Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, I. Semester. II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

Die Ausfuhr würde ohne Zweifel wachsen, ebenso auf der anderen Seite die
Einfuhr, die schon jetzt nach dem Obigen nicht unerheblich ist. Die Waare
würde überall den Markt aufsuchen, den sie mit dem geringsten Aufwand an
Transportspesen und der besten Aussicht auf lohnenden Absatz zu erreichen
vermöchte. Eine Preissteigerung würde vielleicht vorübergehend in geringem
Maße eintreten, aber schnell durch die Verwerthung der Vorräthe, die jetzt
in den Abfallhaufen zu Grunde gehen, mehr als ausgeglichen werden; und
so käme auf die Dauer die Wiederherstellung des naturgemäßen Zustandes
selbst unseren Fabrikanten zu gute. Das ist keine Hoffnung, die etwa in
der Luft schwebte. Die Theuerung der Wolle hat uns gelehrt, aus Abfällen
Garn zu spinnen; die Baumwollenkrisis, aus geringerem Rohstoff ein Halb¬
fabrikat zu liefern, das seine eigenthümlichen Vorzüge hat; der Seidenraupen¬
krankheit verdanken wir die Verwendung der Seidenabfälle, die früher unbe¬
nutzt verkamen, zu der beliebten Floretseide. So feiert die Industrie, in der
haushälterischer Verwerthung des Kleinen ihrer großen Lehrmeisterin Natur
nachahmend, die schönsten Triumphe, indem sie "aus der Noth eine Tugend
macht". Hier bedarf es nicht einmal einer besonderen Erfindung; nur den
natürlichen Anreiz zum Sa um ein und -- wodurch die Lumpen erst zu einer
marktfähigen Waare werden -- zum Sortiren soll man nicht verkümmern.
Geben doch, wie die Hamburger Handelskammer mit vollem Rechte hervor-
gehoben hat, diese beiden Manipulationen Tausenden von Händen Beschäf¬
tigung, die zu anderem Verdienst kaum tauglich sind. Eine sehr bescheidene
Industrie fürwahr; aber eine Industrie, die es nicht verdient, daß man ihr
den naturgemäßen Lohn verkümmere, um die stolze Papierfabrikation, die
1864 bereits 77,000 Ctr. ordinäres und 44,000 Ctr. feineres Papier expor-
tiren konnte, künstlich zu "schützen".

Viele werden uns beistimmen unter einer Bedingung: daß nämlich Oest¬
reich, Frankreich, die Schweiz u. f. w. uns Reciprocität gewähren. Denn
so große Fortschritte auch die Theorie des Freihandels gemacht hat, die alte
Terminologie steckt uns als Zopfende noch immer im Kragen: jede Verbes¬
serung unseres Tarifs fassen wir zunächst und vorzugsweise als eine "Con¬
cession" an eifersüchtige. Rivalen auf. Nun wäre freilich sehr zu wünschen,
daß namentlich Oestreich, wo mit anderen volkswirthschaftlichen Schätzen auch
die schönsten Lumpen in Menge verkümmern, wo man, wie bei uns vor 40,
6V Jahren, in naiver Unschuld die Reste aristokratischer Leibwäsche unsortirt
mit zu ordinären Packpapieren verwendet, uns zu seinem eigenen Nutzen Ge¬
legenheit geben möchte, seine Fabrikanten Sparsamkeit zu lehren, wozu eben
die Aufhebung des Ausfuhrzolles das natürliche Mittel wäre. Aber sollen
wir das zur Bedingung der eigenen Reform machen? Wir wünschen, daß
der Nachbar auf seinem Grundstücke den Schutt aufräumt; aber machen wir


34"

Die Ausfuhr würde ohne Zweifel wachsen, ebenso auf der anderen Seite die
Einfuhr, die schon jetzt nach dem Obigen nicht unerheblich ist. Die Waare
würde überall den Markt aufsuchen, den sie mit dem geringsten Aufwand an
Transportspesen und der besten Aussicht auf lohnenden Absatz zu erreichen
vermöchte. Eine Preissteigerung würde vielleicht vorübergehend in geringem
Maße eintreten, aber schnell durch die Verwerthung der Vorräthe, die jetzt
in den Abfallhaufen zu Grunde gehen, mehr als ausgeglichen werden; und
so käme auf die Dauer die Wiederherstellung des naturgemäßen Zustandes
selbst unseren Fabrikanten zu gute. Das ist keine Hoffnung, die etwa in
der Luft schwebte. Die Theuerung der Wolle hat uns gelehrt, aus Abfällen
Garn zu spinnen; die Baumwollenkrisis, aus geringerem Rohstoff ein Halb¬
fabrikat zu liefern, das seine eigenthümlichen Vorzüge hat; der Seidenraupen¬
krankheit verdanken wir die Verwendung der Seidenabfälle, die früher unbe¬
nutzt verkamen, zu der beliebten Floretseide. So feiert die Industrie, in der
haushälterischer Verwerthung des Kleinen ihrer großen Lehrmeisterin Natur
nachahmend, die schönsten Triumphe, indem sie „aus der Noth eine Tugend
macht". Hier bedarf es nicht einmal einer besonderen Erfindung; nur den
natürlichen Anreiz zum Sa um ein und — wodurch die Lumpen erst zu einer
marktfähigen Waare werden — zum Sortiren soll man nicht verkümmern.
Geben doch, wie die Hamburger Handelskammer mit vollem Rechte hervor-
gehoben hat, diese beiden Manipulationen Tausenden von Händen Beschäf¬
tigung, die zu anderem Verdienst kaum tauglich sind. Eine sehr bescheidene
Industrie fürwahr; aber eine Industrie, die es nicht verdient, daß man ihr
den naturgemäßen Lohn verkümmere, um die stolze Papierfabrikation, die
1864 bereits 77,000 Ctr. ordinäres und 44,000 Ctr. feineres Papier expor-
tiren konnte, künstlich zu „schützen".

Viele werden uns beistimmen unter einer Bedingung: daß nämlich Oest¬
reich, Frankreich, die Schweiz u. f. w. uns Reciprocität gewähren. Denn
so große Fortschritte auch die Theorie des Freihandels gemacht hat, die alte
Terminologie steckt uns als Zopfende noch immer im Kragen: jede Verbes¬
serung unseres Tarifs fassen wir zunächst und vorzugsweise als eine „Con¬
cession" an eifersüchtige. Rivalen auf. Nun wäre freilich sehr zu wünschen,
daß namentlich Oestreich, wo mit anderen volkswirthschaftlichen Schätzen auch
die schönsten Lumpen in Menge verkümmern, wo man, wie bei uns vor 40,
6V Jahren, in naiver Unschuld die Reste aristokratischer Leibwäsche unsortirt
mit zu ordinären Packpapieren verwendet, uns zu seinem eigenen Nutzen Ge¬
legenheit geben möchte, seine Fabrikanten Sparsamkeit zu lehren, wozu eben
die Aufhebung des Ausfuhrzolles das natürliche Mittel wäre. Aber sollen
wir das zur Bedingung der eigenen Reform machen? Wir wünschen, daß
der Nachbar auf seinem Grundstücke den Schutt aufräumt; aber machen wir


34"
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0271" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/117803"/>
          <p xml:id="ID_854" prev="#ID_853"> Die Ausfuhr würde ohne Zweifel wachsen, ebenso auf der anderen Seite die<lb/>
Einfuhr, die schon jetzt nach dem Obigen nicht unerheblich ist. Die Waare<lb/>
würde überall den Markt aufsuchen, den sie mit dem geringsten Aufwand an<lb/>
Transportspesen und der besten Aussicht auf lohnenden Absatz zu erreichen<lb/>
vermöchte. Eine Preissteigerung würde vielleicht vorübergehend in geringem<lb/>
Maße eintreten, aber schnell durch die Verwerthung der Vorräthe, die jetzt<lb/>
in den Abfallhaufen zu Grunde gehen, mehr als ausgeglichen werden; und<lb/>
so käme auf die Dauer die Wiederherstellung des naturgemäßen Zustandes<lb/>
selbst unseren Fabrikanten zu gute. Das ist keine Hoffnung, die etwa in<lb/>
der Luft schwebte. Die Theuerung der Wolle hat uns gelehrt, aus Abfällen<lb/>
Garn zu spinnen; die Baumwollenkrisis, aus geringerem Rohstoff ein Halb¬<lb/>
fabrikat zu liefern, das seine eigenthümlichen Vorzüge hat; der Seidenraupen¬<lb/>
krankheit verdanken wir die Verwendung der Seidenabfälle, die früher unbe¬<lb/>
nutzt verkamen, zu der beliebten Floretseide. So feiert die Industrie, in der<lb/>
haushälterischer Verwerthung des Kleinen ihrer großen Lehrmeisterin Natur<lb/>
nachahmend, die schönsten Triumphe, indem sie &#x201E;aus der Noth eine Tugend<lb/>
macht". Hier bedarf es nicht einmal einer besonderen Erfindung; nur den<lb/>
natürlichen Anreiz zum Sa um ein und &#x2014; wodurch die Lumpen erst zu einer<lb/>
marktfähigen Waare werden &#x2014; zum Sortiren soll man nicht verkümmern.<lb/>
Geben doch, wie die Hamburger Handelskammer mit vollem Rechte hervor-<lb/>
gehoben hat, diese beiden Manipulationen Tausenden von Händen Beschäf¬<lb/>
tigung, die zu anderem Verdienst kaum tauglich sind. Eine sehr bescheidene<lb/>
Industrie fürwahr; aber eine Industrie, die es nicht verdient, daß man ihr<lb/>
den naturgemäßen Lohn verkümmere, um die stolze Papierfabrikation, die<lb/>
1864 bereits 77,000 Ctr. ordinäres und 44,000 Ctr. feineres Papier expor-<lb/>
tiren konnte, künstlich zu &#x201E;schützen".</p><lb/>
          <p xml:id="ID_855" next="#ID_856"> Viele werden uns beistimmen unter einer Bedingung: daß nämlich Oest¬<lb/>
reich, Frankreich, die Schweiz u. f. w. uns Reciprocität gewähren. Denn<lb/>
so große Fortschritte auch die Theorie des Freihandels gemacht hat, die alte<lb/>
Terminologie steckt uns als Zopfende noch immer im Kragen: jede Verbes¬<lb/>
serung unseres Tarifs fassen wir zunächst und vorzugsweise als eine &#x201E;Con¬<lb/>
cession" an eifersüchtige. Rivalen auf. Nun wäre freilich sehr zu wünschen,<lb/>
daß namentlich Oestreich, wo mit anderen volkswirthschaftlichen Schätzen auch<lb/>
die schönsten Lumpen in Menge verkümmern, wo man, wie bei uns vor 40,<lb/>
6V Jahren, in naiver Unschuld die Reste aristokratischer Leibwäsche unsortirt<lb/>
mit zu ordinären Packpapieren verwendet, uns zu seinem eigenen Nutzen Ge¬<lb/>
legenheit geben möchte, seine Fabrikanten Sparsamkeit zu lehren, wozu eben<lb/>
die Aufhebung des Ausfuhrzolles das natürliche Mittel wäre. Aber sollen<lb/>
wir das zur Bedingung der eigenen Reform machen? Wir wünschen, daß<lb/>
der Nachbar auf seinem Grundstücke den Schutt aufräumt; aber machen wir</p><lb/>
          <fw type="sig" place="bottom"> 34"</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0271] Die Ausfuhr würde ohne Zweifel wachsen, ebenso auf der anderen Seite die Einfuhr, die schon jetzt nach dem Obigen nicht unerheblich ist. Die Waare würde überall den Markt aufsuchen, den sie mit dem geringsten Aufwand an Transportspesen und der besten Aussicht auf lohnenden Absatz zu erreichen vermöchte. Eine Preissteigerung würde vielleicht vorübergehend in geringem Maße eintreten, aber schnell durch die Verwerthung der Vorräthe, die jetzt in den Abfallhaufen zu Grunde gehen, mehr als ausgeglichen werden; und so käme auf die Dauer die Wiederherstellung des naturgemäßen Zustandes selbst unseren Fabrikanten zu gute. Das ist keine Hoffnung, die etwa in der Luft schwebte. Die Theuerung der Wolle hat uns gelehrt, aus Abfällen Garn zu spinnen; die Baumwollenkrisis, aus geringerem Rohstoff ein Halb¬ fabrikat zu liefern, das seine eigenthümlichen Vorzüge hat; der Seidenraupen¬ krankheit verdanken wir die Verwendung der Seidenabfälle, die früher unbe¬ nutzt verkamen, zu der beliebten Floretseide. So feiert die Industrie, in der haushälterischer Verwerthung des Kleinen ihrer großen Lehrmeisterin Natur nachahmend, die schönsten Triumphe, indem sie „aus der Noth eine Tugend macht". Hier bedarf es nicht einmal einer besonderen Erfindung; nur den natürlichen Anreiz zum Sa um ein und — wodurch die Lumpen erst zu einer marktfähigen Waare werden — zum Sortiren soll man nicht verkümmern. Geben doch, wie die Hamburger Handelskammer mit vollem Rechte hervor- gehoben hat, diese beiden Manipulationen Tausenden von Händen Beschäf¬ tigung, die zu anderem Verdienst kaum tauglich sind. Eine sehr bescheidene Industrie fürwahr; aber eine Industrie, die es nicht verdient, daß man ihr den naturgemäßen Lohn verkümmere, um die stolze Papierfabrikation, die 1864 bereits 77,000 Ctr. ordinäres und 44,000 Ctr. feineres Papier expor- tiren konnte, künstlich zu „schützen". Viele werden uns beistimmen unter einer Bedingung: daß nämlich Oest¬ reich, Frankreich, die Schweiz u. f. w. uns Reciprocität gewähren. Denn so große Fortschritte auch die Theorie des Freihandels gemacht hat, die alte Terminologie steckt uns als Zopfende noch immer im Kragen: jede Verbes¬ serung unseres Tarifs fassen wir zunächst und vorzugsweise als eine „Con¬ cession" an eifersüchtige. Rivalen auf. Nun wäre freilich sehr zu wünschen, daß namentlich Oestreich, wo mit anderen volkswirthschaftlichen Schätzen auch die schönsten Lumpen in Menge verkümmern, wo man, wie bei uns vor 40, 6V Jahren, in naiver Unschuld die Reste aristokratischer Leibwäsche unsortirt mit zu ordinären Packpapieren verwendet, uns zu seinem eigenen Nutzen Ge¬ legenheit geben möchte, seine Fabrikanten Sparsamkeit zu lehren, wozu eben die Aufhebung des Ausfuhrzolles das natürliche Mittel wäre. Aber sollen wir das zur Bedingung der eigenen Reform machen? Wir wünschen, daß der Nachbar auf seinem Grundstücke den Schutt aufräumt; aber machen wir 34"

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_362043
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_362043/271
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_362043/271>, abgerufen am 15.01.2025.