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Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, I. Semester. II. Band.

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hierbei nicht auf den größtmöglichen Umfang zu sehen, sondern nur das
für das Leben Nothwendige zu berücksichtigen.

Der Organisationsentwurf fordert durchgehends Einführung von Fach,
lehrern, die Jesuiten haben immer noch die Classenlehrer, und sagen,
die ratio swZioruin wolle die Fachlehrer ebensowenig wie überhaupt eine
Ueberfülle von Lehrgegenständen, denn die Menge und Ausdehnung der¬
selben müsse nicht nach den Kräften derer, die lehren, sondern vielmehr
nach denen, die lernen, abgemessen werden. Das System der Fachlehrer
führe aber zur Ueberbürdung und die lange Erfahrung der Jesuiten habe
hinlänglich festgestellt, was die Kräfte der Schüler ertragen können. Auch
sei die heutige Ueberfülle ein Hinderniß für die Gründlichkeit und störe
selbst das physische Wachsthum der Jugend.

Nach dem eigenen Geständniß der Jesuiten werden also in ihren Gym¬
nasien "diese Nebengegenstände" vernachlässigt und wir werden daher keine
befriedigenden, am allerwenigsten aber solche Leistungen erwarten dürfen,
welche der Organisationsentwurf verlangt. Aber was leisten sie in den Ge¬
genständen, welche sie als Hauptfächer bezeichnen? Wir wollen hiefür einen
gewiß unparteiischen und unzweideutigen Zeugen aufrufen, nämlich eine in
dem Jesuitengymnasium zu Ragusa eingeführte lateinische und griechische
Grammatik, die sich, was den Werth dieses Zeugnisses noch besonders er¬
höht, Jedermann, der sich ein eigenes, von anderen ganz unabhängiges Ur¬
theil bilden will, selbst verschaffen kann.

In dieser Grammatik ist von theoretischen Behandlungen der lateinischen
Sprache nach den freilich spärlichen Citaten zu urtheilen K. ^. VosLMK,
1s.t. Aramin. vom Jahre 1710 das jüngste Buch, das zur Kunde des Ver¬
fassers gekommen ist.

In der griechischen Grammatik werden als Autoren für griechische Con-
structionen in friedlichem Durcheinander neben Homer, Xenophon, Demosthenes
u. a. auch Orpheus, das neue Testament, Basilius und Gregorius u. A. aufge¬
führt, Proben aus dieser Grammatik, welche vom Pronomen, ja selbst vom V e r-
bum einen Comparativ und Superlativ bildet, erscheint unnöthig. Ein Gym¬
nasiast, der im ersten Jahre der Beschäftigung mit dem Griechischen steht,
kann, und wenn er der unwissendste wäre, nicht soviel sprachlich unmögliches
zusammen phantasiren, als der Verfasser dieses Buches seinen Schülern ge¬
boten hat. Daß mit einem solchen Erfolge erzielt werden können, wird kein
vernünftiger Mensch behaupten wollen. Wir haben somit einen sprechenden
Beweis dafür, was dieser Orden, der selbst gesteht, daß er unter den Schul¬
wissenschaften nur die philologischen cultivirt, in seinen Hauptgegenständen
leisten kann und leistet.

Daß es Lehrer gibt, welche nach solchen Büchern unterrichten, ist ge-


hierbei nicht auf den größtmöglichen Umfang zu sehen, sondern nur das
für das Leben Nothwendige zu berücksichtigen.

Der Organisationsentwurf fordert durchgehends Einführung von Fach,
lehrern, die Jesuiten haben immer noch die Classenlehrer, und sagen,
die ratio swZioruin wolle die Fachlehrer ebensowenig wie überhaupt eine
Ueberfülle von Lehrgegenständen, denn die Menge und Ausdehnung der¬
selben müsse nicht nach den Kräften derer, die lehren, sondern vielmehr
nach denen, die lernen, abgemessen werden. Das System der Fachlehrer
führe aber zur Ueberbürdung und die lange Erfahrung der Jesuiten habe
hinlänglich festgestellt, was die Kräfte der Schüler ertragen können. Auch
sei die heutige Ueberfülle ein Hinderniß für die Gründlichkeit und störe
selbst das physische Wachsthum der Jugend.

Nach dem eigenen Geständniß der Jesuiten werden also in ihren Gym¬
nasien „diese Nebengegenstände" vernachlässigt und wir werden daher keine
befriedigenden, am allerwenigsten aber solche Leistungen erwarten dürfen,
welche der Organisationsentwurf verlangt. Aber was leisten sie in den Ge¬
genständen, welche sie als Hauptfächer bezeichnen? Wir wollen hiefür einen
gewiß unparteiischen und unzweideutigen Zeugen aufrufen, nämlich eine in
dem Jesuitengymnasium zu Ragusa eingeführte lateinische und griechische
Grammatik, die sich, was den Werth dieses Zeugnisses noch besonders er¬
höht, Jedermann, der sich ein eigenes, von anderen ganz unabhängiges Ur¬
theil bilden will, selbst verschaffen kann.

In dieser Grammatik ist von theoretischen Behandlungen der lateinischen
Sprache nach den freilich spärlichen Citaten zu urtheilen K. ^. VosLMK,
1s.t. Aramin. vom Jahre 1710 das jüngste Buch, das zur Kunde des Ver¬
fassers gekommen ist.

In der griechischen Grammatik werden als Autoren für griechische Con-
structionen in friedlichem Durcheinander neben Homer, Xenophon, Demosthenes
u. a. auch Orpheus, das neue Testament, Basilius und Gregorius u. A. aufge¬
führt, Proben aus dieser Grammatik, welche vom Pronomen, ja selbst vom V e r-
bum einen Comparativ und Superlativ bildet, erscheint unnöthig. Ein Gym¬
nasiast, der im ersten Jahre der Beschäftigung mit dem Griechischen steht,
kann, und wenn er der unwissendste wäre, nicht soviel sprachlich unmögliches
zusammen phantasiren, als der Verfasser dieses Buches seinen Schülern ge¬
boten hat. Daß mit einem solchen Erfolge erzielt werden können, wird kein
vernünftiger Mensch behaupten wollen. Wir haben somit einen sprechenden
Beweis dafür, was dieser Orden, der selbst gesteht, daß er unter den Schul¬
wissenschaften nur die philologischen cultivirt, in seinen Hauptgegenständen
leisten kann und leistet.

Daß es Lehrer gibt, welche nach solchen Büchern unterrichten, ist ge-


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[0139] hierbei nicht auf den größtmöglichen Umfang zu sehen, sondern nur das für das Leben Nothwendige zu berücksichtigen. Der Organisationsentwurf fordert durchgehends Einführung von Fach, lehrern, die Jesuiten haben immer noch die Classenlehrer, und sagen, die ratio swZioruin wolle die Fachlehrer ebensowenig wie überhaupt eine Ueberfülle von Lehrgegenständen, denn die Menge und Ausdehnung der¬ selben müsse nicht nach den Kräften derer, die lehren, sondern vielmehr nach denen, die lernen, abgemessen werden. Das System der Fachlehrer führe aber zur Ueberbürdung und die lange Erfahrung der Jesuiten habe hinlänglich festgestellt, was die Kräfte der Schüler ertragen können. Auch sei die heutige Ueberfülle ein Hinderniß für die Gründlichkeit und störe selbst das physische Wachsthum der Jugend. Nach dem eigenen Geständniß der Jesuiten werden also in ihren Gym¬ nasien „diese Nebengegenstände" vernachlässigt und wir werden daher keine befriedigenden, am allerwenigsten aber solche Leistungen erwarten dürfen, welche der Organisationsentwurf verlangt. Aber was leisten sie in den Ge¬ genständen, welche sie als Hauptfächer bezeichnen? Wir wollen hiefür einen gewiß unparteiischen und unzweideutigen Zeugen aufrufen, nämlich eine in dem Jesuitengymnasium zu Ragusa eingeführte lateinische und griechische Grammatik, die sich, was den Werth dieses Zeugnisses noch besonders er¬ höht, Jedermann, der sich ein eigenes, von anderen ganz unabhängiges Ur¬ theil bilden will, selbst verschaffen kann. In dieser Grammatik ist von theoretischen Behandlungen der lateinischen Sprache nach den freilich spärlichen Citaten zu urtheilen K. ^. VosLMK, 1s.t. Aramin. vom Jahre 1710 das jüngste Buch, das zur Kunde des Ver¬ fassers gekommen ist. In der griechischen Grammatik werden als Autoren für griechische Con- structionen in friedlichem Durcheinander neben Homer, Xenophon, Demosthenes u. a. auch Orpheus, das neue Testament, Basilius und Gregorius u. A. aufge¬ führt, Proben aus dieser Grammatik, welche vom Pronomen, ja selbst vom V e r- bum einen Comparativ und Superlativ bildet, erscheint unnöthig. Ein Gym¬ nasiast, der im ersten Jahre der Beschäftigung mit dem Griechischen steht, kann, und wenn er der unwissendste wäre, nicht soviel sprachlich unmögliches zusammen phantasiren, als der Verfasser dieses Buches seinen Schülern ge¬ boten hat. Daß mit einem solchen Erfolge erzielt werden können, wird kein vernünftiger Mensch behaupten wollen. Wir haben somit einen sprechenden Beweis dafür, was dieser Orden, der selbst gesteht, daß er unter den Schul¬ wissenschaften nur die philologischen cultivirt, in seinen Hauptgegenständen leisten kann und leistet. Daß es Lehrer gibt, welche nach solchen Büchern unterrichten, ist ge-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_362043/139>, abgerufen am 15.01.2025.