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Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. II Band.

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Die Debatte war, obwohl durch den Referenten Dr. Soetbeer in der
vorsichtigsten Weise eingeleitet, eine sehr bewegte.

Dr. Seyferth-Braunschweig trat für die Rübenzucker-Industrie, deren
Interessen mit denen der Consumenten identisch seien, mit einem Pathos ein,
das Stephan-Königsberg später nicht mit Unrecht als ein advocatorisches
bezeichnete. Sein Eifer für den jetzigen Besteuerungsmodus hinderte ihn
übrigens nicht zu bekennen, daß es nicht schwer sei, daran die bekannten 123
Fehler zu finden, daß er insbesondere die Zuckerfabriken in Wasserverdampfungs-
Anstalten verwandelt habe und daß man ihn nicht wählen würde, wenn er nicht
bestünde. Im Sinne des Magdeburg-Braunschweiger Antrags sprachen ferner
Canzleirath Zwicker, Fabrikant Zucks chwerdt aus Magdeburg und Archiv¬
rath Riedel (für Halle), welcher das französische System der Saft-Besteuerung
einer scharfen Kritik unterzog. Reisten-Stuttgart und Langen-Cöln ver¬
theidigten ihre Anträge; Moll-Mannheim unterstützte den seinigen auf Tages¬
ordnung durch das Compliment, daß wir jetzt noch weniger instruirt seien,
als wir hergekommen. Stephan-Königsberg hielt die Fahne des Freihan¬
dels hoch und wies dagegen das Bestreben der Zucker-Industriellen, ihr Interesse
mit dem des Staates und der Volkswirthschaft zu identificiren, entschieden
zurück. Nach einem etwas matten Schlußwort des Referenten wurde der
süddeutsche Vertagungs - Antrag abgelehnt. Der Magdeburg-Braun¬
schweiger Antrag wurde in namentlicher Abstimmung -- deren Verlauf
auf ein zwischen der Zucker- und der Eisen-Industrie geschlossenes Compromiß
zu deuten schien -- mit 77 gegen 28 Stimmen ebenfalls abgelehnt, dagegen
der Antrag des Referenten mit Ausschluß des letzten, auf Einführung eines
Provisoriums gerichteten Satzes, welcher nur 41 Stimmen für sich hatte, mit
78 gegen 29 Stimmen angenommen.

X. Die Eisenzoll-Frage fand die Reihen der Theilnehmer bereits stark
gelichtet, doch wurde ein Antrag auf Tagesordnung entschieden abgelehnt.
Der Referent von Sybel suchte in einem, wiewohl auf "Hervorhebung der
Hauptpunkte" beschränkten, doch abermals einstündigem Vortrage vergeblich
die schutzzöllnerische Spitze seines Antrages zu verbergen, welcher zwar "Ver¬
harren in der bisherigen Tendenz successiver Ermäßigung der Eisenzölle bis
zu deren völliger Beseitigung" empfiehlt, dieselbe aber mehr oder weniger
direct von der vorherigen Erniedrigung der Eisenbahnsrachten und der Be¬
seitigung des nicht zu leugnenden Mißbrauchs abhängig macht, welcher in
Frankreich -- übrigens ebensowohl zum Schaden der eigenen wie der dies¬
seitigen Industrie -- mit den titres ä'ac<Me - ü. - caution (d. h. Scheinen
über bezahlten Einfuhrzoll auf Eisen behufs Rückvergütung bei der Ausfuhr
von Eisenwaaren) getrieben wird. Es konnte daher Niemanden verwundern,
daß der Referent im Schlußwort mit sichtlicher Befriedigung ein Amende-


Die Debatte war, obwohl durch den Referenten Dr. Soetbeer in der
vorsichtigsten Weise eingeleitet, eine sehr bewegte.

Dr. Seyferth-Braunschweig trat für die Rübenzucker-Industrie, deren
Interessen mit denen der Consumenten identisch seien, mit einem Pathos ein,
das Stephan-Königsberg später nicht mit Unrecht als ein advocatorisches
bezeichnete. Sein Eifer für den jetzigen Besteuerungsmodus hinderte ihn
übrigens nicht zu bekennen, daß es nicht schwer sei, daran die bekannten 123
Fehler zu finden, daß er insbesondere die Zuckerfabriken in Wasserverdampfungs-
Anstalten verwandelt habe und daß man ihn nicht wählen würde, wenn er nicht
bestünde. Im Sinne des Magdeburg-Braunschweiger Antrags sprachen ferner
Canzleirath Zwicker, Fabrikant Zucks chwerdt aus Magdeburg und Archiv¬
rath Riedel (für Halle), welcher das französische System der Saft-Besteuerung
einer scharfen Kritik unterzog. Reisten-Stuttgart und Langen-Cöln ver¬
theidigten ihre Anträge; Moll-Mannheim unterstützte den seinigen auf Tages¬
ordnung durch das Compliment, daß wir jetzt noch weniger instruirt seien,
als wir hergekommen. Stephan-Königsberg hielt die Fahne des Freihan¬
dels hoch und wies dagegen das Bestreben der Zucker-Industriellen, ihr Interesse
mit dem des Staates und der Volkswirthschaft zu identificiren, entschieden
zurück. Nach einem etwas matten Schlußwort des Referenten wurde der
süddeutsche Vertagungs - Antrag abgelehnt. Der Magdeburg-Braun¬
schweiger Antrag wurde in namentlicher Abstimmung — deren Verlauf
auf ein zwischen der Zucker- und der Eisen-Industrie geschlossenes Compromiß
zu deuten schien — mit 77 gegen 28 Stimmen ebenfalls abgelehnt, dagegen
der Antrag des Referenten mit Ausschluß des letzten, auf Einführung eines
Provisoriums gerichteten Satzes, welcher nur 41 Stimmen für sich hatte, mit
78 gegen 29 Stimmen angenommen.

X. Die Eisenzoll-Frage fand die Reihen der Theilnehmer bereits stark
gelichtet, doch wurde ein Antrag auf Tagesordnung entschieden abgelehnt.
Der Referent von Sybel suchte in einem, wiewohl auf „Hervorhebung der
Hauptpunkte" beschränkten, doch abermals einstündigem Vortrage vergeblich
die schutzzöllnerische Spitze seines Antrages zu verbergen, welcher zwar „Ver¬
harren in der bisherigen Tendenz successiver Ermäßigung der Eisenzölle bis
zu deren völliger Beseitigung" empfiehlt, dieselbe aber mehr oder weniger
direct von der vorherigen Erniedrigung der Eisenbahnsrachten und der Be¬
seitigung des nicht zu leugnenden Mißbrauchs abhängig macht, welcher in
Frankreich — übrigens ebensowohl zum Schaden der eigenen wie der dies¬
seitigen Industrie — mit den titres ä'ac<Me - ü. - caution (d. h. Scheinen
über bezahlten Einfuhrzoll auf Eisen behufs Rückvergütung bei der Ausfuhr
von Eisenwaaren) getrieben wird. Es konnte daher Niemanden verwundern,
daß der Referent im Schlußwort mit sichtlicher Befriedigung ein Amende-


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[0258] Die Debatte war, obwohl durch den Referenten Dr. Soetbeer in der vorsichtigsten Weise eingeleitet, eine sehr bewegte. Dr. Seyferth-Braunschweig trat für die Rübenzucker-Industrie, deren Interessen mit denen der Consumenten identisch seien, mit einem Pathos ein, das Stephan-Königsberg später nicht mit Unrecht als ein advocatorisches bezeichnete. Sein Eifer für den jetzigen Besteuerungsmodus hinderte ihn übrigens nicht zu bekennen, daß es nicht schwer sei, daran die bekannten 123 Fehler zu finden, daß er insbesondere die Zuckerfabriken in Wasserverdampfungs- Anstalten verwandelt habe und daß man ihn nicht wählen würde, wenn er nicht bestünde. Im Sinne des Magdeburg-Braunschweiger Antrags sprachen ferner Canzleirath Zwicker, Fabrikant Zucks chwerdt aus Magdeburg und Archiv¬ rath Riedel (für Halle), welcher das französische System der Saft-Besteuerung einer scharfen Kritik unterzog. Reisten-Stuttgart und Langen-Cöln ver¬ theidigten ihre Anträge; Moll-Mannheim unterstützte den seinigen auf Tages¬ ordnung durch das Compliment, daß wir jetzt noch weniger instruirt seien, als wir hergekommen. Stephan-Königsberg hielt die Fahne des Freihan¬ dels hoch und wies dagegen das Bestreben der Zucker-Industriellen, ihr Interesse mit dem des Staates und der Volkswirthschaft zu identificiren, entschieden zurück. Nach einem etwas matten Schlußwort des Referenten wurde der süddeutsche Vertagungs - Antrag abgelehnt. Der Magdeburg-Braun¬ schweiger Antrag wurde in namentlicher Abstimmung — deren Verlauf auf ein zwischen der Zucker- und der Eisen-Industrie geschlossenes Compromiß zu deuten schien — mit 77 gegen 28 Stimmen ebenfalls abgelehnt, dagegen der Antrag des Referenten mit Ausschluß des letzten, auf Einführung eines Provisoriums gerichteten Satzes, welcher nur 41 Stimmen für sich hatte, mit 78 gegen 29 Stimmen angenommen. X. Die Eisenzoll-Frage fand die Reihen der Theilnehmer bereits stark gelichtet, doch wurde ein Antrag auf Tagesordnung entschieden abgelehnt. Der Referent von Sybel suchte in einem, wiewohl auf „Hervorhebung der Hauptpunkte" beschränkten, doch abermals einstündigem Vortrage vergeblich die schutzzöllnerische Spitze seines Antrages zu verbergen, welcher zwar „Ver¬ harren in der bisherigen Tendenz successiver Ermäßigung der Eisenzölle bis zu deren völliger Beseitigung" empfiehlt, dieselbe aber mehr oder weniger direct von der vorherigen Erniedrigung der Eisenbahnsrachten und der Be¬ seitigung des nicht zu leugnenden Mißbrauchs abhängig macht, welcher in Frankreich — übrigens ebensowohl zum Schaden der eigenen wie der dies¬ seitigen Industrie — mit den titres ä'ac<Me - ü. - caution (d. h. Scheinen über bezahlten Einfuhrzoll auf Eisen behufs Rückvergütung bei der Ausfuhr von Eisenwaaren) getrieben wird. Es konnte daher Niemanden verwundern, daß der Referent im Schlußwort mit sichtlicher Befriedigung ein Amende-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. II Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_287271/258>, abgerufen am 05.02.2025.