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Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. II Band.

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Aus den Memoiren eines russischen BeKabristm:
IV. Die Reise nach Sibirien.

An dem Tage der Urtheilsexecution begann sogleich die Abfertigung
der Verurtheilten nach Sibirien. Ich weiß nicht, aus welchem Grunde die
zur Zwangsarbeit Verurtheilten gegen den Gebrauch schon für die Reise in
Eisen geschmiedet wurden; solch' verschärfter Strafe wurden sonst nur Indi¬
viduen unterworfen, die sich durch neue Vergehen oder durch Versuche zum
Entlaufen eine Steigerung der Strafe zugezogen hatten. Da die wegen des
Aufstandes Verurtheilten je einen Gensdarmen beständig zur Wache bei sich
hatten und immer vier Mann zusammen, in Begleitung eines Feldjägers
und einer Wache von vier Gensdarmen, mit Postpferden nach Sibirien
transporttrt wurden , war bei uns an ein Entrinnen nicht zu denken. Die
Beförderung per Post war eine Ausnahmemaßregel> über deren Gründe viel¬
fach gestritten wurde. Die Einen meinten, man habe uns den weiten Marsch
ersparen wollen, Andere, man habe uns vor der "Volkswuth" schützen wollen,
wieder Andere waren der Meinung, es habe der Gefahr der Verbreitung
revolutionärer Ideen durch uns vorgebeugt werden sollen und man habe
darum das rascheste Beförderungsmittel gewählt. -- Aus der ersten der er¬
wähnten zwölf Verbrecher-Kategorien wurden acht Personen sofort und direct
in die Quecksilber-Bergwerke von Nertschinsk verschickt: Fürst S. P. Trubetzkoy,
Fürst E. P. Obolensky, Fürst S.G. Wolkonsky, V. L. Dcwidow, A. Z. Mu-
rawjew, A. I. Jakubowitsch und die beiden Brüder A. I. und P. I. Bo-
rissow; sie haben in den unterirdischen Minen gleich den übrigen Zwangs¬
arbeitern Jahre lang gearbeitet. Diesen acht schwer Compromittirten folgte
die ganze Kategorie der zur Ansiedelung in Sibirien Verurtheilten. Die
betreffenden Männer wurden zu je vier und vier abgefertigt und gingen
einem äußerst harten Loose entgegen, da sie einzeln und in der nördlichsten
Region Sibiriens, zwischen Obdorsk und Kolymsk angesiedelt wurden, in
einer Gegend wo die Erde kein Korn mehr hervorbringt. Hier blieben sie
über ein Jahr,,um darauf etwas südlicher zwischen Beresow und Jakutsk
placirt zu werden. Sie waren die erste Zeit über ganz allein, keine Freundes¬
stimme, kein Sonnenstrahl erwärmte sie, und es erscheint natürlich, daß Ein¬
zelne von ihnen wahnsinnig wurden, Andere sich einer Verzweiflung ergaben
die ihrem Leben ein baldiges Ende machte; dem ersten Unglück verfielen der
Fürst Schachowskoy und N. S. Bobrischtschew-Puschkin, dem zweiten Fuhr¬
mann und Schachirew, die beide nach zwei Jahren starben. -- M. A. Nasi-
wow lebte über ein Jahr in Nishni-Kolymsk, wohin man ihn theils auf


Grm,boten IV. 1868. 32
Aus den Memoiren eines russischen BeKabristm:
IV. Die Reise nach Sibirien.

An dem Tage der Urtheilsexecution begann sogleich die Abfertigung
der Verurtheilten nach Sibirien. Ich weiß nicht, aus welchem Grunde die
zur Zwangsarbeit Verurtheilten gegen den Gebrauch schon für die Reise in
Eisen geschmiedet wurden; solch' verschärfter Strafe wurden sonst nur Indi¬
viduen unterworfen, die sich durch neue Vergehen oder durch Versuche zum
Entlaufen eine Steigerung der Strafe zugezogen hatten. Da die wegen des
Aufstandes Verurtheilten je einen Gensdarmen beständig zur Wache bei sich
hatten und immer vier Mann zusammen, in Begleitung eines Feldjägers
und einer Wache von vier Gensdarmen, mit Postpferden nach Sibirien
transporttrt wurden , war bei uns an ein Entrinnen nicht zu denken. Die
Beförderung per Post war eine Ausnahmemaßregel> über deren Gründe viel¬
fach gestritten wurde. Die Einen meinten, man habe uns den weiten Marsch
ersparen wollen, Andere, man habe uns vor der „Volkswuth" schützen wollen,
wieder Andere waren der Meinung, es habe der Gefahr der Verbreitung
revolutionärer Ideen durch uns vorgebeugt werden sollen und man habe
darum das rascheste Beförderungsmittel gewählt. — Aus der ersten der er¬
wähnten zwölf Verbrecher-Kategorien wurden acht Personen sofort und direct
in die Quecksilber-Bergwerke von Nertschinsk verschickt: Fürst S. P. Trubetzkoy,
Fürst E. P. Obolensky, Fürst S.G. Wolkonsky, V. L. Dcwidow, A. Z. Mu-
rawjew, A. I. Jakubowitsch und die beiden Brüder A. I. und P. I. Bo-
rissow; sie haben in den unterirdischen Minen gleich den übrigen Zwangs¬
arbeitern Jahre lang gearbeitet. Diesen acht schwer Compromittirten folgte
die ganze Kategorie der zur Ansiedelung in Sibirien Verurtheilten. Die
betreffenden Männer wurden zu je vier und vier abgefertigt und gingen
einem äußerst harten Loose entgegen, da sie einzeln und in der nördlichsten
Region Sibiriens, zwischen Obdorsk und Kolymsk angesiedelt wurden, in
einer Gegend wo die Erde kein Korn mehr hervorbringt. Hier blieben sie
über ein Jahr,,um darauf etwas südlicher zwischen Beresow und Jakutsk
placirt zu werden. Sie waren die erste Zeit über ganz allein, keine Freundes¬
stimme, kein Sonnenstrahl erwärmte sie, und es erscheint natürlich, daß Ein¬
zelne von ihnen wahnsinnig wurden, Andere sich einer Verzweiflung ergaben
die ihrem Leben ein baldiges Ende machte; dem ersten Unglück verfielen der
Fürst Schachowskoy und N. S. Bobrischtschew-Puschkin, dem zweiten Fuhr¬
mann und Schachirew, die beide nach zwei Jahren starben. — M. A. Nasi-
wow lebte über ein Jahr in Nishni-Kolymsk, wohin man ihn theils auf


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[0271] Aus den Memoiren eines russischen BeKabristm: IV. Die Reise nach Sibirien. An dem Tage der Urtheilsexecution begann sogleich die Abfertigung der Verurtheilten nach Sibirien. Ich weiß nicht, aus welchem Grunde die zur Zwangsarbeit Verurtheilten gegen den Gebrauch schon für die Reise in Eisen geschmiedet wurden; solch' verschärfter Strafe wurden sonst nur Indi¬ viduen unterworfen, die sich durch neue Vergehen oder durch Versuche zum Entlaufen eine Steigerung der Strafe zugezogen hatten. Da die wegen des Aufstandes Verurtheilten je einen Gensdarmen beständig zur Wache bei sich hatten und immer vier Mann zusammen, in Begleitung eines Feldjägers und einer Wache von vier Gensdarmen, mit Postpferden nach Sibirien transporttrt wurden , war bei uns an ein Entrinnen nicht zu denken. Die Beförderung per Post war eine Ausnahmemaßregel> über deren Gründe viel¬ fach gestritten wurde. Die Einen meinten, man habe uns den weiten Marsch ersparen wollen, Andere, man habe uns vor der „Volkswuth" schützen wollen, wieder Andere waren der Meinung, es habe der Gefahr der Verbreitung revolutionärer Ideen durch uns vorgebeugt werden sollen und man habe darum das rascheste Beförderungsmittel gewählt. — Aus der ersten der er¬ wähnten zwölf Verbrecher-Kategorien wurden acht Personen sofort und direct in die Quecksilber-Bergwerke von Nertschinsk verschickt: Fürst S. P. Trubetzkoy, Fürst E. P. Obolensky, Fürst S.G. Wolkonsky, V. L. Dcwidow, A. Z. Mu- rawjew, A. I. Jakubowitsch und die beiden Brüder A. I. und P. I. Bo- rissow; sie haben in den unterirdischen Minen gleich den übrigen Zwangs¬ arbeitern Jahre lang gearbeitet. Diesen acht schwer Compromittirten folgte die ganze Kategorie der zur Ansiedelung in Sibirien Verurtheilten. Die betreffenden Männer wurden zu je vier und vier abgefertigt und gingen einem äußerst harten Loose entgegen, da sie einzeln und in der nördlichsten Region Sibiriens, zwischen Obdorsk und Kolymsk angesiedelt wurden, in einer Gegend wo die Erde kein Korn mehr hervorbringt. Hier blieben sie über ein Jahr,,um darauf etwas südlicher zwischen Beresow und Jakutsk placirt zu werden. Sie waren die erste Zeit über ganz allein, keine Freundes¬ stimme, kein Sonnenstrahl erwärmte sie, und es erscheint natürlich, daß Ein¬ zelne von ihnen wahnsinnig wurden, Andere sich einer Verzweiflung ergaben die ihrem Leben ein baldiges Ende machte; dem ersten Unglück verfielen der Fürst Schachowskoy und N. S. Bobrischtschew-Puschkin, dem zweiten Fuhr¬ mann und Schachirew, die beide nach zwei Jahren starben. — M. A. Nasi- wow lebte über ein Jahr in Nishni-Kolymsk, wohin man ihn theils auf Grm,boten IV. 1868. 32

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. II Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_287271/271>, abgerufen am 05.02.2025.