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Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. II Band.

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er wollte. Und die Pfänder die sammelten sich von einigen unserer Bürger
von Jahr zu Jahr, daran gab es großen Schaden."

Genug, es wird überall ersichtlich, daß das Gemeinwesen weit entfernt
war. eine wichtige oder gar die wichtigste Stelle unter den Interessen seiner
Mitglieder einzunehmen. ..Alles politische Dichten und Trachten verfiel" so
charakterisirt Hänselmann jene Periode, "den niederen Mächten der Erde:
vorab einem fessellosen Eigennutze, blind für Alles, was außerhalb des engsten
Kreises der Zunft oder Sippe lag, ängstlich bemüht, jede erworbene und er-
sessene Gerechtsame in unwandelbare Formen festzubannen. Das war die
Wurzel jenes herrischen Anspruchs auf verantwortungsloses Schalten mit dem
öffentlichen Gute, von daher wucherten die zahllosen Mißbräuche der Ver¬
waltung auf, welche das Finanzwesen überall zur schwächsten Seite der städti¬
schen Geschlechterherrschaft machten."

Die Revolution von 1374 machte in Braunschweig diesen Mißbräuchen
ein Ende und strafte in blutigster Weise an den bis dahin herrschenden Ge¬
schlechtern die allgemeine Schuld der Zeit. Die Motive, in denen sie sich
ohne ein Programm aufgestellt zu haben und ohne Vorbereitung vollzogen
hatte, treten zu Tage in der ersten positiven Wirkung, zu welcher sie es
brachte: der Einsetzung eines neuen Rathes aus allen Ständen und der Be¬
rufung der Gildemeister und Gemeindevertreter zur Mitwirkung bei den Aus¬
gaben der Verwaltung. Alsdann wurde, während sich die Revolution in
langwierigen Unterhandlungen nach Außen Anerkennung zu verschaffen suchte,
der Etat der Stadt in allen Theilen einer sorgfältigen Revision unterzogen,
alles Zweifelhafte auf's Reine gebracht und ein Budget geschaffen.

Vor Allem wurde das Verhältniß zwischen den Specialetats der fünf
Weichbilde und dem Hauptetat der Stadt geregelt, nachdem bis dahin gar
nicht festzustellen gewesen war, ob von Seiten der einzelnen Weichbilde auch
nach dem Maße ihrer Leistungsfähigkeit wie ihrer Ansprüche zum gemeinen
Beutel beigesteuert wurde. Als Organ für diese Vermittelung sowohl wie
für die Verwaltung der städtischen Kasse überhaupt wurde ein Ausschuß von
zehn (später sieben) Männern eingesetzt. Ihm hatte damals wie späterhin
jährlich jeder der Weichbildsräthe seine Einnahmen wie Ausgaben darzulegen
und nachzuweisen, und unter seiner Mitwirkung wurde festgestellt, was jedes
Weichbild zu zahlen, an gemeinen Lasten zu tragen und was es etwa an
Beisteuer für seine besonderen Unternehmungen zu fordern habe. Mit dieser
Centralisirung der Finanzen war der Willkür, welche die fünf Weichbilds-
cassen so lange zum Schaden der Gemeinheit gezehntet hatte, war dem all¬
gemeinen Mißtrauen, welches daher entsprang und das nur zu leicht zur
Rechtfertigung des eigenen Nichtwollens wurde, ein Riegel vorgeschoben.
Die zweite der wichtigen Aufgaben, welche dem Zehnerausschusse zuertheilt


er wollte. Und die Pfänder die sammelten sich von einigen unserer Bürger
von Jahr zu Jahr, daran gab es großen Schaden."

Genug, es wird überall ersichtlich, daß das Gemeinwesen weit entfernt
war. eine wichtige oder gar die wichtigste Stelle unter den Interessen seiner
Mitglieder einzunehmen. ..Alles politische Dichten und Trachten verfiel" so
charakterisirt Hänselmann jene Periode, „den niederen Mächten der Erde:
vorab einem fessellosen Eigennutze, blind für Alles, was außerhalb des engsten
Kreises der Zunft oder Sippe lag, ängstlich bemüht, jede erworbene und er-
sessene Gerechtsame in unwandelbare Formen festzubannen. Das war die
Wurzel jenes herrischen Anspruchs auf verantwortungsloses Schalten mit dem
öffentlichen Gute, von daher wucherten die zahllosen Mißbräuche der Ver¬
waltung auf, welche das Finanzwesen überall zur schwächsten Seite der städti¬
schen Geschlechterherrschaft machten."

Die Revolution von 1374 machte in Braunschweig diesen Mißbräuchen
ein Ende und strafte in blutigster Weise an den bis dahin herrschenden Ge¬
schlechtern die allgemeine Schuld der Zeit. Die Motive, in denen sie sich
ohne ein Programm aufgestellt zu haben und ohne Vorbereitung vollzogen
hatte, treten zu Tage in der ersten positiven Wirkung, zu welcher sie es
brachte: der Einsetzung eines neuen Rathes aus allen Ständen und der Be¬
rufung der Gildemeister und Gemeindevertreter zur Mitwirkung bei den Aus¬
gaben der Verwaltung. Alsdann wurde, während sich die Revolution in
langwierigen Unterhandlungen nach Außen Anerkennung zu verschaffen suchte,
der Etat der Stadt in allen Theilen einer sorgfältigen Revision unterzogen,
alles Zweifelhafte auf's Reine gebracht und ein Budget geschaffen.

Vor Allem wurde das Verhältniß zwischen den Specialetats der fünf
Weichbilde und dem Hauptetat der Stadt geregelt, nachdem bis dahin gar
nicht festzustellen gewesen war, ob von Seiten der einzelnen Weichbilde auch
nach dem Maße ihrer Leistungsfähigkeit wie ihrer Ansprüche zum gemeinen
Beutel beigesteuert wurde. Als Organ für diese Vermittelung sowohl wie
für die Verwaltung der städtischen Kasse überhaupt wurde ein Ausschuß von
zehn (später sieben) Männern eingesetzt. Ihm hatte damals wie späterhin
jährlich jeder der Weichbildsräthe seine Einnahmen wie Ausgaben darzulegen
und nachzuweisen, und unter seiner Mitwirkung wurde festgestellt, was jedes
Weichbild zu zahlen, an gemeinen Lasten zu tragen und was es etwa an
Beisteuer für seine besonderen Unternehmungen zu fordern habe. Mit dieser
Centralisirung der Finanzen war der Willkür, welche die fünf Weichbilds-
cassen so lange zum Schaden der Gemeinheit gezehntet hatte, war dem all¬
gemeinen Mißtrauen, welches daher entsprang und das nur zu leicht zur
Rechtfertigung des eigenen Nichtwollens wurde, ein Riegel vorgeschoben.
Die zweite der wichtigen Aufgaben, welche dem Zehnerausschusse zuertheilt


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. II Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_287271/486>, abgerufen am 06.02.2025.