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Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. II Band.

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fessionelle Schulen, Zwitteranstalten, wie geschaffen, um die Conflicte zwischen
Staat und Kirche permanent zu machen.

Gewiß waren alle diese Schwächen der Offensive auch den An¬
greifern selbst nicht unbekannt geblieben, und es mußte daher nach
einem Schlagwort gesucht werden, geeignet diese Mängel zu verdecken.
Man durfte nicht lange suchen: "Autonomie" lautet das Schlagwort
aller Gegner des ministeriellen Unterrichts - Entwurfs, die Autonomie
der Kirche ist in Gefahr, rief zuerst Tisza, rufen jetzt mit ihm im Chorus
die Wortführer des Ultramontanismus. In Deutschland, an der Geburts¬
stätte des Protestantismus, wo neben dem Kampf um die Selbstständigkeit der
Kirche im Staat der um die Unabhängigkeit der Schule von der Kirche ein¬
hergeht und die Ersten, die die Schule frei von jedem geistlichen Einfluß
wissen wollen, im Geiste echten Liberalismus nicht nur, sondern zugleich in
dem eines wahrhaften Protestantismus zu handeln glauben, wird man es
schwer begreifen, wie bei uns eben die sich gerne "liberal" nennende Partei
aus allen Kräften für den Fortbestand der konfessionellen Schulen in die
Schranken tritt und dem Staate, dem parlamentarischen Staate des 19. Jahr¬
hunderts, der im Interesse seiner Bürger das Ueberwachungsrecht über sie
in Anspruch nimmt, im Namen der protestantischen Kirche ein non pcissumus
entgegensetzt. Mag sein, daß die Gewohnheit auch hier ihr Recht geübt.
Seit der Periode des linzer und prager Friedens bis zu den letzten Kämpfen
gegen das Thun'sche Patent involoirte das Festhalten an der Autonomie
der protestantischen Kirche zugleich die Wahrung und Förderung der gesamm-
ten nationalen Freiheit und Civilisation und da könnte es denn dem refor-
mirten Curator nachgesehen werden, wenn er, sür die Strebungen seiner
Kirche fanatisch eingenommen, sich eines gewaltigen Anachronismus schuldig
macht und dort Gefahren erblickt, wo sie längst geschwunden; aber vom
Führer der Linken durfte man jedenfalls ein richtigeres Erkennen erwarten
und so wird man zur Annahme gedrängt, es sei eben die Oppositionssucht
guemä mZmö, die diesmal Herrn v. Tisza geleitet; der Gegner des Aus-
gleichs-Ministeriums gönnt demselben den Ruhm nicht, dem Unterrichtswesen
in Ungarn eine neue Aera zu eröffnen, und vergißt in der Hitze des Partei¬
kampfs, daß die Waffen, deren er sich bedient, längst verrostet sind. Die
Verlockung, an die Autonomie zu appelliren, lag allerdings für Herrn v. Tisza
sehr nahe. Es ist der Linken gelungen, durch ihren den Ohren der großen
Menge immer noch sympathischen Appell an die Comitats-Autonomie das
Ministerium davon abzuhalten, eine unserer wichtigsten Existenzfragen, die
Regulirung der Municipien, die Feststellung ihres administrativen, judiciellen
und politischen Wirkungskreises, dem gegenwärtigen Reichstag zur Erledigung
vorzulegen und so mochte sie mit einigem Recht hoffen, das Schlagwort


fessionelle Schulen, Zwitteranstalten, wie geschaffen, um die Conflicte zwischen
Staat und Kirche permanent zu machen.

Gewiß waren alle diese Schwächen der Offensive auch den An¬
greifern selbst nicht unbekannt geblieben, und es mußte daher nach
einem Schlagwort gesucht werden, geeignet diese Mängel zu verdecken.
Man durfte nicht lange suchen: „Autonomie" lautet das Schlagwort
aller Gegner des ministeriellen Unterrichts - Entwurfs, die Autonomie
der Kirche ist in Gefahr, rief zuerst Tisza, rufen jetzt mit ihm im Chorus
die Wortführer des Ultramontanismus. In Deutschland, an der Geburts¬
stätte des Protestantismus, wo neben dem Kampf um die Selbstständigkeit der
Kirche im Staat der um die Unabhängigkeit der Schule von der Kirche ein¬
hergeht und die Ersten, die die Schule frei von jedem geistlichen Einfluß
wissen wollen, im Geiste echten Liberalismus nicht nur, sondern zugleich in
dem eines wahrhaften Protestantismus zu handeln glauben, wird man es
schwer begreifen, wie bei uns eben die sich gerne „liberal" nennende Partei
aus allen Kräften für den Fortbestand der konfessionellen Schulen in die
Schranken tritt und dem Staate, dem parlamentarischen Staate des 19. Jahr¬
hunderts, der im Interesse seiner Bürger das Ueberwachungsrecht über sie
in Anspruch nimmt, im Namen der protestantischen Kirche ein non pcissumus
entgegensetzt. Mag sein, daß die Gewohnheit auch hier ihr Recht geübt.
Seit der Periode des linzer und prager Friedens bis zu den letzten Kämpfen
gegen das Thun'sche Patent involoirte das Festhalten an der Autonomie
der protestantischen Kirche zugleich die Wahrung und Förderung der gesamm-
ten nationalen Freiheit und Civilisation und da könnte es denn dem refor-
mirten Curator nachgesehen werden, wenn er, sür die Strebungen seiner
Kirche fanatisch eingenommen, sich eines gewaltigen Anachronismus schuldig
macht und dort Gefahren erblickt, wo sie längst geschwunden; aber vom
Führer der Linken durfte man jedenfalls ein richtigeres Erkennen erwarten
und so wird man zur Annahme gedrängt, es sei eben die Oppositionssucht
guemä mZmö, die diesmal Herrn v. Tisza geleitet; der Gegner des Aus-
gleichs-Ministeriums gönnt demselben den Ruhm nicht, dem Unterrichtswesen
in Ungarn eine neue Aera zu eröffnen, und vergißt in der Hitze des Partei¬
kampfs, daß die Waffen, deren er sich bedient, längst verrostet sind. Die
Verlockung, an die Autonomie zu appelliren, lag allerdings für Herrn v. Tisza
sehr nahe. Es ist der Linken gelungen, durch ihren den Ohren der großen
Menge immer noch sympathischen Appell an die Comitats-Autonomie das
Ministerium davon abzuhalten, eine unserer wichtigsten Existenzfragen, die
Regulirung der Municipien, die Feststellung ihres administrativen, judiciellen
und politischen Wirkungskreises, dem gegenwärtigen Reichstag zur Erledigung
vorzulegen und so mochte sie mit einigem Recht hoffen, das Schlagwort


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[0296] fessionelle Schulen, Zwitteranstalten, wie geschaffen, um die Conflicte zwischen Staat und Kirche permanent zu machen. Gewiß waren alle diese Schwächen der Offensive auch den An¬ greifern selbst nicht unbekannt geblieben, und es mußte daher nach einem Schlagwort gesucht werden, geeignet diese Mängel zu verdecken. Man durfte nicht lange suchen: „Autonomie" lautet das Schlagwort aller Gegner des ministeriellen Unterrichts - Entwurfs, die Autonomie der Kirche ist in Gefahr, rief zuerst Tisza, rufen jetzt mit ihm im Chorus die Wortführer des Ultramontanismus. In Deutschland, an der Geburts¬ stätte des Protestantismus, wo neben dem Kampf um die Selbstständigkeit der Kirche im Staat der um die Unabhängigkeit der Schule von der Kirche ein¬ hergeht und die Ersten, die die Schule frei von jedem geistlichen Einfluß wissen wollen, im Geiste echten Liberalismus nicht nur, sondern zugleich in dem eines wahrhaften Protestantismus zu handeln glauben, wird man es schwer begreifen, wie bei uns eben die sich gerne „liberal" nennende Partei aus allen Kräften für den Fortbestand der konfessionellen Schulen in die Schranken tritt und dem Staate, dem parlamentarischen Staate des 19. Jahr¬ hunderts, der im Interesse seiner Bürger das Ueberwachungsrecht über sie in Anspruch nimmt, im Namen der protestantischen Kirche ein non pcissumus entgegensetzt. Mag sein, daß die Gewohnheit auch hier ihr Recht geübt. Seit der Periode des linzer und prager Friedens bis zu den letzten Kämpfen gegen das Thun'sche Patent involoirte das Festhalten an der Autonomie der protestantischen Kirche zugleich die Wahrung und Förderung der gesamm- ten nationalen Freiheit und Civilisation und da könnte es denn dem refor- mirten Curator nachgesehen werden, wenn er, sür die Strebungen seiner Kirche fanatisch eingenommen, sich eines gewaltigen Anachronismus schuldig macht und dort Gefahren erblickt, wo sie längst geschwunden; aber vom Führer der Linken durfte man jedenfalls ein richtigeres Erkennen erwarten und so wird man zur Annahme gedrängt, es sei eben die Oppositionssucht guemä mZmö, die diesmal Herrn v. Tisza geleitet; der Gegner des Aus- gleichs-Ministeriums gönnt demselben den Ruhm nicht, dem Unterrichtswesen in Ungarn eine neue Aera zu eröffnen, und vergißt in der Hitze des Partei¬ kampfs, daß die Waffen, deren er sich bedient, längst verrostet sind. Die Verlockung, an die Autonomie zu appelliren, lag allerdings für Herrn v. Tisza sehr nahe. Es ist der Linken gelungen, durch ihren den Ohren der großen Menge immer noch sympathischen Appell an die Comitats-Autonomie das Ministerium davon abzuhalten, eine unserer wichtigsten Existenzfragen, die Regulirung der Municipien, die Feststellung ihres administrativen, judiciellen und politischen Wirkungskreises, dem gegenwärtigen Reichstag zur Erledigung vorzulegen und so mochte sie mit einigem Recht hoffen, das Schlagwort

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. II Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_287271/296>, abgerufen am 06.02.2025.