Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. II Band.deutenden gegen den Bischof von Mainz mit einer förmlichen Anklageschrift deutenden gegen den Bischof von Mainz mit einer förmlichen Anklageschrift <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0383" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/287655"/> <p xml:id="ID_966" prev="#ID_965" next="#ID_967"> deutenden gegen den Bischof von Mainz mit einer förmlichen Anklageschrift<lb/> vor das Publicum. worin sie dem Bischof systematische Angriffe gegen die<lb/> Protestantische Kirche Schuld gaben. Unter anderen Umständen hätte dieses<lb/> Auftreten der Superintendenten einen wirklichen Erfolg haben können. Jetzt<lb/> aber verpuffte der Angriff wirkungslos; nicht blos der Zeitpunkt, sondern<lb/> auch das Terrain waren schlecht gewählt, denn Herr von Ketteler ist viel<lb/> zu weltklug um den Protestantismus öffentlich zu schmähen, seine Sünden<lb/> liegen auf einem ganz anderen Felde. Die Sache endete mit einer literari¬<lb/> schen Niederlage der von der Bevölkerung im Stiche gelassenen Würden¬<lb/> träger. Hierzu kam noch, daß einer der Superintendenten, Prälat Zimmer¬<lb/> mann, in früheren Jahren — namentlich zur Zeit der Entstehung des Deutsch¬<lb/> katholicismus — in Streitschriften gegen den Katholicismus des Guten etwas<lb/> viel gethan hatte, ein Umstand der dem Bischof von Mainz entschieden zu<lb/> Gute kam und von den gouvernementalen Freunden desselben nach Kräften<lb/> ausgebeutet wurde. Während der Herrschaft des Ultramontanismus hatte sich<lb/> die Kampffähigkeit unserer Prälaten gegen den Katholicismus hauptsächlich<lb/> im Schmollwinkel des Gustavadolssvereins concentrirt; dabei waren die in¬<lb/> neren Zustände der protestantischen Kirche wenig beachtet worden. Das<lb/> Consistorium (Oberconsistorium genannt), das unter Aufsicht des Ministeriums<lb/> des Innern und unter Beihilfe der KreisräWe die protestantische Kirche in<lb/> Hessen verwaltet, hatte sich zwischen den kirchlichen Parteien gehalten, zumal die<lb/> kirchlichen Parteien fast ausschließlich durch Geistliche gebildet wurden. Die<lb/> Protestantische Bevölkerung, welche ganz außerhalb der Kirchenverfassung steht<lb/> und die durchweg rationalistisch gesinnt ist, hatte schon lange angefangen sich<lb/> aus dem kirchlichen Leben zurückzuziehen, namentlich seit der Orthodoxismus<lb/> unter den Geistlichen die Oberhand gewann. Das Lutherfest, das mit so<lb/> großem äußeren Prunk in Worms gefeiert wurde, konnte diese schweren inne¬<lb/> ren Schäden, an denen die hessische protestantische Kirche laborirt, kaum ver¬<lb/> decken. Gerade dieses Fest sollte Veranlassung werden, die ganze Zerfahren¬<lb/> heit kirchlicher Zustände in Hessen ans Tageslicht zu bringen. Ein darm-<lb/> städter Mitprediger ließ als Festschrift eine Broschüre ausgehen, die nach<lb/> Form und Inhalt unbedeutend, und nicht einmal auf der Höhe der<lb/> zum Gemeingute gewordenen wissenschaftlichen Resultate stehend, doch in<lb/> den Augen der Bevölkerung das große Verdienst hatte, die große Kluft, die<lb/> Wischer der religiösen Ueberzeugung der Gemeindemitglieder und dem<lb/> Standpunkt des größeren Theiles der Geistlichkeit liegt, in drastischer Weise<lb/> darzulegen. Das Consistorium war dem kühnen Unternehmen gegenüber<lb/> zuerst rathlos; die orthodoxe Partei aber fand sich zu tief verwundet, als<lb/> daß sie nicht in einer sehr entrüsteten Adresse die exemplarische Bestrafung<lb/> des Angreifers gefordert hätte. Das rief denn auf der anderen Seite eine</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0383]
deutenden gegen den Bischof von Mainz mit einer förmlichen Anklageschrift
vor das Publicum. worin sie dem Bischof systematische Angriffe gegen die
Protestantische Kirche Schuld gaben. Unter anderen Umständen hätte dieses
Auftreten der Superintendenten einen wirklichen Erfolg haben können. Jetzt
aber verpuffte der Angriff wirkungslos; nicht blos der Zeitpunkt, sondern
auch das Terrain waren schlecht gewählt, denn Herr von Ketteler ist viel
zu weltklug um den Protestantismus öffentlich zu schmähen, seine Sünden
liegen auf einem ganz anderen Felde. Die Sache endete mit einer literari¬
schen Niederlage der von der Bevölkerung im Stiche gelassenen Würden¬
träger. Hierzu kam noch, daß einer der Superintendenten, Prälat Zimmer¬
mann, in früheren Jahren — namentlich zur Zeit der Entstehung des Deutsch¬
katholicismus — in Streitschriften gegen den Katholicismus des Guten etwas
viel gethan hatte, ein Umstand der dem Bischof von Mainz entschieden zu
Gute kam und von den gouvernementalen Freunden desselben nach Kräften
ausgebeutet wurde. Während der Herrschaft des Ultramontanismus hatte sich
die Kampffähigkeit unserer Prälaten gegen den Katholicismus hauptsächlich
im Schmollwinkel des Gustavadolssvereins concentrirt; dabei waren die in¬
neren Zustände der protestantischen Kirche wenig beachtet worden. Das
Consistorium (Oberconsistorium genannt), das unter Aufsicht des Ministeriums
des Innern und unter Beihilfe der KreisräWe die protestantische Kirche in
Hessen verwaltet, hatte sich zwischen den kirchlichen Parteien gehalten, zumal die
kirchlichen Parteien fast ausschließlich durch Geistliche gebildet wurden. Die
Protestantische Bevölkerung, welche ganz außerhalb der Kirchenverfassung steht
und die durchweg rationalistisch gesinnt ist, hatte schon lange angefangen sich
aus dem kirchlichen Leben zurückzuziehen, namentlich seit der Orthodoxismus
unter den Geistlichen die Oberhand gewann. Das Lutherfest, das mit so
großem äußeren Prunk in Worms gefeiert wurde, konnte diese schweren inne¬
ren Schäden, an denen die hessische protestantische Kirche laborirt, kaum ver¬
decken. Gerade dieses Fest sollte Veranlassung werden, die ganze Zerfahren¬
heit kirchlicher Zustände in Hessen ans Tageslicht zu bringen. Ein darm-
städter Mitprediger ließ als Festschrift eine Broschüre ausgehen, die nach
Form und Inhalt unbedeutend, und nicht einmal auf der Höhe der
zum Gemeingute gewordenen wissenschaftlichen Resultate stehend, doch in
den Augen der Bevölkerung das große Verdienst hatte, die große Kluft, die
Wischer der religiösen Ueberzeugung der Gemeindemitglieder und dem
Standpunkt des größeren Theiles der Geistlichkeit liegt, in drastischer Weise
darzulegen. Das Consistorium war dem kühnen Unternehmen gegenüber
zuerst rathlos; die orthodoxe Partei aber fand sich zu tief verwundet, als
daß sie nicht in einer sehr entrüsteten Adresse die exemplarische Bestrafung
des Angreifers gefordert hätte. Das rief denn auf der anderen Seite eine
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