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Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, I. Semester. II. Band.

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kamen die Beziehungen zu den Glaubensverwandten in England und Hol"
land dem Geschäftsbetriebe fortwährend erheblich zu statten.

Aber die Siege der französischen Revolution und Napoleons brachten
für Frankfurt gleichzeitig den Ruin der englischen Waarengeschäfte durch die
Kontinentalsperre, ihre Confiscationen und Waarenverbrennungen und die
völlige Gleichstellung der Reformirten bei der Einrichtung des Dalbergischen
Großherzogthums nach dem Gleichheitszuschnitte der kaiserlichen Vasallen¬
staaten.

An I. D. Passavant kann man die Wirkungen beider Thatsachen un¬
zweideutig beobachten. Jene Gleichstellung nahm er als ein Selbstver¬
ständliches hin, und die Vernichtung des ererbten Geschäftes, das nach des
Vaters frühem Tode seine Mutter sorgsamst fortgeführt hatte, durch Napo¬
leons Gewaltsamkeiten erfüllte ihn mit Erbitterung. In Paris, in der
Hauptstadt des kaiserlichen Weltreiches, hat er, der Abkömmling französischer
Auswanderer, sich nur als ein Deutscher gefühlt, dem der Schmerz um das
Elend des von den Fremden unterdrückten Vaterlandes noch durch das Un¬
recht gesteigert war, das seine eigene Familie von den Unterdrückern erfahren
hatte. Er hielt es für seine Pflicht, in den reichen gesellschaftlichen Kreisen
der Hauptstadt, in denen er Zutritt hatte, bei den Frauen Bewunderung
"für seine herrlichen deutschen Dichter" zu erwecken.

Und auch seine angeborene Sonderstellung als Reformirter ist ihm --
und ihm zuerst seit einer Reihe von Generationen -- ganz zurückgetreten.
Noch im Knabenalter verlor er innerhalb fünf Jahren den Großvater, der,
im I. 1719 geboren, die strengen Ueberzeugungen der Vorfahren theilte, und
deir Vater, der als junger Ehemann jene Gestattung des Kirchenbaues
für seine Gemeinde erlebt hatte. Die Mutter, aus einer hochgebildeten und
kunstsinnigen Familie niederländischer Abkunft, hatte in den Zeiten ihres
Glückes Mühe, "den Weg des religiösen Glaubens festzuhalten", der sich ihr
auch später nur ohne scharfe confessionelle Ausprägung eröffnete. So konnte
der Sohn, eine von Natur tiefinnerlicher Anlage und ringender Zurückhaltung,
seine religiösen Anschauungen sinnvoll und künstlerisch entwickeln, ohne sich
durch eine Verläugnung des von den Vätern Ueberlieferten zu beschämen.

Auch in seiner Beschäftigung wagte er es, die überkommenen Lebens-
bahnen allmählich zu verändern. Mehr nach der Weise seiner mütterlichen
Vorfahren hätte er als ein Begünstiger der Kunst Glücksgüter zu verwenden
gewünscht, die in dem Drange der Revolutionskriege schon seinem Vater sich
erheblich vermindert hatten und seiner Mutter in den Nöthen des nächsten
Jahrzehnts ganz dahinschwanden. Nur aus Pflichtgefühl hat er dann bis
Zum Ende der französischen Herrschaft im Comptoir ausgehalten, dessen Be-
schäftigungen ihm nach dem Verlust des eigenen ererbten Geschäftes doppelt


Grenzboten II. 1868. 20

kamen die Beziehungen zu den Glaubensverwandten in England und Hol«
land dem Geschäftsbetriebe fortwährend erheblich zu statten.

Aber die Siege der französischen Revolution und Napoleons brachten
für Frankfurt gleichzeitig den Ruin der englischen Waarengeschäfte durch die
Kontinentalsperre, ihre Confiscationen und Waarenverbrennungen und die
völlige Gleichstellung der Reformirten bei der Einrichtung des Dalbergischen
Großherzogthums nach dem Gleichheitszuschnitte der kaiserlichen Vasallen¬
staaten.

An I. D. Passavant kann man die Wirkungen beider Thatsachen un¬
zweideutig beobachten. Jene Gleichstellung nahm er als ein Selbstver¬
ständliches hin, und die Vernichtung des ererbten Geschäftes, das nach des
Vaters frühem Tode seine Mutter sorgsamst fortgeführt hatte, durch Napo¬
leons Gewaltsamkeiten erfüllte ihn mit Erbitterung. In Paris, in der
Hauptstadt des kaiserlichen Weltreiches, hat er, der Abkömmling französischer
Auswanderer, sich nur als ein Deutscher gefühlt, dem der Schmerz um das
Elend des von den Fremden unterdrückten Vaterlandes noch durch das Un¬
recht gesteigert war, das seine eigene Familie von den Unterdrückern erfahren
hatte. Er hielt es für seine Pflicht, in den reichen gesellschaftlichen Kreisen
der Hauptstadt, in denen er Zutritt hatte, bei den Frauen Bewunderung
„für seine herrlichen deutschen Dichter" zu erwecken.

Und auch seine angeborene Sonderstellung als Reformirter ist ihm —
und ihm zuerst seit einer Reihe von Generationen — ganz zurückgetreten.
Noch im Knabenalter verlor er innerhalb fünf Jahren den Großvater, der,
im I. 1719 geboren, die strengen Ueberzeugungen der Vorfahren theilte, und
deir Vater, der als junger Ehemann jene Gestattung des Kirchenbaues
für seine Gemeinde erlebt hatte. Die Mutter, aus einer hochgebildeten und
kunstsinnigen Familie niederländischer Abkunft, hatte in den Zeiten ihres
Glückes Mühe, „den Weg des religiösen Glaubens festzuhalten", der sich ihr
auch später nur ohne scharfe confessionelle Ausprägung eröffnete. So konnte
der Sohn, eine von Natur tiefinnerlicher Anlage und ringender Zurückhaltung,
seine religiösen Anschauungen sinnvoll und künstlerisch entwickeln, ohne sich
durch eine Verläugnung des von den Vätern Ueberlieferten zu beschämen.

Auch in seiner Beschäftigung wagte er es, die überkommenen Lebens-
bahnen allmählich zu verändern. Mehr nach der Weise seiner mütterlichen
Vorfahren hätte er als ein Begünstiger der Kunst Glücksgüter zu verwenden
gewünscht, die in dem Drange der Revolutionskriege schon seinem Vater sich
erheblich vermindert hatten und seiner Mutter in den Nöthen des nächsten
Jahrzehnts ganz dahinschwanden. Nur aus Pflichtgefühl hat er dann bis
Zum Ende der französischen Herrschaft im Comptoir ausgehalten, dessen Be-
schäftigungen ihm nach dem Verlust des eigenen ererbten Geschäftes doppelt


Grenzboten II. 1868. 20
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[0157] kamen die Beziehungen zu den Glaubensverwandten in England und Hol« land dem Geschäftsbetriebe fortwährend erheblich zu statten. Aber die Siege der französischen Revolution und Napoleons brachten für Frankfurt gleichzeitig den Ruin der englischen Waarengeschäfte durch die Kontinentalsperre, ihre Confiscationen und Waarenverbrennungen und die völlige Gleichstellung der Reformirten bei der Einrichtung des Dalbergischen Großherzogthums nach dem Gleichheitszuschnitte der kaiserlichen Vasallen¬ staaten. An I. D. Passavant kann man die Wirkungen beider Thatsachen un¬ zweideutig beobachten. Jene Gleichstellung nahm er als ein Selbstver¬ ständliches hin, und die Vernichtung des ererbten Geschäftes, das nach des Vaters frühem Tode seine Mutter sorgsamst fortgeführt hatte, durch Napo¬ leons Gewaltsamkeiten erfüllte ihn mit Erbitterung. In Paris, in der Hauptstadt des kaiserlichen Weltreiches, hat er, der Abkömmling französischer Auswanderer, sich nur als ein Deutscher gefühlt, dem der Schmerz um das Elend des von den Fremden unterdrückten Vaterlandes noch durch das Un¬ recht gesteigert war, das seine eigene Familie von den Unterdrückern erfahren hatte. Er hielt es für seine Pflicht, in den reichen gesellschaftlichen Kreisen der Hauptstadt, in denen er Zutritt hatte, bei den Frauen Bewunderung „für seine herrlichen deutschen Dichter" zu erwecken. Und auch seine angeborene Sonderstellung als Reformirter ist ihm — und ihm zuerst seit einer Reihe von Generationen — ganz zurückgetreten. Noch im Knabenalter verlor er innerhalb fünf Jahren den Großvater, der, im I. 1719 geboren, die strengen Ueberzeugungen der Vorfahren theilte, und deir Vater, der als junger Ehemann jene Gestattung des Kirchenbaues für seine Gemeinde erlebt hatte. Die Mutter, aus einer hochgebildeten und kunstsinnigen Familie niederländischer Abkunft, hatte in den Zeiten ihres Glückes Mühe, „den Weg des religiösen Glaubens festzuhalten", der sich ihr auch später nur ohne scharfe confessionelle Ausprägung eröffnete. So konnte der Sohn, eine von Natur tiefinnerlicher Anlage und ringender Zurückhaltung, seine religiösen Anschauungen sinnvoll und künstlerisch entwickeln, ohne sich durch eine Verläugnung des von den Vätern Ueberlieferten zu beschämen. Auch in seiner Beschäftigung wagte er es, die überkommenen Lebens- bahnen allmählich zu verändern. Mehr nach der Weise seiner mütterlichen Vorfahren hätte er als ein Begünstiger der Kunst Glücksgüter zu verwenden gewünscht, die in dem Drange der Revolutionskriege schon seinem Vater sich erheblich vermindert hatten und seiner Mutter in den Nöthen des nächsten Jahrzehnts ganz dahinschwanden. Nur aus Pflichtgefühl hat er dann bis Zum Ende der französischen Herrschaft im Comptoir ausgehalten, dessen Be- schäftigungen ihm nach dem Verlust des eigenen ererbten Geschäftes doppelt Grenzboten II. 1868. 20

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_362043/157>, abgerufen am 15.01.2025.