Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. II Band.daß er in Jalutorowsk meinen Kameraden Jakuschkin nicht hatte spre¬ Während Shukowsky noch bei mir war, wurde zur Kirche geläutet; der 5S*
daß er in Jalutorowsk meinen Kameraden Jakuschkin nicht hatte spre¬ Während Shukowsky noch bei mir war, wurde zur Kirche geläutet; der 5S*
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daß er in Jalutorowsk meinen Kameraden Jakuschkin nicht hatte spre¬
chen können. Auch über den künftigen Erben der russischen Krone konnte
wir einige Worte wechseln; Alles was Schukowsky vom Gemüthe des Thron-
folgers sagte, schien mir ein Pfand für das künftige Wohl Rußlands zu bie¬
ten. — Der Thronfolger war über die Strecke Sibiriens, die er gesehen hatte,
höchst verwundert gewesen; anstatt verfallener Hütten, großer Armuth und
Niedergeschlagenheit hatte er Zufriedenheit, einen gewissen Wohlstand und
hübsche Dörfer gefunden. Dieses Volk von Verbannten hatte den Großfür¬
sten, wie dieser selbst gesagt, in Tjumen und Tobolsk empfangen, wie man
ihn in Nybinsk und Jaroslaw nicht besser hätte empfangen können.
Während Shukowsky noch bei mir war, wurde zur Kirche geläutet; der
Cesarewitsch hatte dem Gensdarmen-Stabsofficier anzuordnen befohlen, daß
diese Herren (unter dieser Benennung meinte er uns Staatsverbrecher)
in die Kirche kämen; „nur dort kann ich sie sehen." — Die aus Petersburg
gegebene Instruction hatte einen solchen Fall nicht vorgesehen. Der Poli¬
zeimeister schickte sogleich Boten in unsere Wohnungen, damit wir uns so¬
gleich in der Kirche versammeln sollten. Der Thronfolger mit seinem gan¬
zen Gefolge stand vor dem Hauptaltar, rechts an der Seitenmauer standen
meine Kameraden, links.Frau von Naryschkin; die Beamten und das Volk
standen im Hintergrunde, längs der Seitenaltäre, der größte Theil des Volks
drängte sich außerhalb der Kirche um die Equipagen. — Während der Liturgie
sah der Thronfolger mehrmals meine Unglücksgefährten an und hatte Thrä¬
nen in den Augen. Ich konnte nicht zur rechten Zeit zur Kirche gelangen
und als ich mit meinen Kindern aus dem Hause trat, kündigte ein lufter¬
schütterndes Hurrah bereits die Abreise des Cesarewitsch an, des einzigen
hohen Gastes, dessen Erscheinen an einem Verbannungsort Freude und Hoff¬
nung einflößte. Das Volk jauchzte, seinen künftigen Herrscher gesehen zu
haben, einzelne furchtsame alte Weiber aber bekreuzigten sich und sagten
laut: „Gottsei gedankt, daß wir am Leben geblieben sind!" — Dem ihn be¬
gleitenden Obrist Nasimow, der ihn um Erlaubniß gebeten, einen meiner Ka¬
meraden zu besuchen, hatte der Großfürst gesagt: „Ich freue mich, daß Du
Gelegenheit hast, einen Verwandten zu besuchen, der im Unglück ist." — Auf
seiner Rückreise berührte der Thronfolger Saratow, daselbst stellte ihm der
General Arnoldi alle anwesenden Artillerie-Officiere vor, und als der Name
meines jüngeren Bruders genannt wurde, fragte der Cesarewitsch ihn, ob er
nicht einen Verwandten in Sibirien habe? Als mein Bruder geantwortet
hatte, daß er dort einen leiblichen Bruder habe, äußerte der Thronfolger in
Gegenwart aller Umstehenden: „Ich freue mich, Ihnen mitzutheilen, daß ich
Ihren Bruder gesehen habe; obgleich er auf Krücken geht, kann seine Ge-
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