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Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, I. Semester. II. Band.

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Rüstungen ist, wie versichert wird, immer ausweichende Antwort mit den
lebhaftesten Friedensversicherungen zurück gekommen. Der Kaiser schweigt
auch gegen seine Minister; heut hört er die Friedenswünsche Nouher's, mor¬
gen die kriegerischen Pläne Niet's mit ruhigen Mienen und sehr kargen
Antworten an. Er hat offenbar beschlossen, die Wahl der Loose, welche über
seine Zukunft entscheiden, still und allein vorzunehmen, und ohne einen Ver¬
trauten. Immer hat er geliebt, sich die Wahl zwischen entgegengesetzten
Möglichkeiten lange frei zu halten und unterdeß für die verschiedenen Projecte,
welche er in geheimer Seele bewahrt, alles zur Ausführung vorzubereiten.
Aehnlich wie der Wallenstein eines deutschen Dichters.

Ob ihm diesmal das Werkzeug, welches er sich für den Fall des Ge¬
brauches so furchtbar zurecht gemacht hat, in der'letzten Stunde noch freie
Wahl lassen wird, das vermögen wir-nicht zu beurtheilen. Auch wenn wir
fragen, so kühl, als ob uns diese Kriegspläne nicht persönlich angingen: Was
kann der Kaiser mit solchem Kriege wollen? auch dann finden wir keine ge¬
nügende Antwort. Denn wenn ihm gelänge, was wir doch nicht zugeben
dürfen, gegenwärtig einen Erfolg über den neuen Bundesstaat davon zutragen
und noch einmal seinen Franzosen als Gebieter Europa's zu erscheinen, was
soll die letzte Folge sein? Er hat einen Sohn und wünscht ihm sichere Nach¬
folge; wozu will er diesem und sich selbst die tödtliche Abneigung eines großen
und kriegerischen Nachbarvolkes aufregen? Die erworbene Festung, das Grenz¬
land wäre doch ein unwerther Kampfpreis, da er ihm und seinem Hause jetzt
tödtliche Gefahr, oder in irgend einer Zukunft Verderben bereiten muß. Und der
Kaiser hat auch bei einem Kriege mit Deutschland nicht auf den guten Willen
des übrigen Europas zu rechnen, obgleich seine Rüstungen bereits einige schwache
Reflexbewegungen in Oestreich hervorgerufen haben. Als er in England zu ge¬
meinsamem Protest gegen die Uebergriffe Preußens über die Mainlinie auf¬
forderte, und dort die Antwort erhielt, daß England sich in die innern An¬
gelegenheiten Deutschlands nicht einmischen werde, da konnte er aus der Ant¬
wort des auswärtigen Amtes ebenso wie aus der Sprache der Zeitungen
Englands herauslesen, auf welcher Seite im Falle eines Kriegs die öffent¬
liche Meinung Englands stehen würde, und nicht Englands allein.

Die Bundesregierung ist mehrfach gewarnt. Unsere ganze Heeresorganisation
ist aber eine entschieden defensive, und darin völlig von der französischen verschieden,
daß eine Mobilmachung bei uns jetzt gleichbedeutend mit Krieg wird. Daß von
einer Truppenconeentration bei uns zur Zeit nicht die.kleinste Spur vorhanden
ist, betrachten wir als Anzeichen, daß die Bundesregierung die Meinung fest¬
hält, der Krieg könne noch vermieden werden. Und wie drückend die Un¬
sicherheit auch auf den Gemüthern, auf dem Handel und Verkehr liegt, wir
werden uns vorläufig damit begnügen müssen.


Rüstungen ist, wie versichert wird, immer ausweichende Antwort mit den
lebhaftesten Friedensversicherungen zurück gekommen. Der Kaiser schweigt
auch gegen seine Minister; heut hört er die Friedenswünsche Nouher's, mor¬
gen die kriegerischen Pläne Niet's mit ruhigen Mienen und sehr kargen
Antworten an. Er hat offenbar beschlossen, die Wahl der Loose, welche über
seine Zukunft entscheiden, still und allein vorzunehmen, und ohne einen Ver¬
trauten. Immer hat er geliebt, sich die Wahl zwischen entgegengesetzten
Möglichkeiten lange frei zu halten und unterdeß für die verschiedenen Projecte,
welche er in geheimer Seele bewahrt, alles zur Ausführung vorzubereiten.
Aehnlich wie der Wallenstein eines deutschen Dichters.

Ob ihm diesmal das Werkzeug, welches er sich für den Fall des Ge¬
brauches so furchtbar zurecht gemacht hat, in der'letzten Stunde noch freie
Wahl lassen wird, das vermögen wir-nicht zu beurtheilen. Auch wenn wir
fragen, so kühl, als ob uns diese Kriegspläne nicht persönlich angingen: Was
kann der Kaiser mit solchem Kriege wollen? auch dann finden wir keine ge¬
nügende Antwort. Denn wenn ihm gelänge, was wir doch nicht zugeben
dürfen, gegenwärtig einen Erfolg über den neuen Bundesstaat davon zutragen
und noch einmal seinen Franzosen als Gebieter Europa's zu erscheinen, was
soll die letzte Folge sein? Er hat einen Sohn und wünscht ihm sichere Nach¬
folge; wozu will er diesem und sich selbst die tödtliche Abneigung eines großen
und kriegerischen Nachbarvolkes aufregen? Die erworbene Festung, das Grenz¬
land wäre doch ein unwerther Kampfpreis, da er ihm und seinem Hause jetzt
tödtliche Gefahr, oder in irgend einer Zukunft Verderben bereiten muß. Und der
Kaiser hat auch bei einem Kriege mit Deutschland nicht auf den guten Willen
des übrigen Europas zu rechnen, obgleich seine Rüstungen bereits einige schwache
Reflexbewegungen in Oestreich hervorgerufen haben. Als er in England zu ge¬
meinsamem Protest gegen die Uebergriffe Preußens über die Mainlinie auf¬
forderte, und dort die Antwort erhielt, daß England sich in die innern An¬
gelegenheiten Deutschlands nicht einmischen werde, da konnte er aus der Ant¬
wort des auswärtigen Amtes ebenso wie aus der Sprache der Zeitungen
Englands herauslesen, auf welcher Seite im Falle eines Kriegs die öffent¬
liche Meinung Englands stehen würde, und nicht Englands allein.

Die Bundesregierung ist mehrfach gewarnt. Unsere ganze Heeresorganisation
ist aber eine entschieden defensive, und darin völlig von der französischen verschieden,
daß eine Mobilmachung bei uns jetzt gleichbedeutend mit Krieg wird. Daß von
einer Truppenconeentration bei uns zur Zeit nicht die.kleinste Spur vorhanden
ist, betrachten wir als Anzeichen, daß die Bundesregierung die Meinung fest¬
hält, der Krieg könne noch vermieden werden. Und wie drückend die Un¬
sicherheit auch auf den Gemüthern, auf dem Handel und Verkehr liegt, wir
werden uns vorläufig damit begnügen müssen.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_362043/248>, abgerufen am 15.01.2025.