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Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. II Band.

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haarscharf bewiesen, daß der Fund von Varus, aus der teutoburger Schlacht
herrührt und von Armin gleichsam nur aus Vergeßlichkeit nicht wieder ausge¬
graben ist, daß es also vaterländische, das heißt hannoveranische Alterthümer
sind, von denen jeder deutsche Patriot, das heißt jeder Hannoveraner wün¬
schen müsse, daß sie in Hildesheim, der ehemaligen Hauptstadt der Cherusker,
verblieben?

Glauben Sie indessen ja nicht, daß diese Aufregung die einzige Naive¬
tät sei, welche bei dieser Gelegenheit hier zu Tage gekommen ist. Von dem
großen und langen Weg ungemüthlicher Irrungen, den man gegangen ist,
ehe man zum Glauben an das Glück eines Antikenfundes den nöthigen
Muth fand, will ich als von einem verzeihlichen Mißgeschick, welches meines
Erachtens die Gelehrten von Anfang an zu ernst genommen haben, nicht reden.
Auch hat man recht sentimentaler Weise, als ob Kunstgeschichte in unseren
Volksschulen gelehrt würde, die gemeinen Soldaten, welche die glücklichen
Finder waren, für die Unkenntniß und Unbehutsamkeit verantwortlich ge¬
macht, mit welcher man die Gegenstände am 17. October in der Abenddäm¬
merung neun Fuß tief aus dem Erdreich herausgeschafft hat. Die Hacke
richtete einigen Schaden an; einige Stücke wurden anfänglich bei Seite ge¬
worfen, andere gedankenlos eingesteckt: man hielt die Gefäße, ganz mit
Erde bedeckt wie sie waren, für Bleiwaare. Man las die Fragmente schlecht
zusammen -- am andern Morgen hielten einige Jungen an Ort und Stelle
eine Mine Nachlese -- lud was vorhanden auf einige Schtebkarren und
schleppte den Schatz so in die Stadt und durch die ganze Stadt hin¬
durch in gemüthlicher Procession, die wie billig an einigen Schenken nicht
theilnahmlos vorübergehen konnte, nach dem Hof der Caserne, wo er die
erste Nacht unter freiem Himmel campiren sollte. Eine geraume Zeit lang
hat er sich dann in einer ewfenstrigen engen Dachkammer auf dem Fußboden
in den Winkeln oder in Tragkörben ausgestellt befunden. Und ich will nicht
näher beschreiben, wie oft für die zahlreich zuströmenden Besucher die zarten
kostbaren Gegenstände vom Boden auf den Tisch gehoben worden sind, wie
viele Damen sich das Vergnügen, etwas Antikes in Händen zu halten und
aus den Händen entgleiten zu lassen, nicht versagen konnten. Schlimmer als
diese moderne Geschichte der antiken Gefäße, die eben nur beweist, daß wir
uns bei solchen Gelegenheiten nicht viel besser als die dassa, sevts in Italien
benehmen, ist, wie mir scheint, die Unbedachtsamkett, daß man vor lauter Auf¬
regung das Nächstliegende versäumt hat, eine sorgfältige Durchforschung des
ganzen Terrains vorzunehmen und namentlich durch Abhörung der Finder
alle Umstände des Fundes festzustellen. Denn es cursiren schon jetzt, da um
jedes ungewöhnlichere Ereigniß sich auf der Stelle eine kleine Mythologie
bildet, die verschiedenartigsten Aussagen, die sich zum Theil geradezu wider-


haarscharf bewiesen, daß der Fund von Varus, aus der teutoburger Schlacht
herrührt und von Armin gleichsam nur aus Vergeßlichkeit nicht wieder ausge¬
graben ist, daß es also vaterländische, das heißt hannoveranische Alterthümer
sind, von denen jeder deutsche Patriot, das heißt jeder Hannoveraner wün¬
schen müsse, daß sie in Hildesheim, der ehemaligen Hauptstadt der Cherusker,
verblieben?

Glauben Sie indessen ja nicht, daß diese Aufregung die einzige Naive¬
tät sei, welche bei dieser Gelegenheit hier zu Tage gekommen ist. Von dem
großen und langen Weg ungemüthlicher Irrungen, den man gegangen ist,
ehe man zum Glauben an das Glück eines Antikenfundes den nöthigen
Muth fand, will ich als von einem verzeihlichen Mißgeschick, welches meines
Erachtens die Gelehrten von Anfang an zu ernst genommen haben, nicht reden.
Auch hat man recht sentimentaler Weise, als ob Kunstgeschichte in unseren
Volksschulen gelehrt würde, die gemeinen Soldaten, welche die glücklichen
Finder waren, für die Unkenntniß und Unbehutsamkeit verantwortlich ge¬
macht, mit welcher man die Gegenstände am 17. October in der Abenddäm¬
merung neun Fuß tief aus dem Erdreich herausgeschafft hat. Die Hacke
richtete einigen Schaden an; einige Stücke wurden anfänglich bei Seite ge¬
worfen, andere gedankenlos eingesteckt: man hielt die Gefäße, ganz mit
Erde bedeckt wie sie waren, für Bleiwaare. Man las die Fragmente schlecht
zusammen — am andern Morgen hielten einige Jungen an Ort und Stelle
eine Mine Nachlese — lud was vorhanden auf einige Schtebkarren und
schleppte den Schatz so in die Stadt und durch die ganze Stadt hin¬
durch in gemüthlicher Procession, die wie billig an einigen Schenken nicht
theilnahmlos vorübergehen konnte, nach dem Hof der Caserne, wo er die
erste Nacht unter freiem Himmel campiren sollte. Eine geraume Zeit lang
hat er sich dann in einer ewfenstrigen engen Dachkammer auf dem Fußboden
in den Winkeln oder in Tragkörben ausgestellt befunden. Und ich will nicht
näher beschreiben, wie oft für die zahlreich zuströmenden Besucher die zarten
kostbaren Gegenstände vom Boden auf den Tisch gehoben worden sind, wie
viele Damen sich das Vergnügen, etwas Antikes in Händen zu halten und
aus den Händen entgleiten zu lassen, nicht versagen konnten. Schlimmer als
diese moderne Geschichte der antiken Gefäße, die eben nur beweist, daß wir
uns bei solchen Gelegenheiten nicht viel besser als die dassa, sevts in Italien
benehmen, ist, wie mir scheint, die Unbedachtsamkett, daß man vor lauter Auf¬
regung das Nächstliegende versäumt hat, eine sorgfältige Durchforschung des
ganzen Terrains vorzunehmen und namentlich durch Abhörung der Finder
alle Umstände des Fundes festzustellen. Denn es cursiren schon jetzt, da um
jedes ungewöhnlichere Ereigniß sich auf der Stelle eine kleine Mythologie
bildet, die verschiedenartigsten Aussagen, die sich zum Theil geradezu wider-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. II Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_287271/516>, abgerufen am 05.02.2025.