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Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, I. Semester. II. Band.

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Die irländische Frage.

Die Abstimmung, durch welche das Unterhaus am 3. April mit einer
Mehrheit von 66 Stimmen die Aufhebung der englischen Staatskirche in
Irland entschied, wird von der größten Tragweite für die ganze brittische
Politik sein, ja wir möchten behaupten, daß seit Aushebung der Korngesetze
1840 keine Maßregel von so entscheidender Wichtigkeit dem Parlamente vor¬
gelegen hat und daß das Verdict desselben gegen die protestantische Mino¬
ritätskirche ähnlich wohlthätige Folgen haben wird, wie einst der Sturz des
Brodvertheuerungs- und Schutzzollsystems. Ein großer Act der Gerechtig¬
keit gegen Irland ist damit im Prinzip entschieden, er vermag mehr als alle
Repressivmaßregeln die Unzufriedenheit zu vermindern und Loyalität gegen
die Regierung zu fördern; diese aber wird, nachdem sie den begründeten An¬
sprüchen gerecht geworden, umso besser den verbrecherischen und chimärischen
Plänen widerstehen, welche von Abenteurern und Theoretikern befürwortet
werden.

Auf die Tagesordnung ist die irländische Frage durch die Excesse der
fenischen Verschwörung gebracht. Aber die Leiden Irlands sind zu suchen
einerseits in der jahrelangen Unterdrückung der Insel, welche von England
wie ein erobertes Land regiert ward, andererseits in der Natur des Landes
und Volkes. Erstere wird vor allem von den Jrländern betont, letztere von
den Engländern, aber nur aus dem Zusammenwirken beider ist die gegen¬
wärtige Lage zu erklären. Die Unterdrückung der irischen Majorität durch
eine kleine englische Minorität ist eine Thatsache, welche der Geschichte an¬
gehört, die ärgsten Beschwerden sind in den letzten 40 Jahren allmählich be¬
seitigt, aber sie wirken noch nach. Andere Uebel sind bis jetzt stehen ge¬
blieben und treten schärfer hervor durch die Eigenthümlichkeiten des Bodens
und der Bewohner. Irland ist durchschnittlich ein armes Land, das sich nicht
zu intensiver Cultur eignet, und der Leichtsinn des beweglichen keltischen
Volkes lebt meistens von einem Tag zum andern, ohne an sorgfältige Be¬
wirtschaftung und Verbesserung des Bodens zu denken, während dieser bei
der sprichwörtlich gewordenen Fruchtbarkeit der Ehen immer weniger im


Grenzboten II. 1868. 16
Die irländische Frage.

Die Abstimmung, durch welche das Unterhaus am 3. April mit einer
Mehrheit von 66 Stimmen die Aufhebung der englischen Staatskirche in
Irland entschied, wird von der größten Tragweite für die ganze brittische
Politik sein, ja wir möchten behaupten, daß seit Aushebung der Korngesetze
1840 keine Maßregel von so entscheidender Wichtigkeit dem Parlamente vor¬
gelegen hat und daß das Verdict desselben gegen die protestantische Mino¬
ritätskirche ähnlich wohlthätige Folgen haben wird, wie einst der Sturz des
Brodvertheuerungs- und Schutzzollsystems. Ein großer Act der Gerechtig¬
keit gegen Irland ist damit im Prinzip entschieden, er vermag mehr als alle
Repressivmaßregeln die Unzufriedenheit zu vermindern und Loyalität gegen
die Regierung zu fördern; diese aber wird, nachdem sie den begründeten An¬
sprüchen gerecht geworden, umso besser den verbrecherischen und chimärischen
Plänen widerstehen, welche von Abenteurern und Theoretikern befürwortet
werden.

Auf die Tagesordnung ist die irländische Frage durch die Excesse der
fenischen Verschwörung gebracht. Aber die Leiden Irlands sind zu suchen
einerseits in der jahrelangen Unterdrückung der Insel, welche von England
wie ein erobertes Land regiert ward, andererseits in der Natur des Landes
und Volkes. Erstere wird vor allem von den Jrländern betont, letztere von
den Engländern, aber nur aus dem Zusammenwirken beider ist die gegen¬
wärtige Lage zu erklären. Die Unterdrückung der irischen Majorität durch
eine kleine englische Minorität ist eine Thatsache, welche der Geschichte an¬
gehört, die ärgsten Beschwerden sind in den letzten 40 Jahren allmählich be¬
seitigt, aber sie wirken noch nach. Andere Uebel sind bis jetzt stehen ge¬
blieben und treten schärfer hervor durch die Eigenthümlichkeiten des Bodens
und der Bewohner. Irland ist durchschnittlich ein armes Land, das sich nicht
zu intensiver Cultur eignet, und der Leichtsinn des beweglichen keltischen
Volkes lebt meistens von einem Tag zum andern, ohne an sorgfältige Be¬
wirtschaftung und Verbesserung des Bodens zu denken, während dieser bei
der sprichwörtlich gewordenen Fruchtbarkeit der Ehen immer weniger im


Grenzboten II. 1868. 16
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[0125] Die irländische Frage. Die Abstimmung, durch welche das Unterhaus am 3. April mit einer Mehrheit von 66 Stimmen die Aufhebung der englischen Staatskirche in Irland entschied, wird von der größten Tragweite für die ganze brittische Politik sein, ja wir möchten behaupten, daß seit Aushebung der Korngesetze 1840 keine Maßregel von so entscheidender Wichtigkeit dem Parlamente vor¬ gelegen hat und daß das Verdict desselben gegen die protestantische Mino¬ ritätskirche ähnlich wohlthätige Folgen haben wird, wie einst der Sturz des Brodvertheuerungs- und Schutzzollsystems. Ein großer Act der Gerechtig¬ keit gegen Irland ist damit im Prinzip entschieden, er vermag mehr als alle Repressivmaßregeln die Unzufriedenheit zu vermindern und Loyalität gegen die Regierung zu fördern; diese aber wird, nachdem sie den begründeten An¬ sprüchen gerecht geworden, umso besser den verbrecherischen und chimärischen Plänen widerstehen, welche von Abenteurern und Theoretikern befürwortet werden. Auf die Tagesordnung ist die irländische Frage durch die Excesse der fenischen Verschwörung gebracht. Aber die Leiden Irlands sind zu suchen einerseits in der jahrelangen Unterdrückung der Insel, welche von England wie ein erobertes Land regiert ward, andererseits in der Natur des Landes und Volkes. Erstere wird vor allem von den Jrländern betont, letztere von den Engländern, aber nur aus dem Zusammenwirken beider ist die gegen¬ wärtige Lage zu erklären. Die Unterdrückung der irischen Majorität durch eine kleine englische Minorität ist eine Thatsache, welche der Geschichte an¬ gehört, die ärgsten Beschwerden sind in den letzten 40 Jahren allmählich be¬ seitigt, aber sie wirken noch nach. Andere Uebel sind bis jetzt stehen ge¬ blieben und treten schärfer hervor durch die Eigenthümlichkeiten des Bodens und der Bewohner. Irland ist durchschnittlich ein armes Land, das sich nicht zu intensiver Cultur eignet, und der Leichtsinn des beweglichen keltischen Volkes lebt meistens von einem Tag zum andern, ohne an sorgfältige Be¬ wirtschaftung und Verbesserung des Bodens zu denken, während dieser bei der sprichwörtlich gewordenen Fruchtbarkeit der Ehen immer weniger im Grenzboten II. 1868. 16

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_362043/125>, abgerufen am 15.01.2025.