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Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, I. Semester. II. Band.

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schwieg, als man erfuhr, daß Freiherr v. Neurath zuvor schon sich der Ein¬
willigung des Hoff versichert hatte, an welchem in dieser ganzen.Zeit preu-
ßenseindliche Einflüsse dominirten, obwohl dem König selbst, wie es hieß,
die ganze Geschichte verdrießlich war. Die unter dem Einfluß der Regierung
stehende sogenannte liberale Partei in Stuttgart, die im April v. I. ein
tadelloses Programm im Sinn des sofortigen Anschlusses an den Nordbund
veröffentlichte, in derselben Zeit, als Freiherr v. Varnbüler einen so löb¬
lichen Eifer für den militärischen Anschluß an Preußen entwickelte, machte
jetzt Compagniegeschäfte mit der Volkspartei, arrangirte mit ihr gemeinschaft¬
liche Versammlungen und gemüthliche Wahlausflüge, und der Oberbürger¬
meister der Hauptstadt, dessen Autorität in der Regel dann für politische
Zwecke verwandt wird, wenn es gilt, einer Sache, die nach heftigen Kämpfen
eben reif in die Erscheinung tritt, zu guter letzt feierlich noch die Weihe des
Levatus xopuIusMg SwttMrtiöllLis zu ertheilen, wußte im October v. I.
ebenso geschickt eine Versammlung, die vollends ihr Gewicht in die Wag-
schaale der Verträge mit Preußen warf, zu leiten, und durch die Macht seiner
Beredtsamkeit die Gemüther seiner Mitbürger zur Freundschaft mit dem Nord¬
bund zu entzünden, als er nun heute unter dem Druck einer anderen Stim¬
mung und vielleicht anderer Weisungen denselben Mitbürgern die abschreckenden
Seiten eben dieses Nor'dbunds mit gleicher Beredtsamkeit entwickelte.

Der widerwärtige Charakter, den die Wahlagitation in ihrem letzten
Stadium hatte, war wesentlich veranlaßt durch die vielberufenen Zahlen über
die preußischen Steuern, die der Verwalter des Herrn v. Varnbüler in seiner
Wahlrede den entsetzten Zuhörern vorhielt, und die selbst wieder ihren Ur¬
sprung in der bekannten Rede Varnbülers vom 11. December hatten. Diese
Zahlen, wie oft sie auch von nationaler Seite, insbesondere durch die Aus¬
führungen Ed. Pfeiffers, widerlegt wurden, bildeten von da an, auf officiösen
Canälen durch das ganze Land verbreitet und überall aä libiwm weiter aus¬
geschmückt und auf die geschäftigste Weise übertrieben, das Material, mit
welchem die demokratischen, konservativen und ultramontanen Kandidaten um
die Wette operirten. Es ist unglaublich, gegen welche Erfindungen der
schamlosesten Art die deutschen Candidaten anzukämpfen hatten. Die Leicht¬
gläubigkeit des Volks und das ihm natürliche Mißtrauen wurden auf die
bezüglichste Art ausgebeutet, und wenn auf den Volksversammlungen auch
die sachlichen Auseinandersetzungen der nationalen Redner meistens willig
angehört wurden, -- denn das Volk hatte sicherlich das Bestreben, sich be¬
lehren zu lassen -- so blieb doch immer etwas hängen, es wurde den Ver¬
dacht nicht los, daß die deutsche Einheit, wenn auch ein schönes und nütz¬
liches Ding, doch vielleicht etwas kostspielig sein möchte, und schließlich ent¬
schied bei der Mehrheit des Volks die Erwägung, daß es ohne Zweifel


schwieg, als man erfuhr, daß Freiherr v. Neurath zuvor schon sich der Ein¬
willigung des Hoff versichert hatte, an welchem in dieser ganzen.Zeit preu-
ßenseindliche Einflüsse dominirten, obwohl dem König selbst, wie es hieß,
die ganze Geschichte verdrießlich war. Die unter dem Einfluß der Regierung
stehende sogenannte liberale Partei in Stuttgart, die im April v. I. ein
tadelloses Programm im Sinn des sofortigen Anschlusses an den Nordbund
veröffentlichte, in derselben Zeit, als Freiherr v. Varnbüler einen so löb¬
lichen Eifer für den militärischen Anschluß an Preußen entwickelte, machte
jetzt Compagniegeschäfte mit der Volkspartei, arrangirte mit ihr gemeinschaft¬
liche Versammlungen und gemüthliche Wahlausflüge, und der Oberbürger¬
meister der Hauptstadt, dessen Autorität in der Regel dann für politische
Zwecke verwandt wird, wenn es gilt, einer Sache, die nach heftigen Kämpfen
eben reif in die Erscheinung tritt, zu guter letzt feierlich noch die Weihe des
Levatus xopuIusMg SwttMrtiöllLis zu ertheilen, wußte im October v. I.
ebenso geschickt eine Versammlung, die vollends ihr Gewicht in die Wag-
schaale der Verträge mit Preußen warf, zu leiten, und durch die Macht seiner
Beredtsamkeit die Gemüther seiner Mitbürger zur Freundschaft mit dem Nord¬
bund zu entzünden, als er nun heute unter dem Druck einer anderen Stim¬
mung und vielleicht anderer Weisungen denselben Mitbürgern die abschreckenden
Seiten eben dieses Nor'dbunds mit gleicher Beredtsamkeit entwickelte.

Der widerwärtige Charakter, den die Wahlagitation in ihrem letzten
Stadium hatte, war wesentlich veranlaßt durch die vielberufenen Zahlen über
die preußischen Steuern, die der Verwalter des Herrn v. Varnbüler in seiner
Wahlrede den entsetzten Zuhörern vorhielt, und die selbst wieder ihren Ur¬
sprung in der bekannten Rede Varnbülers vom 11. December hatten. Diese
Zahlen, wie oft sie auch von nationaler Seite, insbesondere durch die Aus¬
führungen Ed. Pfeiffers, widerlegt wurden, bildeten von da an, auf officiösen
Canälen durch das ganze Land verbreitet und überall aä libiwm weiter aus¬
geschmückt und auf die geschäftigste Weise übertrieben, das Material, mit
welchem die demokratischen, konservativen und ultramontanen Kandidaten um
die Wette operirten. Es ist unglaublich, gegen welche Erfindungen der
schamlosesten Art die deutschen Candidaten anzukämpfen hatten. Die Leicht¬
gläubigkeit des Volks und das ihm natürliche Mißtrauen wurden auf die
bezüglichste Art ausgebeutet, und wenn auf den Volksversammlungen auch
die sachlichen Auseinandersetzungen der nationalen Redner meistens willig
angehört wurden, — denn das Volk hatte sicherlich das Bestreben, sich be¬
lehren zu lassen — so blieb doch immer etwas hängen, es wurde den Ver¬
dacht nicht los, daß die deutsche Einheit, wenn auch ein schönes und nütz¬
liches Ding, doch vielleicht etwas kostspielig sein möchte, und schließlich ent¬
schied bei der Mehrheit des Volks die Erwägung, daß es ohne Zweifel


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_362043/115>, abgerufen am 15.01.2025.