Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. II Band.

Bild:
<< vorherige Seite

Ungarn kann die Aufgabe, welche es bei dem Ausgleich von 1867 übernom¬
men, nur durchführen, wenn es im Westen das Heil sucht und sich durch
treue Unterstützung der deutsch-östreichischen Friedens- und Freiheitspolitik
Anspruch darauf erwirbt, in seiner inneren politischen und wirthschaftlichen
Arbeit unterstützt zu werden. Die Spekulation auf Erweiterung der ungari¬
schen Selbständigkeit durch eine Ministerveränderung, ist grundfalsch. 'Ein
gerechten ungarischen Ansprüchen geneigteres cisleithanisches Ministerium,
als das Cabinet Giskra - Auersperg, wird in Deutsch - Oestreich nicht zu
finden sein -- eine ungarische Regierung, die links von dem Andrassy'-
schen Programm Stellung nimmt, ist mit dem Fortbestande der östreichischen
Monarchie nicht wohl vereinbar. Wenn ungarischerseits dennoch auf den
Rücktritt des Reichskanzlers und der beiden Ministerien in Pesth und Wien
speculirt wird, so muß das als Verstoß gegen die politische Logik angesehen
werden.

Trotz der Wirren in Spanien und trotz der empfindlichen Schläge,
welche der östreichische Liberalismus, dieser Haupthalter des Friedens in
Mitteleuropa, erfahren hat, schließt der Monat September unter beruhigenden
Auspicien. So furchtbar haben sich die auf der wiener Regierung lasten¬
den Schwierigkeiten gehäuft, daß es fraglich erscheint, ob selbst die Feinde der
neuen Verfassung im Fall eines Sieges sobald in der Lage wären, einen Krieg
wollen zu können. -- Die Fortdauer der Bandenbildung an der rumänisch¬
bulgarischen Grenze würde unter anderen Umständen und angesichts der
türkischen Drohung mit dem Einschreiten großherrlicher Truppen für ein ge¬
fährliches Symptom gelten dürfen, nur haben gegenwärtig das in einer neuen
Krisis begriffene Oestreich und Rußland, das allen Nachdruck auf Durchfüh¬
rung seiner Maßregeln zur Russificirung der katholischen Kirche in Polen
und Litthauen zu legen begonnen, das gleiche Interesse daran, die Gelegen¬
heit zu Conflicten an der unteren Donau hinwegzuräumen. Das Journal
6e Le. ketersdourA hat sich noch neulich direct dahin ausgesprochen, daß
Rußland im Interesse seiner türkischen Glaubensgenossen eine Fortdauer der
bulgarischen Wirren gegenwärtig nicht wünsche.

Fürs Erste wirken die beiden ehemals durch eine Tyrannei verbundenen
Außenposten westeuropäischer Cultur -- Spanien und Ungarn -- jenes
trotz seiner Unruhe, dieses vermöge seiner einsichtigen Ruhepolitik als ein¬
ander äguirende Wagschalen.




Literatur.

"Gespräche mit Goethe in den letzten fahren seines Lebens." Bon I. P. Ecker¬
mann. 3 Bände. Dritte Ausgabe/ (Leipzig bei F. A. Blockhaus.)

Mit der Herausgabe einer neuen Auflage dieses Buches ist dem Bedürfniß
eines großen Leserkreises entsprochen worden, der dasselbe zwar noch aus der Tra¬
dition kennt, aber nicht die Gelegenheit zu gründlicherer Vertiefung mehr gehabt
hat. Als besonderer Vorzug ist anzusehen, daß nunmehr das gesammte Werk in
einer Ausgabe zu haben ist, da die Verlagsfirma auch das Eigenthum des dritten
Bandes erworben hat. Dieser dritte Band war elf Jahre nach den beiden ersten
Bänden und zwar inmitten der Wirren des Revolutionsjahres 1848 zu Magdeburg


Ungarn kann die Aufgabe, welche es bei dem Ausgleich von 1867 übernom¬
men, nur durchführen, wenn es im Westen das Heil sucht und sich durch
treue Unterstützung der deutsch-östreichischen Friedens- und Freiheitspolitik
Anspruch darauf erwirbt, in seiner inneren politischen und wirthschaftlichen
Arbeit unterstützt zu werden. Die Spekulation auf Erweiterung der ungari¬
schen Selbständigkeit durch eine Ministerveränderung, ist grundfalsch. 'Ein
gerechten ungarischen Ansprüchen geneigteres cisleithanisches Ministerium,
als das Cabinet Giskra - Auersperg, wird in Deutsch - Oestreich nicht zu
finden sein — eine ungarische Regierung, die links von dem Andrassy'-
schen Programm Stellung nimmt, ist mit dem Fortbestande der östreichischen
Monarchie nicht wohl vereinbar. Wenn ungarischerseits dennoch auf den
Rücktritt des Reichskanzlers und der beiden Ministerien in Pesth und Wien
speculirt wird, so muß das als Verstoß gegen die politische Logik angesehen
werden.

Trotz der Wirren in Spanien und trotz der empfindlichen Schläge,
welche der östreichische Liberalismus, dieser Haupthalter des Friedens in
Mitteleuropa, erfahren hat, schließt der Monat September unter beruhigenden
Auspicien. So furchtbar haben sich die auf der wiener Regierung lasten¬
den Schwierigkeiten gehäuft, daß es fraglich erscheint, ob selbst die Feinde der
neuen Verfassung im Fall eines Sieges sobald in der Lage wären, einen Krieg
wollen zu können. — Die Fortdauer der Bandenbildung an der rumänisch¬
bulgarischen Grenze würde unter anderen Umständen und angesichts der
türkischen Drohung mit dem Einschreiten großherrlicher Truppen für ein ge¬
fährliches Symptom gelten dürfen, nur haben gegenwärtig das in einer neuen
Krisis begriffene Oestreich und Rußland, das allen Nachdruck auf Durchfüh¬
rung seiner Maßregeln zur Russificirung der katholischen Kirche in Polen
und Litthauen zu legen begonnen, das gleiche Interesse daran, die Gelegen¬
heit zu Conflicten an der unteren Donau hinwegzuräumen. Das Journal
6e Le. ketersdourA hat sich noch neulich direct dahin ausgesprochen, daß
Rußland im Interesse seiner türkischen Glaubensgenossen eine Fortdauer der
bulgarischen Wirren gegenwärtig nicht wünsche.

Fürs Erste wirken die beiden ehemals durch eine Tyrannei verbundenen
Außenposten westeuropäischer Cultur — Spanien und Ungarn — jenes
trotz seiner Unruhe, dieses vermöge seiner einsichtigen Ruhepolitik als ein¬
ander äguirende Wagschalen.




Literatur.

„Gespräche mit Goethe in den letzten fahren seines Lebens." Bon I. P. Ecker¬
mann. 3 Bände. Dritte Ausgabe/ (Leipzig bei F. A. Blockhaus.)

Mit der Herausgabe einer neuen Auflage dieses Buches ist dem Bedürfniß
eines großen Leserkreises entsprochen worden, der dasselbe zwar noch aus der Tra¬
dition kennt, aber nicht die Gelegenheit zu gründlicherer Vertiefung mehr gehabt
hat. Als besonderer Vorzug ist anzusehen, daß nunmehr das gesammte Werk in
einer Ausgabe zu haben ist, da die Verlagsfirma auch das Eigenthum des dritten
Bandes erworben hat. Dieser dritte Band war elf Jahre nach den beiden ersten
Bänden und zwar inmitten der Wirren des Revolutionsjahres 1848 zu Magdeburg


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0049" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/287321"/>
          <p xml:id="ID_95" prev="#ID_94"> Ungarn kann die Aufgabe, welche es bei dem Ausgleich von 1867 übernom¬<lb/>
men, nur durchführen, wenn es im Westen das Heil sucht und sich durch<lb/>
treue Unterstützung der deutsch-östreichischen Friedens- und Freiheitspolitik<lb/>
Anspruch darauf erwirbt, in seiner inneren politischen und wirthschaftlichen<lb/>
Arbeit unterstützt zu werden. Die Spekulation auf Erweiterung der ungari¬<lb/>
schen Selbständigkeit durch eine Ministerveränderung, ist grundfalsch. 'Ein<lb/>
gerechten ungarischen Ansprüchen geneigteres cisleithanisches Ministerium,<lb/>
als das Cabinet Giskra - Auersperg, wird in Deutsch - Oestreich nicht zu<lb/>
finden sein &#x2014; eine ungarische Regierung, die links von dem Andrassy'-<lb/>
schen Programm Stellung nimmt, ist mit dem Fortbestande der östreichischen<lb/>
Monarchie nicht wohl vereinbar. Wenn ungarischerseits dennoch auf den<lb/>
Rücktritt des Reichskanzlers und der beiden Ministerien in Pesth und Wien<lb/>
speculirt wird, so muß das als Verstoß gegen die politische Logik angesehen<lb/>
werden.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_96"> Trotz der Wirren in Spanien und trotz der empfindlichen Schläge,<lb/>
welche der östreichische Liberalismus, dieser Haupthalter des Friedens in<lb/>
Mitteleuropa, erfahren hat, schließt der Monat September unter beruhigenden<lb/>
Auspicien. So furchtbar haben sich die auf der wiener Regierung lasten¬<lb/>
den Schwierigkeiten gehäuft, daß es fraglich erscheint, ob selbst die Feinde der<lb/>
neuen Verfassung im Fall eines Sieges sobald in der Lage wären, einen Krieg<lb/>
wollen zu können. &#x2014; Die Fortdauer der Bandenbildung an der rumänisch¬<lb/>
bulgarischen Grenze würde unter anderen Umständen und angesichts der<lb/>
türkischen Drohung mit dem Einschreiten großherrlicher Truppen für ein ge¬<lb/>
fährliches Symptom gelten dürfen, nur haben gegenwärtig das in einer neuen<lb/>
Krisis begriffene Oestreich und Rußland, das allen Nachdruck auf Durchfüh¬<lb/>
rung seiner Maßregeln zur Russificirung der katholischen Kirche in Polen<lb/>
und Litthauen zu legen begonnen, das gleiche Interesse daran, die Gelegen¬<lb/>
heit zu Conflicten an der unteren Donau hinwegzuräumen. Das Journal<lb/>
6e Le. ketersdourA hat sich noch neulich direct dahin ausgesprochen, daß<lb/>
Rußland im Interesse seiner türkischen Glaubensgenossen eine Fortdauer der<lb/>
bulgarischen Wirren gegenwärtig nicht wünsche.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_97"> Fürs Erste wirken die beiden ehemals durch eine Tyrannei verbundenen<lb/>
Außenposten westeuropäischer Cultur &#x2014; Spanien und Ungarn &#x2014; jenes<lb/>
trotz seiner Unruhe, dieses vermöge seiner einsichtigen Ruhepolitik als ein¬<lb/>
ander äguirende Wagschalen.</p><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
        </div>
        <div n="1">
          <head> Literatur.</head><lb/>
          <p xml:id="ID_98"> &#x201E;Gespräche mit Goethe in den letzten fahren seines Lebens."  Bon I. P. Ecker¬<lb/>
mann. 3 Bände. Dritte Ausgabe/ (Leipzig bei F. A. Blockhaus.)</p><lb/>
          <p xml:id="ID_99" next="#ID_100"> Mit der Herausgabe einer neuen Auflage dieses Buches ist dem Bedürfniß<lb/>
eines großen Leserkreises entsprochen worden, der dasselbe zwar noch aus der Tra¬<lb/>
dition kennt, aber nicht die Gelegenheit zu gründlicherer Vertiefung mehr gehabt<lb/>
hat. Als besonderer Vorzug ist anzusehen, daß nunmehr das gesammte Werk in<lb/>
einer Ausgabe zu haben ist, da die Verlagsfirma auch das Eigenthum des dritten<lb/>
Bandes erworben hat. Dieser dritte Band war elf Jahre nach den beiden ersten<lb/>
Bänden und zwar inmitten der Wirren des Revolutionsjahres 1848 zu Magdeburg</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0049] Ungarn kann die Aufgabe, welche es bei dem Ausgleich von 1867 übernom¬ men, nur durchführen, wenn es im Westen das Heil sucht und sich durch treue Unterstützung der deutsch-östreichischen Friedens- und Freiheitspolitik Anspruch darauf erwirbt, in seiner inneren politischen und wirthschaftlichen Arbeit unterstützt zu werden. Die Spekulation auf Erweiterung der ungari¬ schen Selbständigkeit durch eine Ministerveränderung, ist grundfalsch. 'Ein gerechten ungarischen Ansprüchen geneigteres cisleithanisches Ministerium, als das Cabinet Giskra - Auersperg, wird in Deutsch - Oestreich nicht zu finden sein — eine ungarische Regierung, die links von dem Andrassy'- schen Programm Stellung nimmt, ist mit dem Fortbestande der östreichischen Monarchie nicht wohl vereinbar. Wenn ungarischerseits dennoch auf den Rücktritt des Reichskanzlers und der beiden Ministerien in Pesth und Wien speculirt wird, so muß das als Verstoß gegen die politische Logik angesehen werden. Trotz der Wirren in Spanien und trotz der empfindlichen Schläge, welche der östreichische Liberalismus, dieser Haupthalter des Friedens in Mitteleuropa, erfahren hat, schließt der Monat September unter beruhigenden Auspicien. So furchtbar haben sich die auf der wiener Regierung lasten¬ den Schwierigkeiten gehäuft, daß es fraglich erscheint, ob selbst die Feinde der neuen Verfassung im Fall eines Sieges sobald in der Lage wären, einen Krieg wollen zu können. — Die Fortdauer der Bandenbildung an der rumänisch¬ bulgarischen Grenze würde unter anderen Umständen und angesichts der türkischen Drohung mit dem Einschreiten großherrlicher Truppen für ein ge¬ fährliches Symptom gelten dürfen, nur haben gegenwärtig das in einer neuen Krisis begriffene Oestreich und Rußland, das allen Nachdruck auf Durchfüh¬ rung seiner Maßregeln zur Russificirung der katholischen Kirche in Polen und Litthauen zu legen begonnen, das gleiche Interesse daran, die Gelegen¬ heit zu Conflicten an der unteren Donau hinwegzuräumen. Das Journal 6e Le. ketersdourA hat sich noch neulich direct dahin ausgesprochen, daß Rußland im Interesse seiner türkischen Glaubensgenossen eine Fortdauer der bulgarischen Wirren gegenwärtig nicht wünsche. Fürs Erste wirken die beiden ehemals durch eine Tyrannei verbundenen Außenposten westeuropäischer Cultur — Spanien und Ungarn — jenes trotz seiner Unruhe, dieses vermöge seiner einsichtigen Ruhepolitik als ein¬ ander äguirende Wagschalen. Literatur. „Gespräche mit Goethe in den letzten fahren seines Lebens." Bon I. P. Ecker¬ mann. 3 Bände. Dritte Ausgabe/ (Leipzig bei F. A. Blockhaus.) Mit der Herausgabe einer neuen Auflage dieses Buches ist dem Bedürfniß eines großen Leserkreises entsprochen worden, der dasselbe zwar noch aus der Tra¬ dition kennt, aber nicht die Gelegenheit zu gründlicherer Vertiefung mehr gehabt hat. Als besonderer Vorzug ist anzusehen, daß nunmehr das gesammte Werk in einer Ausgabe zu haben ist, da die Verlagsfirma auch das Eigenthum des dritten Bandes erworben hat. Dieser dritte Band war elf Jahre nach den beiden ersten Bänden und zwar inmitten der Wirren des Revolutionsjahres 1848 zu Magdeburg

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_287271
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_287271/49
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. II Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_287271/49>, abgerufen am 05.02.2025.