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Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. II Band.

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Tartarn, Siam und Pegu war zuerst um 1614 erschienen, 1671 zu Amsterdam
verdeutscht und seitdem dem deutschen Publicum nur durch einen mangelhaften,
flüchtig gearbeiteten Auszug zugänglich gemacht worden. Das Schicksal dieses Werks
ist dadurch besonders interessant, daß es Jahrhunderte lang für ein Fabelbuch ge¬
golten hat und erst durch die Ergebnisse neuerer Forschung rehabilitirt worden ist.
Im I. 1539 hatte Pinto sein Baterland als Flüchtling verlassen und erst im
September 1568 kehrte er nach einer Reihe von unerhörten Abenteuern in die
Heimath zurück, wo er im I. 1583 trotz seiner Verdienste um die Erweiterung
des portugiesischen Handels als armer und unbekannter Mann verstarb. Pinto's
Aufzeichnungen waren zunächst nicht für die Oeffentlichkeit, sondern zur Belehrung
der Kinder des kühnen Reisenden bestimmt. Erst einunddreißig Jahre nach seinem
Tode wurden sie gedruckt; das Aufsehen, das sie erregten, beruhte hauptsächlich auf
der stilistischen Mustergültigkeit der Darstellung, da der Inhalt, wie oben erwähnt,
längere Zeit hindurch für fabelhaft und unzuverlässig galt, ein Umstand, den der
Verfasser selbst durch einzelne, übrigens unwesentliche Uebertreibungen und Aus¬
schmückungen verschuldet hatte. Im I. 1620, also schon sechs Jahre nach dem
ersten Erscheinen, wurden Pinto's Aufzeichnungen durch Francisco da Herera Mal-
donado ins Spanische übertragen, acht Jahre später ins Französische und seitdem
in fast alle übrigen europäischen Cultursprachen.

Die Geschichte dieses Buchs ist das beste Zeugniß, das zu Gunsten desselben
angeführt werden kann und wird in unserer Zeit sicher nicht weniger Interesse er¬
regen, als vor 250 Jahren, da es nur für einen Reiseroman galt und doch allent¬
halben verschlungen wurde. Wie schon die Vorrede bemerkt, ist ein großer Theil
der von Pinto genannten Ortsnamen nicht mehr verständlich, da derselbe ihre Auf¬
zeichnung vornahm, ohne mit den Sprachen der Völker bekannt zu sein, unter denen
er lebte. Dr. Külb, der kenntnißreiche Uebersetzer und Herausgeber, hat dieselben
leider nur zum Theil in der richtigen Version wiedergegeben und dadurch dem
Scharfsinn des Lesers mehr überlassen, als dieser in der Regel zu leisten im Stande
sein'wird. Die Uebersetzung selbst ist vortrefflich, leicht und fließend zu lesen und
enthält dieselben Vorzüge, welche den Ruhm des Originals begründet haben.




G. Teichmüller, Beiträge zur Erklärung der Poetik des Aristoteles.
Halle 1867.

Wider unsern Willen erfüllen wir erst spät die Pflicht, auf das vorliegende
Buch hinzuweisen. Es verdient alle Beachtung in hohem Grade und zeichnet sich
durch eine außergewöhnliche Lebendigkeit der Darstellung, durch großen Scharfsinn
und eine Selbständigkeit des Urtheils aus. die sich in einer vorurtheilslosen Behand¬
lung bereits erkannter und in erfolgreichem Nachweise noch nicht erkannter, neuer
Probleme zu erkennen gibt. Man muß sagen, daß es die für die Geschichte der
Dichtkunst und ihrer Theorie überaus wichtige Erkenntniß von Aristoteles' Poetik
sehr wesentlich gefördert hat und somit auch außerhalb des engen Kreises der Fach¬
genossen Beachtung beanspruchen darf. Auf die zum Theil überraschenden Resultate,
welche es bietet, ist schon von competenten Beurtheilern hingewiesen worden (so auf


Tartarn, Siam und Pegu war zuerst um 1614 erschienen, 1671 zu Amsterdam
verdeutscht und seitdem dem deutschen Publicum nur durch einen mangelhaften,
flüchtig gearbeiteten Auszug zugänglich gemacht worden. Das Schicksal dieses Werks
ist dadurch besonders interessant, daß es Jahrhunderte lang für ein Fabelbuch ge¬
golten hat und erst durch die Ergebnisse neuerer Forschung rehabilitirt worden ist.
Im I. 1539 hatte Pinto sein Baterland als Flüchtling verlassen und erst im
September 1568 kehrte er nach einer Reihe von unerhörten Abenteuern in die
Heimath zurück, wo er im I. 1583 trotz seiner Verdienste um die Erweiterung
des portugiesischen Handels als armer und unbekannter Mann verstarb. Pinto's
Aufzeichnungen waren zunächst nicht für die Oeffentlichkeit, sondern zur Belehrung
der Kinder des kühnen Reisenden bestimmt. Erst einunddreißig Jahre nach seinem
Tode wurden sie gedruckt; das Aufsehen, das sie erregten, beruhte hauptsächlich auf
der stilistischen Mustergültigkeit der Darstellung, da der Inhalt, wie oben erwähnt,
längere Zeit hindurch für fabelhaft und unzuverlässig galt, ein Umstand, den der
Verfasser selbst durch einzelne, übrigens unwesentliche Uebertreibungen und Aus¬
schmückungen verschuldet hatte. Im I. 1620, also schon sechs Jahre nach dem
ersten Erscheinen, wurden Pinto's Aufzeichnungen durch Francisco da Herera Mal-
donado ins Spanische übertragen, acht Jahre später ins Französische und seitdem
in fast alle übrigen europäischen Cultursprachen.

Die Geschichte dieses Buchs ist das beste Zeugniß, das zu Gunsten desselben
angeführt werden kann und wird in unserer Zeit sicher nicht weniger Interesse er¬
regen, als vor 250 Jahren, da es nur für einen Reiseroman galt und doch allent¬
halben verschlungen wurde. Wie schon die Vorrede bemerkt, ist ein großer Theil
der von Pinto genannten Ortsnamen nicht mehr verständlich, da derselbe ihre Auf¬
zeichnung vornahm, ohne mit den Sprachen der Völker bekannt zu sein, unter denen
er lebte. Dr. Külb, der kenntnißreiche Uebersetzer und Herausgeber, hat dieselben
leider nur zum Theil in der richtigen Version wiedergegeben und dadurch dem
Scharfsinn des Lesers mehr überlassen, als dieser in der Regel zu leisten im Stande
sein'wird. Die Uebersetzung selbst ist vortrefflich, leicht und fließend zu lesen und
enthält dieselben Vorzüge, welche den Ruhm des Originals begründet haben.




G. Teichmüller, Beiträge zur Erklärung der Poetik des Aristoteles.
Halle 1867.

Wider unsern Willen erfüllen wir erst spät die Pflicht, auf das vorliegende
Buch hinzuweisen. Es verdient alle Beachtung in hohem Grade und zeichnet sich
durch eine außergewöhnliche Lebendigkeit der Darstellung, durch großen Scharfsinn
und eine Selbständigkeit des Urtheils aus. die sich in einer vorurtheilslosen Behand¬
lung bereits erkannter und in erfolgreichem Nachweise noch nicht erkannter, neuer
Probleme zu erkennen gibt. Man muß sagen, daß es die für die Geschichte der
Dichtkunst und ihrer Theorie überaus wichtige Erkenntniß von Aristoteles' Poetik
sehr wesentlich gefördert hat und somit auch außerhalb des engen Kreises der Fach¬
genossen Beachtung beanspruchen darf. Auf die zum Theil überraschenden Resultate,
welche es bietet, ist schon von competenten Beurtheilern hingewiesen worden (so auf


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. II Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_287271/91>, abgerufen am 05.02.2025.