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Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. II Band.

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erinnert. Aber von ernster Bedeutung sind diese Regungen schon deshalb nicht,
weil Palermo damit auf der Insel selbst völlig isolirt steht.

Die holde Unwissenheit deutscher Doktrinäre beruft sich zuweilen auch
auf Italien, um an ihm die unseligen Folgen des centralisirten Einheits¬
staats zu erweisen. Man beliebt dann das italienische Volk als seufzend un¬
ter dem piemontesischen Corporalstock. als eingeschnürt in die straffen Formen
des piemontesischen Regiments darzustellen; anstatt daß Piemont aufgegan¬
gen sei in Italien, sei vielmehr dieses in Piemont untergegangen. Das ge¬
naue Gegentheil ist die Wahrheit. Die üble Lage Italiens rührt zum gro¬
ßen Theil daher, daß es allzufrüh vom Hegemoniestaat sich emancipirt und
diesen damit in die Opposition gestoßen hat. Jeder Vorrang irgend einer
Provinz hat längst aufgehört und alle Provinzen sind zufrieden mit dieser
Form des Staats, alle mit Ausnahme von Piemont. Seit der Verlegung
der Hauptstadt macht diese Provinz der Regierung, und zwar einer jeden,
einen unversöhnlichen Krieg, der bis heute noch Nichts von feiner Bitterkeit
verloren hat. Keine Appellation an den Patriotismus will fruchten, jeder
Versuch einer Verständigung ist bisher gescheitert. Nur der ewigen Stadt
will Turin seinen Rang abtreten. Die loyale Residenz der savoyischen Könige
ist unter die Garibaldianer gegangen. Straßendemonstrationen, revolutionäre
Rufe, sonst hier unerhört, haben sich seitdem eingebürgert. Graf Ponza ti
San Martino, der sonst genannt wurde, wenn ein Cabinet von streng con-
servativer Färbung gebildet werden sollte, ist das Haupt der permanenten
Association, die mit der Linken sich zum Sturz der Regierung verschwört
und mit ihr in den Ruf Koma Oaxitale! einstimmt. Durch dem Abfall die.
ser Piemontesen von der großen conservativen Partei ist vollends Confusion
in das Parteiwesen gekommen. Es ist durch locale. ebenso wie durch per¬
sönliche Motive vergiftet und die Regierung empfindet es schwer, daß die geg¬
nerischen Parteien durch die Opposition derjenigen Provinz verstärkt sind, die
doch immer noch die stärkste und gewichtigste ist und deren Schmollen der
Staat in der That nicht auf die Länge ertragen kann. Es ist klar, wie
auf diese Weise schon vom Gesichtspunkt der inneren Politik eine Lösung
des römischen Problems zu einer Lebensfrage des Staats geworden ist.

Es ist ein Zufall, daß die wieder zusammengetretene Kammer gleich inrer
zweiten Sitzung sich mit Rom beschäftigt hat. Daran trug der heilige Vater
selbst die Schuld, dessen Regierung den Tag der Parlamentseröffnung zu
Florenz in ihrer Art durch die Hinrichtung zweier politischer Verbrecher feiern
zu müssen glaubte. Aber auch ohne diesen Zwischenfall war die römische Frage
von der Opposition längst als einer der Hauptangriffspunkte gegen das Mi¬
nisterium Menabrea ausersehen. Die Hinrichtung auf der Piazza de' Cerchi
War eher ein günstiger Umstand für das Ministerium, sofern sie demselben
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erinnert. Aber von ernster Bedeutung sind diese Regungen schon deshalb nicht,
weil Palermo damit auf der Insel selbst völlig isolirt steht.

Die holde Unwissenheit deutscher Doktrinäre beruft sich zuweilen auch
auf Italien, um an ihm die unseligen Folgen des centralisirten Einheits¬
staats zu erweisen. Man beliebt dann das italienische Volk als seufzend un¬
ter dem piemontesischen Corporalstock. als eingeschnürt in die straffen Formen
des piemontesischen Regiments darzustellen; anstatt daß Piemont aufgegan¬
gen sei in Italien, sei vielmehr dieses in Piemont untergegangen. Das ge¬
naue Gegentheil ist die Wahrheit. Die üble Lage Italiens rührt zum gro¬
ßen Theil daher, daß es allzufrüh vom Hegemoniestaat sich emancipirt und
diesen damit in die Opposition gestoßen hat. Jeder Vorrang irgend einer
Provinz hat längst aufgehört und alle Provinzen sind zufrieden mit dieser
Form des Staats, alle mit Ausnahme von Piemont. Seit der Verlegung
der Hauptstadt macht diese Provinz der Regierung, und zwar einer jeden,
einen unversöhnlichen Krieg, der bis heute noch Nichts von feiner Bitterkeit
verloren hat. Keine Appellation an den Patriotismus will fruchten, jeder
Versuch einer Verständigung ist bisher gescheitert. Nur der ewigen Stadt
will Turin seinen Rang abtreten. Die loyale Residenz der savoyischen Könige
ist unter die Garibaldianer gegangen. Straßendemonstrationen, revolutionäre
Rufe, sonst hier unerhört, haben sich seitdem eingebürgert. Graf Ponza ti
San Martino, der sonst genannt wurde, wenn ein Cabinet von streng con-
servativer Färbung gebildet werden sollte, ist das Haupt der permanenten
Association, die mit der Linken sich zum Sturz der Regierung verschwört
und mit ihr in den Ruf Koma Oaxitale! einstimmt. Durch dem Abfall die.
ser Piemontesen von der großen conservativen Partei ist vollends Confusion
in das Parteiwesen gekommen. Es ist durch locale. ebenso wie durch per¬
sönliche Motive vergiftet und die Regierung empfindet es schwer, daß die geg¬
nerischen Parteien durch die Opposition derjenigen Provinz verstärkt sind, die
doch immer noch die stärkste und gewichtigste ist und deren Schmollen der
Staat in der That nicht auf die Länge ertragen kann. Es ist klar, wie
auf diese Weise schon vom Gesichtspunkt der inneren Politik eine Lösung
des römischen Problems zu einer Lebensfrage des Staats geworden ist.

Es ist ein Zufall, daß die wieder zusammengetretene Kammer gleich inrer
zweiten Sitzung sich mit Rom beschäftigt hat. Daran trug der heilige Vater
selbst die Schuld, dessen Regierung den Tag der Parlamentseröffnung zu
Florenz in ihrer Art durch die Hinrichtung zweier politischer Verbrecher feiern
zu müssen glaubte. Aber auch ohne diesen Zwischenfall war die römische Frage
von der Opposition längst als einer der Hauptangriffspunkte gegen das Mi¬
nisterium Menabrea ausersehen. Die Hinrichtung auf der Piazza de' Cerchi
War eher ein günstiger Umstand für das Ministerium, sofern sie demselben
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. II Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_287271/433>, abgerufen am 05.02.2025.