Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. II Band.sem Eingeständnis) entfernt ist, geht aus folgender Stelle hervor, der stärksten Also noch einmal der längst begrabene Wahn, Beethoven hätte zur sem Eingeständnis) entfernt ist, geht aus folgender Stelle hervor, der stärksten Also noch einmal der längst begrabene Wahn, Beethoven hätte zur <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0527" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/287799"/> <p xml:id="ID_1329" prev="#ID_1328"> sem Eingeständnis) entfernt ist, geht aus folgender Stelle hervor, der stärksten<lb/> des ganzen Buches (S. 168): „dann aber hatte die Instrumentalmusik zuletzt<lb/> bei Beethoven unternommen, geschieden von der Dichtung, das innere und<lb/> äußere eheliche Doppelvermögen aus sich selbst zu ersetzen, und der Nöthig¬<lb/> ungen, Hemmungen un.d Verlegenheiten (?) des Bundes mit der Poesie sich<lb/> entledigend, das allein zu leisten, was bis dahin beide Künste zusammen<lb/> geleistet hatten. Diese Vermessenheit aber strafte sich (nach der Auffassung<lb/> selbst seiner hingegebensten Bewunderer) an eben dem Tondichter, der diesen<lb/> Weg so kühn, mit so vertrauenden Bewußtsein, aber nicht zu seinem<lb/> Frieden betreten hatte, durch das rächende Bewußtsein des Enten<lb/> und Irrigen seines Unterfangens." Vermessenheit? Wer ist hier ver¬<lb/> messen? Wer sind die hingegebensten Bewunderer, die Gervinus hier citirt?<lb/> Doch hören wir erst weiter. „Er gerade, der die Mittel und die Formen<lb/> dieser Kunst am weitesten ausgedehnt, die Sinfonie im Vergleiche mit Mo¬<lb/> zart auf das Doppelte erweitert____ er empfand zuletzt die Ueberschätzung<lb/> dieser Kräfte und Mittel." Wer? Beethoven? und wo? „Er sah die überspitzte<lb/> Spitze (!) abbrechen und begriff, daß die Seele des musikalischen Körpers<lb/> doch nur die Dichtung sei, daß die Gesangmusik allein das Allerheiligste der<lb/> Kunst erschließe. Er war ausgesteuert, eine neue Welt zu entdecken (also<lb/> doch!) und er kehrte zu der alten zurück. In seiner concertircnden Fantasie<lb/> und in der neunten Sinfonie rief Beethoven die Menschenstimme wieder zu<lb/> Hilfe, nicht in zufälliger Laune----sondern er schrieb diese Werke (wie uns<lb/> die verschiedensten Beurtheiler, Gegner, Anbeter, Unbefangene, gleichmäßig, und<lb/> nicht aus bloßer „Vermuthung", und Alle in voller Billigung berichten und<lb/> sagen), er schrieb diese Werke als feierliche Urkunden über die Macht<lb/> und die Grenzen der Instrumentalmusik, in welchen er seine Ueber¬<lb/> zeugung aussprach, daß Menschenstimme und Wort allein in der Tonkunst<lb/> vollenden könnten, was das „Stammeln" der Instrumentalmusik nur ver¬<lb/> sucht und nur ahnen läßt."</p><lb/> <p xml:id="ID_1330" next="#ID_1331"> Also noch einmal der längst begrabene Wahn, Beethoven hätte zur<lb/> neunten Sinfonie deshalb den Menschenchor hinzugezogen, weil seine in¬<lb/> strumentalen Kräfte erschöpft waren, oder weil er sich gar bewußt geworden,<lb/> daß „die Sangmusik allein das Allerheiligste der Kunst erschlösse"! Und mit<lb/> diesem Bewußtsein hätte sich ein Mann von seiner Taille dann wieder hin¬<lb/> gesetzt, um seine letzten Quartette zu schreiben? Und nun gar die Chorfan¬<lb/> tasie? Weiß Herr Gervinus nicht, daß sie die Opuszahl 80 trägt? All' die<lb/> großen Jnstrumentalwerke, welche ihr folgen, hätte Beethoven gegen seine<lb/> „Ueberzeugung" geschrieben? Gibt es, fragen wir, einen gebildeten Tonkünst¬<lb/> ler, der es nicht für in hohem Grade wahrscheinlich hielte, daß seine zehnte<lb/> Sinfonie ohne „Hilfe der Menschenstimme" geschrieben worden wäre? Mit</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0527]
sem Eingeständnis) entfernt ist, geht aus folgender Stelle hervor, der stärksten
des ganzen Buches (S. 168): „dann aber hatte die Instrumentalmusik zuletzt
bei Beethoven unternommen, geschieden von der Dichtung, das innere und
äußere eheliche Doppelvermögen aus sich selbst zu ersetzen, und der Nöthig¬
ungen, Hemmungen un.d Verlegenheiten (?) des Bundes mit der Poesie sich
entledigend, das allein zu leisten, was bis dahin beide Künste zusammen
geleistet hatten. Diese Vermessenheit aber strafte sich (nach der Auffassung
selbst seiner hingegebensten Bewunderer) an eben dem Tondichter, der diesen
Weg so kühn, mit so vertrauenden Bewußtsein, aber nicht zu seinem
Frieden betreten hatte, durch das rächende Bewußtsein des Enten
und Irrigen seines Unterfangens." Vermessenheit? Wer ist hier ver¬
messen? Wer sind die hingegebensten Bewunderer, die Gervinus hier citirt?
Doch hören wir erst weiter. „Er gerade, der die Mittel und die Formen
dieser Kunst am weitesten ausgedehnt, die Sinfonie im Vergleiche mit Mo¬
zart auf das Doppelte erweitert____ er empfand zuletzt die Ueberschätzung
dieser Kräfte und Mittel." Wer? Beethoven? und wo? „Er sah die überspitzte
Spitze (!) abbrechen und begriff, daß die Seele des musikalischen Körpers
doch nur die Dichtung sei, daß die Gesangmusik allein das Allerheiligste der
Kunst erschließe. Er war ausgesteuert, eine neue Welt zu entdecken (also
doch!) und er kehrte zu der alten zurück. In seiner concertircnden Fantasie
und in der neunten Sinfonie rief Beethoven die Menschenstimme wieder zu
Hilfe, nicht in zufälliger Laune----sondern er schrieb diese Werke (wie uns
die verschiedensten Beurtheiler, Gegner, Anbeter, Unbefangene, gleichmäßig, und
nicht aus bloßer „Vermuthung", und Alle in voller Billigung berichten und
sagen), er schrieb diese Werke als feierliche Urkunden über die Macht
und die Grenzen der Instrumentalmusik, in welchen er seine Ueber¬
zeugung aussprach, daß Menschenstimme und Wort allein in der Tonkunst
vollenden könnten, was das „Stammeln" der Instrumentalmusik nur ver¬
sucht und nur ahnen läßt."
Also noch einmal der längst begrabene Wahn, Beethoven hätte zur
neunten Sinfonie deshalb den Menschenchor hinzugezogen, weil seine in¬
strumentalen Kräfte erschöpft waren, oder weil er sich gar bewußt geworden,
daß „die Sangmusik allein das Allerheiligste der Kunst erschlösse"! Und mit
diesem Bewußtsein hätte sich ein Mann von seiner Taille dann wieder hin¬
gesetzt, um seine letzten Quartette zu schreiben? Und nun gar die Chorfan¬
tasie? Weiß Herr Gervinus nicht, daß sie die Opuszahl 80 trägt? All' die
großen Jnstrumentalwerke, welche ihr folgen, hätte Beethoven gegen seine
„Ueberzeugung" geschrieben? Gibt es, fragen wir, einen gebildeten Tonkünst¬
ler, der es nicht für in hohem Grade wahrscheinlich hielte, daß seine zehnte
Sinfonie ohne „Hilfe der Menschenstimme" geschrieben worden wäre? Mit
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