Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, I. Semester. II. Band.Schärfe entgegen getreten. Obgleich die Budgetvorlage des Finanzministers Ihre größten Hoffnungen haben die ungarischen Radicalen auf die Ent¬ Bei Beurtheilung der ungarischen Verhältnisse -- und das wird von Schärfe entgegen getreten. Obgleich die Budgetvorlage des Finanzministers Ihre größten Hoffnungen haben die ungarischen Radicalen auf die Ent¬ Bei Beurtheilung der ungarischen Verhältnisse — und das wird von <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0177" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/117709"/> <p xml:id="ID_550" prev="#ID_549"> Schärfe entgegen getreten. Obgleich die Budgetvorlage des Finanzministers<lb/> Lanay relativ günstige Resultate aufzuweisen hatte und eine Fortführung des<lb/> Staatshaushalts ohne Erhöhung der Steuern, ja unter Herabsetzung der<lb/> Tabaksgefälle verhieß, haben die Radicalen einen neuers Anlauf zum Sturz<lb/> der Männer unternommen, die sich noch vor wenigen Monaten rühmen durf¬<lb/> ten, die gesammte ungarische Nation hinter sich zu haben. Die Gefangen¬<lb/> nehmung des Agitators Oeßtalos, bei .dem verschiedene, die Häupter der<lb/> äußersten Linken empfindlich compromittirende Aktenstücke gefunden worden<lb/> sind, ist bis jetzt ziemlich eindruckslos geblieben und die Agitation für Her¬<lb/> stellung einer magyarischen Nationalarmee findet trotz der Entschiedenheit,<lb/> mit welcher Deal gegen das Verlangen einer solchen aufgetreten ist, immer<lb/> breiteren Boden, nicht nur bei den radicalen Anhängern der Honvedpartei,<lb/> sondern zugleich bei den gemäßigteren Schattirungen der Linken. Daß die<lb/> radicalen Elemente sich ausschließlich auf die Masse der kleinen, proletarischen<lb/> Gutsbesitzer und der Besitzlosen stützen und dennoch zu so entschiedenem Ein¬<lb/> fluß gelangt sind, macht die Sache eher schlimmer, als besser, denn eine Be¬<lb/> wegung, welche sich auf die vermögenden Classen stützt, bietet immer größere<lb/> Aussichten zur Ernüchterung, als das Treiben von Leuten, die, wie sie glau¬<lb/> ben bei einer Veränderung nicht zu verlieren, sondern lediglich zu gewin¬<lb/> nen haben.</p><lb/> <p xml:id="ID_551"> Ihre größten Hoffnungen haben die ungarischen Radicalen auf die Ent¬<lb/> scheidung über die Competenzgrenze der Comitate gesetzt. Sie verlangen<lb/> nichts mehr und nichts weniger, als daß diese Kreisverbände das Recht<lb/> haben sollen, jeden Regierungserlaß seiner Rechtsgiltigkeit nach zu prüfen<lb/> und je nach dem Resultat dieser Prüfung auszuführen oder zu beanstanden.<lb/> So groß ist das. traditionelle Ansehen der Comitate, daß das Ministerium<lb/> die erste Hälfte dieses Anspruchs anzuerkennen bereit ist, den Bedenken der<lb/> Comitatsglieder aber freilich keinen Suspenflveffect, sondern nur das Recht<lb/> der Beschwerdeführung beim nächsten Landtage zugestehen will. Daß es bei<lb/> der Entscheidung über diese Frage nicht ohne heißen Kampf abgehen wird,<lb/> steht nach dem Zeugniß der ungarischen Presse schon gegenwärtig fest. Der<lb/> staatsfeindliche Radicalismus der äußersten Linken speculirt mit sicherem In-<lb/> stinct auf die Macht einer mittelalterlichen Volksgewohnheit, welche nicht<lb/> begreifen will, daß der Begriff des modernen Staats mit den Souveräni¬<lb/> tätsansprüchen der alten Gauverbände unvereinbar ist und wir können er-<lb/> leben, daß das Ministerium Andrassy an den widersinnigen Ansprüchen eines<lb/> Haufens exaltirter Demagogen zerschellt.</p><lb/> <p xml:id="ID_552" next="#ID_553"> Bei Beurtheilung der ungarischen Verhältnisse — und das wird von<lb/> der Mehrzahl der Radicalen vollständig übersehen — darf niemals außer<lb/> Acht gelassen werden, daß das Band, welches die Länder der ungarischen</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0177]
Schärfe entgegen getreten. Obgleich die Budgetvorlage des Finanzministers
Lanay relativ günstige Resultate aufzuweisen hatte und eine Fortführung des
Staatshaushalts ohne Erhöhung der Steuern, ja unter Herabsetzung der
Tabaksgefälle verhieß, haben die Radicalen einen neuers Anlauf zum Sturz
der Männer unternommen, die sich noch vor wenigen Monaten rühmen durf¬
ten, die gesammte ungarische Nation hinter sich zu haben. Die Gefangen¬
nehmung des Agitators Oeßtalos, bei .dem verschiedene, die Häupter der
äußersten Linken empfindlich compromittirende Aktenstücke gefunden worden
sind, ist bis jetzt ziemlich eindruckslos geblieben und die Agitation für Her¬
stellung einer magyarischen Nationalarmee findet trotz der Entschiedenheit,
mit welcher Deal gegen das Verlangen einer solchen aufgetreten ist, immer
breiteren Boden, nicht nur bei den radicalen Anhängern der Honvedpartei,
sondern zugleich bei den gemäßigteren Schattirungen der Linken. Daß die
radicalen Elemente sich ausschließlich auf die Masse der kleinen, proletarischen
Gutsbesitzer und der Besitzlosen stützen und dennoch zu so entschiedenem Ein¬
fluß gelangt sind, macht die Sache eher schlimmer, als besser, denn eine Be¬
wegung, welche sich auf die vermögenden Classen stützt, bietet immer größere
Aussichten zur Ernüchterung, als das Treiben von Leuten, die, wie sie glau¬
ben bei einer Veränderung nicht zu verlieren, sondern lediglich zu gewin¬
nen haben.
Ihre größten Hoffnungen haben die ungarischen Radicalen auf die Ent¬
scheidung über die Competenzgrenze der Comitate gesetzt. Sie verlangen
nichts mehr und nichts weniger, als daß diese Kreisverbände das Recht
haben sollen, jeden Regierungserlaß seiner Rechtsgiltigkeit nach zu prüfen
und je nach dem Resultat dieser Prüfung auszuführen oder zu beanstanden.
So groß ist das. traditionelle Ansehen der Comitate, daß das Ministerium
die erste Hälfte dieses Anspruchs anzuerkennen bereit ist, den Bedenken der
Comitatsglieder aber freilich keinen Suspenflveffect, sondern nur das Recht
der Beschwerdeführung beim nächsten Landtage zugestehen will. Daß es bei
der Entscheidung über diese Frage nicht ohne heißen Kampf abgehen wird,
steht nach dem Zeugniß der ungarischen Presse schon gegenwärtig fest. Der
staatsfeindliche Radicalismus der äußersten Linken speculirt mit sicherem In-
stinct auf die Macht einer mittelalterlichen Volksgewohnheit, welche nicht
begreifen will, daß der Begriff des modernen Staats mit den Souveräni¬
tätsansprüchen der alten Gauverbände unvereinbar ist und wir können er-
leben, daß das Ministerium Andrassy an den widersinnigen Ansprüchen eines
Haufens exaltirter Demagogen zerschellt.
Bei Beurtheilung der ungarischen Verhältnisse — und das wird von
der Mehrzahl der Radicalen vollständig übersehen — darf niemals außer
Acht gelassen werden, daß das Band, welches die Länder der ungarischen
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