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Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. II Band.

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entwickeln, und wir können nur wiederholen, daß es von Gladstone's Taktik
allein abhängen wird, wie lange er sich hält.

aä 5) daß eine starke neu organisirte konservative Partei für England
Bedürfniß sei.

Daß die Elemente für eine solche nicht fehlen zeigen die Wahlen. Eine
Partei welche nicht wie die der Liberalen aus verschiedenen Fraktionen besteht,
sondern über eine compacte Masse von 258 Stimmen gebietet, ist auch als
Minorität sehr mächtig im Parlament und vielleicht noch mehr im Lande,
wenn man in Anschlag bringt, daß auch da wo sie geschlagen ward oft der
Kampf ein sehr heißer war und bis zum letzten Augenblicke unentschieden
blieb. In Westminster, das immer radical gewählt, ward Mill geschlagen,
in Liverpool nur Tories gewählt, in Manchester und der City je einer durch¬
gesetzt; nimmt man den Durchschnitt der Stimmenzahl, den die Gewählten
dieser drei größten Städte gehabt, so kommen auf jeden konservativen Can-
didaten 13,605, auf jedem Liberalen 10,335 Stimmen. Das bedeutendste Re¬
sultat aber ist, daß die Tories in der Fabrikgrafschaft xs.r exeklleuee, in Lan-
cashire, alle vier Landdistrikte und von 24 Städten, welche als die Burgen
des Radikalismus galten, 14 gewonnen haben; Gladstone ist am Vorabend
seiner Premierschaft in seinem alten Distrikt, den er inne hatte, seit Oxford
ihn verworfen, durchgefallen und kommt nur durch den für ihn in Reserve ge¬
haltenen Sitz von Greenwich ins Parlament; seine rednerischen Gastrollen
haben ihm also wenig genützt. Der Grund dieses Umschlages ist wahrschein¬
lich in dem Haß der englischen Arbeiter gegen die Jrländer zu suchen, welche
sie nicht begünstigt sehen wollen, aber das Resultat bleibt darum nicht min¬
der merkwürdig. Jedenfalls ist die konservative Partei trotzdem, daß sie sich
durch Disraeli zu einer selbstmörderischen Politik hat verleiten lassen, deren
Folgen sie jetzt trägt, noch stark genug Gladstone das Leben sauer zu machen
und ihn zu controliren. Auf den Wechsel in ihrer Führerschaft, den wir als
nothwendig für ihr Ansehen erklärten, wagen wir freilich jetzt noch nicht zu
hoffen, weil im Unterhause kein Mann ist Disraeli zu ersetzen, nachdem Lord
Cranborne ins Oberhaus hat übersiedeln müssen. Diese Frage wird auch erst
brennend werden, wenn es sich um ein neues konservatives Cabinet handelt.
Ein entschiedener Tory, Sir Rainald Knightley, der bisher Disraeli gefolgt
ist, hat übrigens offen in seiner Wahlrede gesagt, er hoffe, daß Disraeli bald
in die heitere Temperatur des Oberhauses versetzt werde, da er allein das Hin¬
derniß einer Verbindung zwischen den Conservativen und dem konservativeren
Theile der Liberalen sei. Wir Deutsche haben inzwischen vorläufig von dem
Ausgang des Kampfes wenig zu hoffen oder zu fürchten, können aber sicherlich
aus dieser neuen Entwickelung des parlamentarischen Lebens Viel lernen.




Grenzboten IV. 1868.53

entwickeln, und wir können nur wiederholen, daß es von Gladstone's Taktik
allein abhängen wird, wie lange er sich hält.

aä 5) daß eine starke neu organisirte konservative Partei für England
Bedürfniß sei.

Daß die Elemente für eine solche nicht fehlen zeigen die Wahlen. Eine
Partei welche nicht wie die der Liberalen aus verschiedenen Fraktionen besteht,
sondern über eine compacte Masse von 258 Stimmen gebietet, ist auch als
Minorität sehr mächtig im Parlament und vielleicht noch mehr im Lande,
wenn man in Anschlag bringt, daß auch da wo sie geschlagen ward oft der
Kampf ein sehr heißer war und bis zum letzten Augenblicke unentschieden
blieb. In Westminster, das immer radical gewählt, ward Mill geschlagen,
in Liverpool nur Tories gewählt, in Manchester und der City je einer durch¬
gesetzt; nimmt man den Durchschnitt der Stimmenzahl, den die Gewählten
dieser drei größten Städte gehabt, so kommen auf jeden konservativen Can-
didaten 13,605, auf jedem Liberalen 10,335 Stimmen. Das bedeutendste Re¬
sultat aber ist, daß die Tories in der Fabrikgrafschaft xs.r exeklleuee, in Lan-
cashire, alle vier Landdistrikte und von 24 Städten, welche als die Burgen
des Radikalismus galten, 14 gewonnen haben; Gladstone ist am Vorabend
seiner Premierschaft in seinem alten Distrikt, den er inne hatte, seit Oxford
ihn verworfen, durchgefallen und kommt nur durch den für ihn in Reserve ge¬
haltenen Sitz von Greenwich ins Parlament; seine rednerischen Gastrollen
haben ihm also wenig genützt. Der Grund dieses Umschlages ist wahrschein¬
lich in dem Haß der englischen Arbeiter gegen die Jrländer zu suchen, welche
sie nicht begünstigt sehen wollen, aber das Resultat bleibt darum nicht min¬
der merkwürdig. Jedenfalls ist die konservative Partei trotzdem, daß sie sich
durch Disraeli zu einer selbstmörderischen Politik hat verleiten lassen, deren
Folgen sie jetzt trägt, noch stark genug Gladstone das Leben sauer zu machen
und ihn zu controliren. Auf den Wechsel in ihrer Führerschaft, den wir als
nothwendig für ihr Ansehen erklärten, wagen wir freilich jetzt noch nicht zu
hoffen, weil im Unterhause kein Mann ist Disraeli zu ersetzen, nachdem Lord
Cranborne ins Oberhaus hat übersiedeln müssen. Diese Frage wird auch erst
brennend werden, wenn es sich um ein neues konservatives Cabinet handelt.
Ein entschiedener Tory, Sir Rainald Knightley, der bisher Disraeli gefolgt
ist, hat übrigens offen in seiner Wahlrede gesagt, er hoffe, daß Disraeli bald
in die heitere Temperatur des Oberhauses versetzt werde, da er allein das Hin¬
derniß einer Verbindung zwischen den Conservativen und dem konservativeren
Theile der Liberalen sei. Wir Deutsche haben inzwischen vorläufig von dem
Ausgang des Kampfes wenig zu hoffen oder zu fürchten, können aber sicherlich
aus dieser neuen Entwickelung des parlamentarischen Lebens Viel lernen.




Grenzboten IV. 1868.53
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[0447] entwickeln, und wir können nur wiederholen, daß es von Gladstone's Taktik allein abhängen wird, wie lange er sich hält. aä 5) daß eine starke neu organisirte konservative Partei für England Bedürfniß sei. Daß die Elemente für eine solche nicht fehlen zeigen die Wahlen. Eine Partei welche nicht wie die der Liberalen aus verschiedenen Fraktionen besteht, sondern über eine compacte Masse von 258 Stimmen gebietet, ist auch als Minorität sehr mächtig im Parlament und vielleicht noch mehr im Lande, wenn man in Anschlag bringt, daß auch da wo sie geschlagen ward oft der Kampf ein sehr heißer war und bis zum letzten Augenblicke unentschieden blieb. In Westminster, das immer radical gewählt, ward Mill geschlagen, in Liverpool nur Tories gewählt, in Manchester und der City je einer durch¬ gesetzt; nimmt man den Durchschnitt der Stimmenzahl, den die Gewählten dieser drei größten Städte gehabt, so kommen auf jeden konservativen Can- didaten 13,605, auf jedem Liberalen 10,335 Stimmen. Das bedeutendste Re¬ sultat aber ist, daß die Tories in der Fabrikgrafschaft xs.r exeklleuee, in Lan- cashire, alle vier Landdistrikte und von 24 Städten, welche als die Burgen des Radikalismus galten, 14 gewonnen haben; Gladstone ist am Vorabend seiner Premierschaft in seinem alten Distrikt, den er inne hatte, seit Oxford ihn verworfen, durchgefallen und kommt nur durch den für ihn in Reserve ge¬ haltenen Sitz von Greenwich ins Parlament; seine rednerischen Gastrollen haben ihm also wenig genützt. Der Grund dieses Umschlages ist wahrschein¬ lich in dem Haß der englischen Arbeiter gegen die Jrländer zu suchen, welche sie nicht begünstigt sehen wollen, aber das Resultat bleibt darum nicht min¬ der merkwürdig. Jedenfalls ist die konservative Partei trotzdem, daß sie sich durch Disraeli zu einer selbstmörderischen Politik hat verleiten lassen, deren Folgen sie jetzt trägt, noch stark genug Gladstone das Leben sauer zu machen und ihn zu controliren. Auf den Wechsel in ihrer Führerschaft, den wir als nothwendig für ihr Ansehen erklärten, wagen wir freilich jetzt noch nicht zu hoffen, weil im Unterhause kein Mann ist Disraeli zu ersetzen, nachdem Lord Cranborne ins Oberhaus hat übersiedeln müssen. Diese Frage wird auch erst brennend werden, wenn es sich um ein neues konservatives Cabinet handelt. Ein entschiedener Tory, Sir Rainald Knightley, der bisher Disraeli gefolgt ist, hat übrigens offen in seiner Wahlrede gesagt, er hoffe, daß Disraeli bald in die heitere Temperatur des Oberhauses versetzt werde, da er allein das Hin¬ derniß einer Verbindung zwischen den Conservativen und dem konservativeren Theile der Liberalen sei. Wir Deutsche haben inzwischen vorläufig von dem Ausgang des Kampfes wenig zu hoffen oder zu fürchten, können aber sicherlich aus dieser neuen Entwickelung des parlamentarischen Lebens Viel lernen. Grenzboten IV. 1868.53

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. II Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_287271/447>, abgerufen am 05.02.2025.