sein will: ein<lb/> Handbuch, das geeignet wäre, beim Studium der Kunstgeschichte zu den<lb/> richtigen Gesichtspunkten anzuleiten.</p><lb/> <p xml:id="ID_902" next="#ID_903"> Zur Rechtfertigung unseres Urtheils verweilen wir ein wenig bei ein¬<lb/> zelnen Partien der Einleitung, welche einen Ueberblick über die Entwickelung<lb/> der christlichen Kunst zu geben versucht. Bei aller Kürze zeigt schon dieser<lb/> Abriß der Kritik mancherlei Blößen. Wenn z, B. berichtet wird, daß Giotto<lb/> seinen Bildern (S. XVIII) „eine bis dahin nicht gekannte Lebendigkeit er¬<lb/> theilte, aber durch willkürliche Behandlung der heiligen Gegenstände die vom<lb/> vorigen Jahrhundert verfolgte alttraditionelle Darstellungsart derselben unter¬<lb/> brach;" und dem nichts hinzugefügt ist, als daß er „zugleich allgemein die<lb/> sogenannte Tempera-Malerei der Italiener einführte, wobei die Farben mit<lb/> Eigelb und Pergamentleim gemischt werden" — so vermissen wir dabei ein<lb/> Wort über die eigentlichen Verdienste, die sich der größte Reformator jener<lb/> Zeit um die Kunst erworben hat. Denn nach der Beschaffenheit unserer<lb/> Kunde vom technischen Verfahren der frühesten Jahrhunderte ist es sehr zwei¬<lb/> felhaft, ob Giotto irgend welche eigenthümliche Mittel der Behandlung be¬<lb/> saß, die seinen Zeitgenossen fremd gewesen wären; aber unzweifelhaft ist, daß<lb/> er Begründer der Kunst malerischer Composition war. Auch die Behaup¬<lb/> tung, seine Kunstweise habe über ganz Italien Verbreitung gefunden, trifft<lb/> nicht zu; denn wir sind nicht im Stande, ihre Spuren in irgend einem<lb/> Theile Venedigs oder der Ländergruppe aufzuweisen, die sich nördlich und<lb/> östlich davon erstreckt, derselben, welche nachmals die Titian und Pordenone</p><lb/> <fw type="sig" place="bottom"> 36*</fw><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0287]
Gewiß ist es sehr verdienstlich, wenn ein Katalog es wenigstens versucht,
in großen Zügen die Hauptmomente der Entwickelung und des Verfalles der
Kunstthätigkeit innerhalb der Nation oder des Landestheiles zu skizziren,
nach denen die Bilder geordnet sind. Dem Beschauer zu erzählen, wann der
Maler, vor dessen Werke er steht, geboren und gestorben sei, ist sehr lehrreich;
nur müssen solche Angaben streng correct sein; wo Zweifel vorhanden sind,
muß es gesagt werden, sodaß die Controversen bestehen bleiben. Denn es
ist kein Vortheil, sondern schadet sehr, wenn Angaben als positiv hingestellt
werden, die zur Zeit noch Gegenstand wissenschaftlicher Untersuchungen sind,
wenn Stilbeschreibungen und Hypothesen über Ursprung und Verbreitung
von Malerschulen als thatsächlich festgestellt erscheinen, wo das erst in der
Zukunft möglich ist. Nach beiden Richtungen ist unablässig zu revidiren,
damit solche Angaben nicht mit den Resultaten in Widerspruch treten, welche
alle Jahre durch neue Forschungen gewonnen werden.
Der berliner Katalog genügt den Anforderungen nicht, die man heut zu
Tage in dieser Beziehung zu stellen berechtigt ist; seine Darstellungen, veral¬
tet wie sie sind, bedürfen überall der Berichtigung, seine Einzelangaben sind oft
notorisch falsch, er ist sonach nichts weniger als das, was er sein will: ein
Handbuch, das geeignet wäre, beim Studium der Kunstgeschichte zu den
richtigen Gesichtspunkten anzuleiten.
Zur Rechtfertigung unseres Urtheils verweilen wir ein wenig bei ein¬
zelnen Partien der Einleitung, welche einen Ueberblick über die Entwickelung
der christlichen Kunst zu geben versucht. Bei aller Kürze zeigt schon dieser
Abriß der Kritik mancherlei Blößen. Wenn z, B. berichtet wird, daß Giotto
seinen Bildern (S. XVIII) „eine bis dahin nicht gekannte Lebendigkeit er¬
theilte, aber durch willkürliche Behandlung der heiligen Gegenstände die vom
vorigen Jahrhundert verfolgte alttraditionelle Darstellungsart derselben unter¬
brach;" und dem nichts hinzugefügt ist, als daß er „zugleich allgemein die
sogenannte Tempera-Malerei der Italiener einführte, wobei die Farben mit
Eigelb und Pergamentleim gemischt werden" — so vermissen wir dabei ein
Wort über die eigentlichen Verdienste, die sich der größte Reformator jener
Zeit um die Kunst erworben hat. Denn nach der Beschaffenheit unserer
Kunde vom technischen Verfahren der frühesten Jahrhunderte ist es sehr zwei¬
felhaft, ob Giotto irgend welche eigenthümliche Mittel der Behandlung be¬
saß, die seinen Zeitgenossen fremd gewesen wären; aber unzweifelhaft ist, daß
er Begründer der Kunst malerischer Composition war. Auch die Behaup¬
tung, seine Kunstweise habe über ganz Italien Verbreitung gefunden, trifft
nicht zu; denn wir sind nicht im Stande, ihre Spuren in irgend einem
Theile Venedigs oder der Ländergruppe aufzuweisen, die sich nördlich und
östlich davon erstreckt, derselben, welche nachmals die Titian und Pordenone
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