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Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, I. Semester. II. Band.

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geben könne, die sonst unmöglich schien, zeigte erst neuerdings eine schöne
Entdeckung Brunns.

Die treffliche schon von Winckelmann ausgezeichnete Gruppe einer
majestätischen Frau, welche mit mütterlicher Liebe das Haupt einem Knaben
zuneigt, den sie auf dem Arm trägt, ehemals in der Villa Albani, jetzt in
der. Münchner Glypthothek, verdankt den Namen der Imo Leukothea,
unter welchem sie bekannt ist, nur willkürlichen und unrichtigen Restauratio¬
nen, und da es an charakteristischen Attributen fehlt, so ist eine Deutung
auf bestimmte Personen, in welchen der allgemeine Charakter mütterlicher
Pflege sich offenbart, nicht zu begründen. Die schönen vollkräftigen Formen
des weiblichen Körpers, die reich entwickelte lebendige und doch einfach große
Gewandung, der hohe Ernst in den Gesichtszügen bei innigem Gefühlsaus¬
druck weisen auf ein Original attischer Kunst hin aus der Zeit, welche die
Befreiung der Kunst durch Phidias hinter sich hatte und bei der Anmuth
des Praxiteles noch nicht angelangt war. Nun findet sich auf attischen
Münzen eine Gruppe, der Münchner so wohl entsprechend, daß wir in ihr
das attische Original derselben ansprechen dürfen. Sie lehrt uns zunächst,
daß die Frau mit der Rechten ein Scepter aufstützte; aber weitere Attribute
fehlten und machten eine Entscheidung unmöglich, welche kinderpflegende
Göttin gemeint sei. Da fand Brunn auf einem vollkommen erhaltenen
Exemplar jener Münze, daß der Knabe ein Füllhorn in der Linken halte,
und damit war über die Restauration, die> Deutung, die kunsthistorische
Stellung der Gruppe entschieden. Das Füllhorn war ein wohl bezeugtes
Attribut des Reichthumgottes (Plutos), und wir wissen, daß in Athen
eine Gruppe von Kephisodot stand, die Friedensgöttin (Eirene), welche
den Gott des Reichthums in Krähengestalt auf dem Arm trug. Kephisodot
aber, der ältere von zwei gleichnamigen Künstlern, von denen der jüngere
ein Sohn des Praxiteles ist, war höchstwahrscheinlich der Vater des Praxiteles,
jedenfalls ein Bildhauer aus der Zeit, welcher man das Original der Münch¬
ner Gruppe aus stilistischen Gründen zuweisen mußte.

Günstiger noch ist die Lage, wenn zu den kleinen Münzbildern andere
Nachbildungen treten, welche genauere Belehrung geben. Auf einer Münze
von Athen ist eine Gruppe zweier im Angriff rasch vorschreitender Männer
dargestellt, von denen der eine das gezückte Schwert zum EinHauen über dem
Kopfe schwingt, der andere den linken Arm, über welchen er den Mantel
geworfen hat, zum Schutz vorstreckend, nebenherschreitet; beide Gestalten sind
in völlig gleicher Haltung und Bewegung parallel neben einander gestellt.
Genau dieselbe Gruppe ist in dem Relief eines in Athen gefundenen mar¬
mornen Ehrensessels, wie deren dort neuerdings so manche im Theater gesun¬
de." sind, wiederholt, nur von der andern Seite gezeichnet, sodaß die Figur


geben könne, die sonst unmöglich schien, zeigte erst neuerdings eine schöne
Entdeckung Brunns.

Die treffliche schon von Winckelmann ausgezeichnete Gruppe einer
majestätischen Frau, welche mit mütterlicher Liebe das Haupt einem Knaben
zuneigt, den sie auf dem Arm trägt, ehemals in der Villa Albani, jetzt in
der. Münchner Glypthothek, verdankt den Namen der Imo Leukothea,
unter welchem sie bekannt ist, nur willkürlichen und unrichtigen Restauratio¬
nen, und da es an charakteristischen Attributen fehlt, so ist eine Deutung
auf bestimmte Personen, in welchen der allgemeine Charakter mütterlicher
Pflege sich offenbart, nicht zu begründen. Die schönen vollkräftigen Formen
des weiblichen Körpers, die reich entwickelte lebendige und doch einfach große
Gewandung, der hohe Ernst in den Gesichtszügen bei innigem Gefühlsaus¬
druck weisen auf ein Original attischer Kunst hin aus der Zeit, welche die
Befreiung der Kunst durch Phidias hinter sich hatte und bei der Anmuth
des Praxiteles noch nicht angelangt war. Nun findet sich auf attischen
Münzen eine Gruppe, der Münchner so wohl entsprechend, daß wir in ihr
das attische Original derselben ansprechen dürfen. Sie lehrt uns zunächst,
daß die Frau mit der Rechten ein Scepter aufstützte; aber weitere Attribute
fehlten und machten eine Entscheidung unmöglich, welche kinderpflegende
Göttin gemeint sei. Da fand Brunn auf einem vollkommen erhaltenen
Exemplar jener Münze, daß der Knabe ein Füllhorn in der Linken halte,
und damit war über die Restauration, die> Deutung, die kunsthistorische
Stellung der Gruppe entschieden. Das Füllhorn war ein wohl bezeugtes
Attribut des Reichthumgottes (Plutos), und wir wissen, daß in Athen
eine Gruppe von Kephisodot stand, die Friedensgöttin (Eirene), welche
den Gott des Reichthums in Krähengestalt auf dem Arm trug. Kephisodot
aber, der ältere von zwei gleichnamigen Künstlern, von denen der jüngere
ein Sohn des Praxiteles ist, war höchstwahrscheinlich der Vater des Praxiteles,
jedenfalls ein Bildhauer aus der Zeit, welcher man das Original der Münch¬
ner Gruppe aus stilistischen Gründen zuweisen mußte.

Günstiger noch ist die Lage, wenn zu den kleinen Münzbildern andere
Nachbildungen treten, welche genauere Belehrung geben. Auf einer Münze
von Athen ist eine Gruppe zweier im Angriff rasch vorschreitender Männer
dargestellt, von denen der eine das gezückte Schwert zum EinHauen über dem
Kopfe schwingt, der andere den linken Arm, über welchen er den Mantel
geworfen hat, zum Schutz vorstreckend, nebenherschreitet; beide Gestalten sind
in völlig gleicher Haltung und Bewegung parallel neben einander gestellt.
Genau dieselbe Gruppe ist in dem Relief eines in Athen gefundenen mar¬
mornen Ehrensessels, wie deren dort neuerdings so manche im Theater gesun¬
de.» sind, wiederholt, nur von der andern Seite gezeichnet, sodaß die Figur


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_362043/104>, abgerufen am 15.01.2025.