Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, I. Semester. II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

bei Defecten, die überhaupt geltend gemacht werden können, 20 Thlr. pro
Centner vergütet werden, bleiben um so länger der bequemsten Beraubung
ausgesetzt; diese Defecte sind außerdem fast gar nicht zu constatiren. Bei den
Ballen werden die sogenannten Ohren losgemacht, Waaren herausgenommen
und die Ohren wieder zugezogen; bei Kisten, Fässern und Körben wird die
Emballage mit der größten Geschicklichkeit, durch lange Uebung erworben,
gelöst und nach der Beraubung wieder verschlossen, so daß äußerlich an den
Collis nichts bemerkbar ist. Die wenigsten Collis können bei Ablieferung nach¬
gewogen werden, weil den Handeltreibenden Waagen von erforderlichem Um¬
fang fehlen, um dies mit Sicherheit thun zu können. Der Verlust findet
sich in den meisten. Fällen erst beim Auspacken und alle Reclamationen sind
dann fruchtlos; findet sich aber auch ein Manco durch Nachwiegen und es
wird die Annahme des Gutes aus diesem Grunde verweigert, so bleibt das¬
selbe liegen und die Güter dem Adressaten vorenthalten, der derselben in den
meisten Fällen dringend bedarf und deshalb keine scharfe Controle aus¬
üben darf. ,

Auch in England bestanden meist diese Ungehörigkeiten; der Mono¬
polgeist hatte sie auch dort geschaffen, doch schon durch die Parlamentsacte
vom 10. Juli 1834 sind sie wenigstens zum guten Theil beseitigt worden.
Diese Acte bestimmt:

1. Jede Eisenbahn- und Canalgesellschast soll alle nur mögliche Erleich¬
terung für Empfang, Beförderung und Ablieferung der Waaren auf den
verschiedenen Stationen verschaffen.

2. Eine solche Gesellschaft soll durchaus niemandem einen unrechten
Vorzug oder Nachtheil gewähren.

3. Ebensowenig darf sie zu Gunsten oder Nachtheil einer andern Ge¬
sellschaft oder Person oder Waare ungleichmäßige Preise sich zahlen lassen.

4. Jede solche Gesellschaft soll verantwortlich sein für jeden Verlust und
jede Beschädigung an Artikeln, Gütern und Sachen und zwar bei Annahme,
Weiterbeförderung und Ablieferung derselben, sei nun der Verlust und Be¬
schädigung durch-die Nachlässigkeit oder Verabsäumung der Gesellschaft oder
ihrer Diener veranlaßt worden und ohne alle Rücksicht darauf, ob die Ge¬
sellschaft entgegengesetzte Bedingung (Notiz und Declaration) vorgeschrieben
und ihre Haftpflicht auf irgend eine andre Weise limitirt haben sollte, indem
jede solche Vorschrift (Reglement) als null und nichtig betrachtet werden
müsse. --

Der Staat, der die Versender, insbesondere den Handels- und Gewerbe¬
stand in die Lage der Unfreiheit und Abhängigkeit versetzte, hat auch bei uns
die Verpflichtung, dieselben gegen willkürliche und unbillige Behandlungen
zu schützen. Das öffentliche Interesse verlangt, daß der Staat im Geiste der


bei Defecten, die überhaupt geltend gemacht werden können, 20 Thlr. pro
Centner vergütet werden, bleiben um so länger der bequemsten Beraubung
ausgesetzt; diese Defecte sind außerdem fast gar nicht zu constatiren. Bei den
Ballen werden die sogenannten Ohren losgemacht, Waaren herausgenommen
und die Ohren wieder zugezogen; bei Kisten, Fässern und Körben wird die
Emballage mit der größten Geschicklichkeit, durch lange Uebung erworben,
gelöst und nach der Beraubung wieder verschlossen, so daß äußerlich an den
Collis nichts bemerkbar ist. Die wenigsten Collis können bei Ablieferung nach¬
gewogen werden, weil den Handeltreibenden Waagen von erforderlichem Um¬
fang fehlen, um dies mit Sicherheit thun zu können. Der Verlust findet
sich in den meisten. Fällen erst beim Auspacken und alle Reclamationen sind
dann fruchtlos; findet sich aber auch ein Manco durch Nachwiegen und es
wird die Annahme des Gutes aus diesem Grunde verweigert, so bleibt das¬
selbe liegen und die Güter dem Adressaten vorenthalten, der derselben in den
meisten Fällen dringend bedarf und deshalb keine scharfe Controle aus¬
üben darf. ,

Auch in England bestanden meist diese Ungehörigkeiten; der Mono¬
polgeist hatte sie auch dort geschaffen, doch schon durch die Parlamentsacte
vom 10. Juli 1834 sind sie wenigstens zum guten Theil beseitigt worden.
Diese Acte bestimmt:

1. Jede Eisenbahn- und Canalgesellschast soll alle nur mögliche Erleich¬
terung für Empfang, Beförderung und Ablieferung der Waaren auf den
verschiedenen Stationen verschaffen.

2. Eine solche Gesellschaft soll durchaus niemandem einen unrechten
Vorzug oder Nachtheil gewähren.

3. Ebensowenig darf sie zu Gunsten oder Nachtheil einer andern Ge¬
sellschaft oder Person oder Waare ungleichmäßige Preise sich zahlen lassen.

4. Jede solche Gesellschaft soll verantwortlich sein für jeden Verlust und
jede Beschädigung an Artikeln, Gütern und Sachen und zwar bei Annahme,
Weiterbeförderung und Ablieferung derselben, sei nun der Verlust und Be¬
schädigung durch-die Nachlässigkeit oder Verabsäumung der Gesellschaft oder
ihrer Diener veranlaßt worden und ohne alle Rücksicht darauf, ob die Ge¬
sellschaft entgegengesetzte Bedingung (Notiz und Declaration) vorgeschrieben
und ihre Haftpflicht auf irgend eine andre Weise limitirt haben sollte, indem
jede solche Vorschrift (Reglement) als null und nichtig betrachtet werden
müsse. —

Der Staat, der die Versender, insbesondere den Handels- und Gewerbe¬
stand in die Lage der Unfreiheit und Abhängigkeit versetzte, hat auch bei uns
die Verpflichtung, dieselben gegen willkürliche und unbillige Behandlungen
zu schützen. Das öffentliche Interesse verlangt, daß der Staat im Geiste der


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0020" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/117552"/>
          <p xml:id="ID_60" prev="#ID_59"> bei Defecten, die überhaupt geltend gemacht werden können, 20 Thlr. pro<lb/>
Centner vergütet werden, bleiben um so länger der bequemsten Beraubung<lb/>
ausgesetzt; diese Defecte sind außerdem fast gar nicht zu constatiren. Bei den<lb/>
Ballen werden die sogenannten Ohren losgemacht, Waaren herausgenommen<lb/>
und die Ohren wieder zugezogen; bei Kisten, Fässern und Körben wird die<lb/>
Emballage mit der größten Geschicklichkeit, durch lange Uebung erworben,<lb/>
gelöst und nach der Beraubung wieder verschlossen, so daß äußerlich an den<lb/>
Collis nichts bemerkbar ist. Die wenigsten Collis können bei Ablieferung nach¬<lb/>
gewogen werden, weil den Handeltreibenden Waagen von erforderlichem Um¬<lb/>
fang fehlen, um dies mit Sicherheit thun zu können. Der Verlust findet<lb/>
sich in den meisten. Fällen erst beim Auspacken und alle Reclamationen sind<lb/>
dann fruchtlos; findet sich aber auch ein Manco durch Nachwiegen und es<lb/>
wird die Annahme des Gutes aus diesem Grunde verweigert, so bleibt das¬<lb/>
selbe liegen und die Güter dem Adressaten vorenthalten, der derselben in den<lb/>
meisten Fällen dringend bedarf und deshalb keine scharfe Controle aus¬<lb/>
üben darf. ,</p><lb/>
          <p xml:id="ID_61"> Auch in England bestanden meist diese Ungehörigkeiten; der Mono¬<lb/>
polgeist hatte sie auch dort geschaffen, doch schon durch die Parlamentsacte<lb/>
vom 10. Juli 1834 sind sie wenigstens zum guten Theil beseitigt worden.<lb/>
Diese Acte bestimmt:</p><lb/>
          <p xml:id="ID_62"> 1. Jede Eisenbahn- und Canalgesellschast soll alle nur mögliche Erleich¬<lb/>
terung für Empfang, Beförderung und Ablieferung der Waaren auf den<lb/>
verschiedenen Stationen verschaffen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_63"> 2. Eine solche Gesellschaft soll durchaus niemandem einen unrechten<lb/>
Vorzug oder Nachtheil gewähren.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_64"> 3. Ebensowenig darf sie zu Gunsten oder Nachtheil einer andern Ge¬<lb/>
sellschaft oder Person oder Waare ungleichmäßige Preise sich zahlen lassen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_65"> 4. Jede solche Gesellschaft soll verantwortlich sein für jeden Verlust und<lb/>
jede Beschädigung an Artikeln, Gütern und Sachen und zwar bei Annahme,<lb/>
Weiterbeförderung und Ablieferung derselben, sei nun der Verlust und Be¬<lb/>
schädigung durch-die Nachlässigkeit oder Verabsäumung der Gesellschaft oder<lb/>
ihrer Diener veranlaßt worden und ohne alle Rücksicht darauf, ob die Ge¬<lb/>
sellschaft entgegengesetzte Bedingung (Notiz und Declaration) vorgeschrieben<lb/>
und ihre Haftpflicht auf irgend eine andre Weise limitirt haben sollte, indem<lb/>
jede solche Vorschrift (Reglement) als null und nichtig betrachtet werden<lb/>
müsse. &#x2014;</p><lb/>
          <p xml:id="ID_66" next="#ID_67"> Der Staat, der die Versender, insbesondere den Handels- und Gewerbe¬<lb/>
stand in die Lage der Unfreiheit und Abhängigkeit versetzte, hat auch bei uns<lb/>
die Verpflichtung, dieselben gegen willkürliche und unbillige Behandlungen<lb/>
zu schützen. Das öffentliche Interesse verlangt, daß der Staat im Geiste der</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0020] bei Defecten, die überhaupt geltend gemacht werden können, 20 Thlr. pro Centner vergütet werden, bleiben um so länger der bequemsten Beraubung ausgesetzt; diese Defecte sind außerdem fast gar nicht zu constatiren. Bei den Ballen werden die sogenannten Ohren losgemacht, Waaren herausgenommen und die Ohren wieder zugezogen; bei Kisten, Fässern und Körben wird die Emballage mit der größten Geschicklichkeit, durch lange Uebung erworben, gelöst und nach der Beraubung wieder verschlossen, so daß äußerlich an den Collis nichts bemerkbar ist. Die wenigsten Collis können bei Ablieferung nach¬ gewogen werden, weil den Handeltreibenden Waagen von erforderlichem Um¬ fang fehlen, um dies mit Sicherheit thun zu können. Der Verlust findet sich in den meisten. Fällen erst beim Auspacken und alle Reclamationen sind dann fruchtlos; findet sich aber auch ein Manco durch Nachwiegen und es wird die Annahme des Gutes aus diesem Grunde verweigert, so bleibt das¬ selbe liegen und die Güter dem Adressaten vorenthalten, der derselben in den meisten Fällen dringend bedarf und deshalb keine scharfe Controle aus¬ üben darf. , Auch in England bestanden meist diese Ungehörigkeiten; der Mono¬ polgeist hatte sie auch dort geschaffen, doch schon durch die Parlamentsacte vom 10. Juli 1834 sind sie wenigstens zum guten Theil beseitigt worden. Diese Acte bestimmt: 1. Jede Eisenbahn- und Canalgesellschast soll alle nur mögliche Erleich¬ terung für Empfang, Beförderung und Ablieferung der Waaren auf den verschiedenen Stationen verschaffen. 2. Eine solche Gesellschaft soll durchaus niemandem einen unrechten Vorzug oder Nachtheil gewähren. 3. Ebensowenig darf sie zu Gunsten oder Nachtheil einer andern Ge¬ sellschaft oder Person oder Waare ungleichmäßige Preise sich zahlen lassen. 4. Jede solche Gesellschaft soll verantwortlich sein für jeden Verlust und jede Beschädigung an Artikeln, Gütern und Sachen und zwar bei Annahme, Weiterbeförderung und Ablieferung derselben, sei nun der Verlust und Be¬ schädigung durch-die Nachlässigkeit oder Verabsäumung der Gesellschaft oder ihrer Diener veranlaßt worden und ohne alle Rücksicht darauf, ob die Ge¬ sellschaft entgegengesetzte Bedingung (Notiz und Declaration) vorgeschrieben und ihre Haftpflicht auf irgend eine andre Weise limitirt haben sollte, indem jede solche Vorschrift (Reglement) als null und nichtig betrachtet werden müsse. — Der Staat, der die Versender, insbesondere den Handels- und Gewerbe¬ stand in die Lage der Unfreiheit und Abhängigkeit versetzte, hat auch bei uns die Verpflichtung, dieselben gegen willkürliche und unbillige Behandlungen zu schützen. Das öffentliche Interesse verlangt, daß der Staat im Geiste der

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_362043
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_362043/20
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_362043/20>, abgerufen am 15.01.2025.