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Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. II Band.

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Bestrebungen im russischen Sinn -- moderirt durch gewisse in Frankreich
gebieterische Schicklichkeitsrücksichten. Etwas anders als diese Erklärungen
über den "vorgeblichen" Panslavismus, die Herr Leger seinen prager und
agramer Lehrern nachspricht und durch eine Schilderung des ethnographischen
Congresses, welche in Schönmalerei das Mögliche leistet, belegen zu wollen
scheint, nehmen sich die Betrachtungen aus, welche derselbe Autor vor etwa
drei Jahren einer von ihm übersetzten Broschüre vorausschickte. Diese Bro¬
schüre war von der russischen Regierung verbreitet worden, um die öffentliche
Meinung für sich und gegen die Polen zu gewinnen und den Fanatis¬
mus des litthauischen Landvolks gegen die katholischen Polen anzufachen.
Diese Schrift, deren französischer Titel "I/me^eliquö 6u Isar, 1s äroit
as ig, üussie et 1ö tort as la, ?oloZmz" lautet und die im Jahre 1863
in Rußland in Tausenden von Exemplaren unter der Landbevölkerung
verbreitet wurde, leitete Herr Leger, als er sie zwei Jahre später über¬
setzte, mit einer nicht eben russenfreundlichen Vorrede ein. Wir erfahren
aus derselben, daß das "söurimsnt r6IiZi<zux on plutot töticdisw" das Ein¬
zige ist, was Eindruck auf das Gefühl des russischen Bauern macht, daß
deshalb die russische Regierung zu diesem Gefühle ihre Zuflucht nahm und
diese Broschüre publicirte, und zwar nicht in Petersburg, sondern in Moskau.
In Petersburg, heißt es weiter, hätte dieser Appell an den religiösen Fanatis¬
mus in die Hände eines Europäers fallen und die russische Regierung com-
promittiren können, die, obgleich sie Europa insultirt, sich doch in Peters¬
burg darin gefällt, einen gewissen Liberalismus zu affeetiren; deshalb sei diese
Schrift in Moskau veröffentlicht worden, dem Heiligthume des altrussischen
Geistes, dessen übelriechende ("nausvalzonäLs") Elucubrationen in der "LrÄ2<zttö
ac Noscou" bis nach Paris gelangten. Weiter macht Herr Leger auf ver¬
schiedene Stellen aufmerksam, die eine merkwürdige Verdummung des russi¬
schen Bauern anzeigen, eine Verdummung, die heute nur lächerlich und be¬
dauernswerth ist, vor der sich Europa aber in Acht nehmen-möge, da man
bei einem Volke, wie das russische, von der Knute und dem Fanatismus
Alles erwarten könne. "Noch einmal hat Europa verabsäumt, den Deich
auszubessern, welcher den Welttheil nach Osten hin decken sollte. Gebe Gott,
daß die Fluth nicht eines Tages über Europa hereinbreche: die Macht, welche
die gefährlichste auf der Welt ist, die Macht, welche die Kaiserreiche gebrochen'
hat, die Macht, welche uns heute bedroht, das ist die Macht der trägen
Masse!"

Ob der pariser Czechophile wohl noch heute dieselbe Sprache über den
Slavenmessias führen mag? Schwerlich; die Böhmen und Südslaven, deren
Politische Bestrebungen Herr Leger vertritt und versieht, gehen in ihren pan-
slavistischen Sympathien noch viel weiter als Herr Leger es vor dem frau-


Bestrebungen im russischen Sinn — moderirt durch gewisse in Frankreich
gebieterische Schicklichkeitsrücksichten. Etwas anders als diese Erklärungen
über den „vorgeblichen" Panslavismus, die Herr Leger seinen prager und
agramer Lehrern nachspricht und durch eine Schilderung des ethnographischen
Congresses, welche in Schönmalerei das Mögliche leistet, belegen zu wollen
scheint, nehmen sich die Betrachtungen aus, welche derselbe Autor vor etwa
drei Jahren einer von ihm übersetzten Broschüre vorausschickte. Diese Bro¬
schüre war von der russischen Regierung verbreitet worden, um die öffentliche
Meinung für sich und gegen die Polen zu gewinnen und den Fanatis¬
mus des litthauischen Landvolks gegen die katholischen Polen anzufachen.
Diese Schrift, deren französischer Titel „I/me^eliquö 6u Isar, 1s äroit
as ig, üussie et 1ö tort as la, ?oloZmz" lautet und die im Jahre 1863
in Rußland in Tausenden von Exemplaren unter der Landbevölkerung
verbreitet wurde, leitete Herr Leger, als er sie zwei Jahre später über¬
setzte, mit einer nicht eben russenfreundlichen Vorrede ein. Wir erfahren
aus derselben, daß das „söurimsnt r6IiZi<zux on plutot töticdisw" das Ein¬
zige ist, was Eindruck auf das Gefühl des russischen Bauern macht, daß
deshalb die russische Regierung zu diesem Gefühle ihre Zuflucht nahm und
diese Broschüre publicirte, und zwar nicht in Petersburg, sondern in Moskau.
In Petersburg, heißt es weiter, hätte dieser Appell an den religiösen Fanatis¬
mus in die Hände eines Europäers fallen und die russische Regierung com-
promittiren können, die, obgleich sie Europa insultirt, sich doch in Peters¬
burg darin gefällt, einen gewissen Liberalismus zu affeetiren; deshalb sei diese
Schrift in Moskau veröffentlicht worden, dem Heiligthume des altrussischen
Geistes, dessen übelriechende („nausvalzonäLs") Elucubrationen in der „LrÄ2<zttö
ac Noscou" bis nach Paris gelangten. Weiter macht Herr Leger auf ver¬
schiedene Stellen aufmerksam, die eine merkwürdige Verdummung des russi¬
schen Bauern anzeigen, eine Verdummung, die heute nur lächerlich und be¬
dauernswerth ist, vor der sich Europa aber in Acht nehmen-möge, da man
bei einem Volke, wie das russische, von der Knute und dem Fanatismus
Alles erwarten könne. „Noch einmal hat Europa verabsäumt, den Deich
auszubessern, welcher den Welttheil nach Osten hin decken sollte. Gebe Gott,
daß die Fluth nicht eines Tages über Europa hereinbreche: die Macht, welche
die gefährlichste auf der Welt ist, die Macht, welche die Kaiserreiche gebrochen'
hat, die Macht, welche uns heute bedroht, das ist die Macht der trägen
Masse!"

Ob der pariser Czechophile wohl noch heute dieselbe Sprache über den
Slavenmessias führen mag? Schwerlich; die Böhmen und Südslaven, deren
Politische Bestrebungen Herr Leger vertritt und versieht, gehen in ihren pan-
slavistischen Sympathien noch viel weiter als Herr Leger es vor dem frau-


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[0543] Bestrebungen im russischen Sinn — moderirt durch gewisse in Frankreich gebieterische Schicklichkeitsrücksichten. Etwas anders als diese Erklärungen über den „vorgeblichen" Panslavismus, die Herr Leger seinen prager und agramer Lehrern nachspricht und durch eine Schilderung des ethnographischen Congresses, welche in Schönmalerei das Mögliche leistet, belegen zu wollen scheint, nehmen sich die Betrachtungen aus, welche derselbe Autor vor etwa drei Jahren einer von ihm übersetzten Broschüre vorausschickte. Diese Bro¬ schüre war von der russischen Regierung verbreitet worden, um die öffentliche Meinung für sich und gegen die Polen zu gewinnen und den Fanatis¬ mus des litthauischen Landvolks gegen die katholischen Polen anzufachen. Diese Schrift, deren französischer Titel „I/me^eliquö 6u Isar, 1s äroit as ig, üussie et 1ö tort as la, ?oloZmz" lautet und die im Jahre 1863 in Rußland in Tausenden von Exemplaren unter der Landbevölkerung verbreitet wurde, leitete Herr Leger, als er sie zwei Jahre später über¬ setzte, mit einer nicht eben russenfreundlichen Vorrede ein. Wir erfahren aus derselben, daß das „söurimsnt r6IiZi<zux on plutot töticdisw" das Ein¬ zige ist, was Eindruck auf das Gefühl des russischen Bauern macht, daß deshalb die russische Regierung zu diesem Gefühle ihre Zuflucht nahm und diese Broschüre publicirte, und zwar nicht in Petersburg, sondern in Moskau. In Petersburg, heißt es weiter, hätte dieser Appell an den religiösen Fanatis¬ mus in die Hände eines Europäers fallen und die russische Regierung com- promittiren können, die, obgleich sie Europa insultirt, sich doch in Peters¬ burg darin gefällt, einen gewissen Liberalismus zu affeetiren; deshalb sei diese Schrift in Moskau veröffentlicht worden, dem Heiligthume des altrussischen Geistes, dessen übelriechende („nausvalzonäLs") Elucubrationen in der „LrÄ2<zttö ac Noscou" bis nach Paris gelangten. Weiter macht Herr Leger auf ver¬ schiedene Stellen aufmerksam, die eine merkwürdige Verdummung des russi¬ schen Bauern anzeigen, eine Verdummung, die heute nur lächerlich und be¬ dauernswerth ist, vor der sich Europa aber in Acht nehmen-möge, da man bei einem Volke, wie das russische, von der Knute und dem Fanatismus Alles erwarten könne. „Noch einmal hat Europa verabsäumt, den Deich auszubessern, welcher den Welttheil nach Osten hin decken sollte. Gebe Gott, daß die Fluth nicht eines Tages über Europa hereinbreche: die Macht, welche die gefährlichste auf der Welt ist, die Macht, welche die Kaiserreiche gebrochen' hat, die Macht, welche uns heute bedroht, das ist die Macht der trägen Masse!" Ob der pariser Czechophile wohl noch heute dieselbe Sprache über den Slavenmessias führen mag? Schwerlich; die Böhmen und Südslaven, deren Politische Bestrebungen Herr Leger vertritt und versieht, gehen in ihren pan- slavistischen Sympathien noch viel weiter als Herr Leger es vor dem frau-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. II Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_287271/543>, abgerufen am 05.02.2025.