Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, I. Semester. II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

der danebenstehenden Menschen ergibt sich eine Höhe von ungefähr drei Fuß,
eine Breite von etwa vier Fuß. Nach Pausanias war nun die Truhe auf
drei Seiten -- die vierte war , wie es scheint, an die Wand gerückt -- mit
figurenreichen Darstellungen, der Götter und Heroensage wie dem täglichen
Leben entnommen, verziert, die in fünf übereinander fortlaufenden Streifen
vertheilt waren; seine Beschreibung läßt die bis zu entschiedener Responsion
gesteigerte Symmetrie der Anordnung noch deutlich erkennen. Zahlreiche
Inschriften bezeichneten die einzelnen Personen, oder gaben auch in Hexa¬
metern kurz den Gegenstand der Scenen an; sie waren mit alten Buchstaben
zum Theil abwechselnd rechts- und linksläufig, theilweise in unbequem zu lesen¬
den Windungen geschrieben. Alle diese Eigenthümlichkeiten treten uns nun
auf Vasen alten Stils sichtbar vor Augen, und es wird sofort dadurch klar,
daß sie nicht etwa Besonderheiten der Kypseloslade, sondern charakteristische
Züge der ältesten Kunstübung sind. Dasselbe Bestreben, den Körper der
Vasen von bedeutendem Umfang mit dem Schmuck sigurenreicher Darstellun¬
gen zu überziehen, dieselbe regelmäßig wiederkehrende Anordnung in parallel
übereinander fortlaufenden Streifen. -Unter nicht wenigen lehrreichen Exem¬
plaren dieser Art zeichnet sich besonders die von dem Finder benannte
Franc.oisv.ase in Florenz aus, die durch Figurenreichthum, wenn auch
nicht durch Mannigfaltigkeit der Gegenstände, und durch Fülle der Inschriften
sich neben die Kypseloslade stellen kann. Denn auch die Anwendung der
Inschriften wiederholt sich hier in gleicher Weise. Zwar Inhaltsangaben in
Versen kommen nicht vor, desto häusiger die Namen der dargestellten Per¬
sonen und zwar mit gleicher Willkür hier weggelassen, dort beigesetzt. Fer¬
ner begegnen uns hier die ältesten Buchstabenformen, zum Theil gerade des
in Korinth gebräuchlichen Alphabets, welche diesen Vasen ein Ursprungs¬
zeugniß aus korinthischer Fabrik ausstellen; selbst die Richtung der Inschrif¬
ten, welche Pausanias als merkwürdig hervorhob, kommt auch hier vor, bald
rechts- bald linksläufig, und die unbequemen Windungen erklärt der Augen¬
schein als durch die Verhältnisse des Raums, in welchen sie hineinzupassen
waren, bedingt. Auf die allgemeine Uebereinstimmung der Kunstweise beschränkt
sich aber diese Beobachtung nicht. Mit geringen Ausnahmen finden sich die
Darstellungen der' Kypseloslade auch auf Vasenbildern alten Stils, die meisten
gehören zu den Lieblingsgegenständen derselben, gerade die eigenthümlichen
Motive, die auffallenden Züge in der Beschreibung der Lade kehren auf den
Vasenbildern stetig wieder. Als Producte des Kunsthandwerks, welche auf
selbständige Erfindung durchgängig keinen Anspruch haben, beweisen sie um
so deutlicher, daß es sich um Erscheinungen einer bestimmt entwickelten Kunst¬
weise von Wetter Ausdehnung handelt. Die "ganz scheußlich anzusehende
Eris" wird vollkommen klar durch die gorgonenartigen Flügelgestalten, welche


der danebenstehenden Menschen ergibt sich eine Höhe von ungefähr drei Fuß,
eine Breite von etwa vier Fuß. Nach Pausanias war nun die Truhe auf
drei Seiten — die vierte war , wie es scheint, an die Wand gerückt — mit
figurenreichen Darstellungen, der Götter und Heroensage wie dem täglichen
Leben entnommen, verziert, die in fünf übereinander fortlaufenden Streifen
vertheilt waren; seine Beschreibung läßt die bis zu entschiedener Responsion
gesteigerte Symmetrie der Anordnung noch deutlich erkennen. Zahlreiche
Inschriften bezeichneten die einzelnen Personen, oder gaben auch in Hexa¬
metern kurz den Gegenstand der Scenen an; sie waren mit alten Buchstaben
zum Theil abwechselnd rechts- und linksläufig, theilweise in unbequem zu lesen¬
den Windungen geschrieben. Alle diese Eigenthümlichkeiten treten uns nun
auf Vasen alten Stils sichtbar vor Augen, und es wird sofort dadurch klar,
daß sie nicht etwa Besonderheiten der Kypseloslade, sondern charakteristische
Züge der ältesten Kunstübung sind. Dasselbe Bestreben, den Körper der
Vasen von bedeutendem Umfang mit dem Schmuck sigurenreicher Darstellun¬
gen zu überziehen, dieselbe regelmäßig wiederkehrende Anordnung in parallel
übereinander fortlaufenden Streifen. -Unter nicht wenigen lehrreichen Exem¬
plaren dieser Art zeichnet sich besonders die von dem Finder benannte
Franc.oisv.ase in Florenz aus, die durch Figurenreichthum, wenn auch
nicht durch Mannigfaltigkeit der Gegenstände, und durch Fülle der Inschriften
sich neben die Kypseloslade stellen kann. Denn auch die Anwendung der
Inschriften wiederholt sich hier in gleicher Weise. Zwar Inhaltsangaben in
Versen kommen nicht vor, desto häusiger die Namen der dargestellten Per¬
sonen und zwar mit gleicher Willkür hier weggelassen, dort beigesetzt. Fer¬
ner begegnen uns hier die ältesten Buchstabenformen, zum Theil gerade des
in Korinth gebräuchlichen Alphabets, welche diesen Vasen ein Ursprungs¬
zeugniß aus korinthischer Fabrik ausstellen; selbst die Richtung der Inschrif¬
ten, welche Pausanias als merkwürdig hervorhob, kommt auch hier vor, bald
rechts- bald linksläufig, und die unbequemen Windungen erklärt der Augen¬
schein als durch die Verhältnisse des Raums, in welchen sie hineinzupassen
waren, bedingt. Auf die allgemeine Uebereinstimmung der Kunstweise beschränkt
sich aber diese Beobachtung nicht. Mit geringen Ausnahmen finden sich die
Darstellungen der' Kypseloslade auch auf Vasenbildern alten Stils, die meisten
gehören zu den Lieblingsgegenständen derselben, gerade die eigenthümlichen
Motive, die auffallenden Züge in der Beschreibung der Lade kehren auf den
Vasenbildern stetig wieder. Als Producte des Kunsthandwerks, welche auf
selbständige Erfindung durchgängig keinen Anspruch haben, beweisen sie um
so deutlicher, daß es sich um Erscheinungen einer bestimmt entwickelten Kunst¬
weise von Wetter Ausdehnung handelt. Die „ganz scheußlich anzusehende
Eris" wird vollkommen klar durch die gorgonenartigen Flügelgestalten, welche


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0100" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/117632"/>
          <p xml:id="ID_318" prev="#ID_317" next="#ID_319"> der danebenstehenden Menschen ergibt sich eine Höhe von ungefähr drei Fuß,<lb/>
eine Breite von etwa vier Fuß. Nach Pausanias war nun die Truhe auf<lb/>
drei Seiten &#x2014; die vierte war , wie es scheint, an die Wand gerückt &#x2014; mit<lb/>
figurenreichen Darstellungen, der Götter und Heroensage wie dem täglichen<lb/>
Leben entnommen, verziert, die in fünf übereinander fortlaufenden Streifen<lb/>
vertheilt waren; seine Beschreibung läßt die bis zu entschiedener Responsion<lb/>
gesteigerte Symmetrie der Anordnung noch deutlich erkennen. Zahlreiche<lb/>
Inschriften bezeichneten die einzelnen Personen, oder gaben auch in Hexa¬<lb/>
metern kurz den Gegenstand der Scenen an; sie waren mit alten Buchstaben<lb/>
zum Theil abwechselnd rechts- und linksläufig, theilweise in unbequem zu lesen¬<lb/>
den Windungen geschrieben. Alle diese Eigenthümlichkeiten treten uns nun<lb/>
auf Vasen alten Stils sichtbar vor Augen, und es wird sofort dadurch klar,<lb/>
daß sie nicht etwa Besonderheiten der Kypseloslade, sondern charakteristische<lb/>
Züge der ältesten Kunstübung sind. Dasselbe Bestreben, den Körper der<lb/>
Vasen von bedeutendem Umfang mit dem Schmuck sigurenreicher Darstellun¬<lb/>
gen zu überziehen, dieselbe regelmäßig wiederkehrende Anordnung in parallel<lb/>
übereinander fortlaufenden Streifen. -Unter nicht wenigen lehrreichen Exem¬<lb/>
plaren dieser Art zeichnet sich besonders die von dem Finder benannte<lb/>
Franc.oisv.ase in Florenz aus, die durch Figurenreichthum, wenn auch<lb/>
nicht durch Mannigfaltigkeit der Gegenstände, und durch Fülle der Inschriften<lb/>
sich neben die Kypseloslade stellen kann. Denn auch die Anwendung der<lb/>
Inschriften wiederholt sich hier in gleicher Weise. Zwar Inhaltsangaben in<lb/>
Versen kommen nicht vor, desto häusiger die Namen der dargestellten Per¬<lb/>
sonen und zwar mit gleicher Willkür hier weggelassen, dort beigesetzt. Fer¬<lb/>
ner begegnen uns hier die ältesten Buchstabenformen, zum Theil gerade des<lb/>
in Korinth gebräuchlichen Alphabets, welche diesen Vasen ein Ursprungs¬<lb/>
zeugniß aus korinthischer Fabrik ausstellen; selbst die Richtung der Inschrif¬<lb/>
ten, welche Pausanias als merkwürdig hervorhob, kommt auch hier vor, bald<lb/>
rechts- bald linksläufig, und die unbequemen Windungen erklärt der Augen¬<lb/>
schein als durch die Verhältnisse des Raums, in welchen sie hineinzupassen<lb/>
waren, bedingt. Auf die allgemeine Uebereinstimmung der Kunstweise beschränkt<lb/>
sich aber diese Beobachtung nicht. Mit geringen Ausnahmen finden sich die<lb/>
Darstellungen der' Kypseloslade auch auf Vasenbildern alten Stils, die meisten<lb/>
gehören zu den Lieblingsgegenständen derselben, gerade die eigenthümlichen<lb/>
Motive, die auffallenden Züge in der Beschreibung der Lade kehren auf den<lb/>
Vasenbildern stetig wieder. Als Producte des Kunsthandwerks, welche auf<lb/>
selbständige Erfindung durchgängig keinen Anspruch haben, beweisen sie um<lb/>
so deutlicher, daß es sich um Erscheinungen einer bestimmt entwickelten Kunst¬<lb/>
weise von Wetter Ausdehnung handelt. Die &#x201E;ganz scheußlich anzusehende<lb/>
Eris" wird vollkommen klar durch die gorgonenartigen Flügelgestalten, welche</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0100] der danebenstehenden Menschen ergibt sich eine Höhe von ungefähr drei Fuß, eine Breite von etwa vier Fuß. Nach Pausanias war nun die Truhe auf drei Seiten — die vierte war , wie es scheint, an die Wand gerückt — mit figurenreichen Darstellungen, der Götter und Heroensage wie dem täglichen Leben entnommen, verziert, die in fünf übereinander fortlaufenden Streifen vertheilt waren; seine Beschreibung läßt die bis zu entschiedener Responsion gesteigerte Symmetrie der Anordnung noch deutlich erkennen. Zahlreiche Inschriften bezeichneten die einzelnen Personen, oder gaben auch in Hexa¬ metern kurz den Gegenstand der Scenen an; sie waren mit alten Buchstaben zum Theil abwechselnd rechts- und linksläufig, theilweise in unbequem zu lesen¬ den Windungen geschrieben. Alle diese Eigenthümlichkeiten treten uns nun auf Vasen alten Stils sichtbar vor Augen, und es wird sofort dadurch klar, daß sie nicht etwa Besonderheiten der Kypseloslade, sondern charakteristische Züge der ältesten Kunstübung sind. Dasselbe Bestreben, den Körper der Vasen von bedeutendem Umfang mit dem Schmuck sigurenreicher Darstellun¬ gen zu überziehen, dieselbe regelmäßig wiederkehrende Anordnung in parallel übereinander fortlaufenden Streifen. -Unter nicht wenigen lehrreichen Exem¬ plaren dieser Art zeichnet sich besonders die von dem Finder benannte Franc.oisv.ase in Florenz aus, die durch Figurenreichthum, wenn auch nicht durch Mannigfaltigkeit der Gegenstände, und durch Fülle der Inschriften sich neben die Kypseloslade stellen kann. Denn auch die Anwendung der Inschriften wiederholt sich hier in gleicher Weise. Zwar Inhaltsangaben in Versen kommen nicht vor, desto häusiger die Namen der dargestellten Per¬ sonen und zwar mit gleicher Willkür hier weggelassen, dort beigesetzt. Fer¬ ner begegnen uns hier die ältesten Buchstabenformen, zum Theil gerade des in Korinth gebräuchlichen Alphabets, welche diesen Vasen ein Ursprungs¬ zeugniß aus korinthischer Fabrik ausstellen; selbst die Richtung der Inschrif¬ ten, welche Pausanias als merkwürdig hervorhob, kommt auch hier vor, bald rechts- bald linksläufig, und die unbequemen Windungen erklärt der Augen¬ schein als durch die Verhältnisse des Raums, in welchen sie hineinzupassen waren, bedingt. Auf die allgemeine Uebereinstimmung der Kunstweise beschränkt sich aber diese Beobachtung nicht. Mit geringen Ausnahmen finden sich die Darstellungen der' Kypseloslade auch auf Vasenbildern alten Stils, die meisten gehören zu den Lieblingsgegenständen derselben, gerade die eigenthümlichen Motive, die auffallenden Züge in der Beschreibung der Lade kehren auf den Vasenbildern stetig wieder. Als Producte des Kunsthandwerks, welche auf selbständige Erfindung durchgängig keinen Anspruch haben, beweisen sie um so deutlicher, daß es sich um Erscheinungen einer bestimmt entwickelten Kunst¬ weise von Wetter Ausdehnung handelt. Die „ganz scheußlich anzusehende Eris" wird vollkommen klar durch die gorgonenartigen Flügelgestalten, welche

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_362043
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_362043/100
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_362043/100>, abgerufen am 15.01.2025.