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Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. II Band.

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Was Gefängnißwesen in Preußen.

In den Annalen der Thätigkeit des preußischen Landtags gibt es kaum
ein weniger befriedigendes, dürftigeres Capitel als dasjenige, in welchem
die Behandlung der Gefängnißangelegenheit verzeichnet ist. Seit einer Reihe
von Jahren ist es stehender Gebrauch geworden, daß die hier schwebenden
Fragen, Fragen der gewichtigsten Natur und von staatsrechtlicher Bedeutung,
in der Zeitdauer von einer halben oder Viertelssitzung des Abgeordneten¬
hauses flüchtig berührt und dann unter Bewilligung der betreffenden Etats-
Positionen fallen gelassen werden. Gelegentlich faßt das Abgeordnetenhaus eine
Resolution, es erinnert sich an den Umstand, daß in Preußen fortwährend
eine Strafe vollzogen und der Vollzug durch die Bewilligung der erforder¬
lichen Gelder seitens der Volksvertretung ermöglicht wird, die gesetzlich gar
nicht eingeführt ist; es beschließt (wie in der Session von 1864) zu erklären:
"daß die Vollstreckung der Zuchthausstrafen in der Form der Einzelhaft nur
dann gerechtfertigt ist, wenn sie durch das Gesetz geregelt wird" und mit
dieser Erklärung ist alsdann sür das Abgeordnetenhaus, dessen Willensmei¬
nung unberücksichtigt bleibt, für den Staat, dessen gesetzliche Vorschriften bei
Seite gesetzt erscheinen, für die Gefangenenbevölkerung, die ein Recht zur
Reclamation hätte, dasselbe aber nicht geltend machen kann -- die Sache
abgethan.

In den letzten Jahren ist es selbst zu irgend welchen Erklärungen über
diese Materie gar nicht mehr gekommen, die Sache nahm einen noch glätteren,
harmloseren Verlauf. In der Session von 1863 beantragte der Abg. Dr. v.
Bunsen. eine Commission zur Untersuchung des Gefängnißwesens einzusetzen,
blieb aber damit in der Minorität. Die Erinnerung an die früheren erfolg¬
losen Bemühungen des Abgeordnetenhauses, von § 82 der Verfassung Ge¬
brauch zu machen, mochten nicht eben ermuthigend gewirkt haben. In der
Session von 1866 stellte der Abg. Dr. Eberty den Antrag: die Staatsre¬
gierung aufzufordern, dem Landtag bei seinem nächsten Zusammentritt einen
eingehenden Bericht über die Principien, welche von der Negierung bei der
Leitung des Gefängnißwesens befolgt und angewendet werden, zukommen zu
lassen. Der Antrag war nicht sehr glücklich formulirt, indessen konnte er
von allen Denen angenommen werden, welche dem Gegenstand selbst näher zu
treten und ihn nicht blos gelegentlich bei Berathung des Etats abgemacht zu
sehen wünschten. In diesem Sinne war er auch von dem Antragsteller mo-
tivirt worden; derselbe bezeichnete ihn als ein Mittel, um nur erst einen Fuß
in den Steigbügel heben zu können. Gleichwohl ward der Antrag abgelehnt,
aus Gründen, für die uns jede Erklärung fehlt, wenn wir sie nicht etwa auf


Grenzboten IV. 18K8. 37
Was Gefängnißwesen in Preußen.

In den Annalen der Thätigkeit des preußischen Landtags gibt es kaum
ein weniger befriedigendes, dürftigeres Capitel als dasjenige, in welchem
die Behandlung der Gefängnißangelegenheit verzeichnet ist. Seit einer Reihe
von Jahren ist es stehender Gebrauch geworden, daß die hier schwebenden
Fragen, Fragen der gewichtigsten Natur und von staatsrechtlicher Bedeutung,
in der Zeitdauer von einer halben oder Viertelssitzung des Abgeordneten¬
hauses flüchtig berührt und dann unter Bewilligung der betreffenden Etats-
Positionen fallen gelassen werden. Gelegentlich faßt das Abgeordnetenhaus eine
Resolution, es erinnert sich an den Umstand, daß in Preußen fortwährend
eine Strafe vollzogen und der Vollzug durch die Bewilligung der erforder¬
lichen Gelder seitens der Volksvertretung ermöglicht wird, die gesetzlich gar
nicht eingeführt ist; es beschließt (wie in der Session von 1864) zu erklären:
„daß die Vollstreckung der Zuchthausstrafen in der Form der Einzelhaft nur
dann gerechtfertigt ist, wenn sie durch das Gesetz geregelt wird" und mit
dieser Erklärung ist alsdann sür das Abgeordnetenhaus, dessen Willensmei¬
nung unberücksichtigt bleibt, für den Staat, dessen gesetzliche Vorschriften bei
Seite gesetzt erscheinen, für die Gefangenenbevölkerung, die ein Recht zur
Reclamation hätte, dasselbe aber nicht geltend machen kann — die Sache
abgethan.

In den letzten Jahren ist es selbst zu irgend welchen Erklärungen über
diese Materie gar nicht mehr gekommen, die Sache nahm einen noch glätteren,
harmloseren Verlauf. In der Session von 1863 beantragte der Abg. Dr. v.
Bunsen. eine Commission zur Untersuchung des Gefängnißwesens einzusetzen,
blieb aber damit in der Minorität. Die Erinnerung an die früheren erfolg¬
losen Bemühungen des Abgeordnetenhauses, von § 82 der Verfassung Ge¬
brauch zu machen, mochten nicht eben ermuthigend gewirkt haben. In der
Session von 1866 stellte der Abg. Dr. Eberty den Antrag: die Staatsre¬
gierung aufzufordern, dem Landtag bei seinem nächsten Zusammentritt einen
eingehenden Bericht über die Principien, welche von der Negierung bei der
Leitung des Gefängnißwesens befolgt und angewendet werden, zukommen zu
lassen. Der Antrag war nicht sehr glücklich formulirt, indessen konnte er
von allen Denen angenommen werden, welche dem Gegenstand selbst näher zu
treten und ihn nicht blos gelegentlich bei Berathung des Etats abgemacht zu
sehen wünschten. In diesem Sinne war er auch von dem Antragsteller mo-
tivirt worden; derselbe bezeichnete ihn als ein Mittel, um nur erst einen Fuß
in den Steigbügel heben zu können. Gleichwohl ward der Antrag abgelehnt,
aus Gründen, für die uns jede Erklärung fehlt, wenn wir sie nicht etwa auf


Grenzboten IV. 18K8. 37
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[0313] Was Gefängnißwesen in Preußen. In den Annalen der Thätigkeit des preußischen Landtags gibt es kaum ein weniger befriedigendes, dürftigeres Capitel als dasjenige, in welchem die Behandlung der Gefängnißangelegenheit verzeichnet ist. Seit einer Reihe von Jahren ist es stehender Gebrauch geworden, daß die hier schwebenden Fragen, Fragen der gewichtigsten Natur und von staatsrechtlicher Bedeutung, in der Zeitdauer von einer halben oder Viertelssitzung des Abgeordneten¬ hauses flüchtig berührt und dann unter Bewilligung der betreffenden Etats- Positionen fallen gelassen werden. Gelegentlich faßt das Abgeordnetenhaus eine Resolution, es erinnert sich an den Umstand, daß in Preußen fortwährend eine Strafe vollzogen und der Vollzug durch die Bewilligung der erforder¬ lichen Gelder seitens der Volksvertretung ermöglicht wird, die gesetzlich gar nicht eingeführt ist; es beschließt (wie in der Session von 1864) zu erklären: „daß die Vollstreckung der Zuchthausstrafen in der Form der Einzelhaft nur dann gerechtfertigt ist, wenn sie durch das Gesetz geregelt wird" und mit dieser Erklärung ist alsdann sür das Abgeordnetenhaus, dessen Willensmei¬ nung unberücksichtigt bleibt, für den Staat, dessen gesetzliche Vorschriften bei Seite gesetzt erscheinen, für die Gefangenenbevölkerung, die ein Recht zur Reclamation hätte, dasselbe aber nicht geltend machen kann — die Sache abgethan. In den letzten Jahren ist es selbst zu irgend welchen Erklärungen über diese Materie gar nicht mehr gekommen, die Sache nahm einen noch glätteren, harmloseren Verlauf. In der Session von 1863 beantragte der Abg. Dr. v. Bunsen. eine Commission zur Untersuchung des Gefängnißwesens einzusetzen, blieb aber damit in der Minorität. Die Erinnerung an die früheren erfolg¬ losen Bemühungen des Abgeordnetenhauses, von § 82 der Verfassung Ge¬ brauch zu machen, mochten nicht eben ermuthigend gewirkt haben. In der Session von 1866 stellte der Abg. Dr. Eberty den Antrag: die Staatsre¬ gierung aufzufordern, dem Landtag bei seinem nächsten Zusammentritt einen eingehenden Bericht über die Principien, welche von der Negierung bei der Leitung des Gefängnißwesens befolgt und angewendet werden, zukommen zu lassen. Der Antrag war nicht sehr glücklich formulirt, indessen konnte er von allen Denen angenommen werden, welche dem Gegenstand selbst näher zu treten und ihn nicht blos gelegentlich bei Berathung des Etats abgemacht zu sehen wünschten. In diesem Sinne war er auch von dem Antragsteller mo- tivirt worden; derselbe bezeichnete ihn als ein Mittel, um nur erst einen Fuß in den Steigbügel heben zu können. Gleichwohl ward der Antrag abgelehnt, aus Gründen, für die uns jede Erklärung fehlt, wenn wir sie nicht etwa auf Grenzboten IV. 18K8. 37

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. II Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_287271/313>, abgerufen am 05.02.2025.