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Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. II Band.

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zu thun, was möglich sei, um mich zu retten; dann entfernte er sich wieder.
Das Verhör wurde, sobald der Kaiser das Gemach verlassen hatte, wieder
aufgenommen. Ich befand mich in der peinlichsten Lage; für meine Person
zu leugnen, hatte ich keine Möglichkeit und keinen Grund, aber die ganze
Wahrheit durfte ich doch nicht sagen, insbesondere Niemand von den Theil-
nehmern und Anstiftern nennen. Nach einer halben Stunde kam der Kaiser
wieder herein, nahm dem General Lewaschow den Bogen mit den protokol-
lirten Antworten aus der Hand und las denselben. In meinen Aussagen
war kein Name genannt -- mit Wohlwollen sah er mich an und er-
muthigte mich, offenherzig zu sein- Der Kaiser trug, wie er früher als Gro߬
fürst gethan, einen alten Uniformsrock (vom ismailow'schen Regiment) ohne
Epauletten; die blasse Farbe seines Gesichts, die an Entzündung leidenden
Augen zeigten deutlich, daß er viel arbeitete, in Alles eindringen. Alles
selbst hören, selbst lesen wollte. Als er in sein Cabinet zurückgekehrt war,
öffnete er noch einmal die Thüre, und die letzten Worte, die ich von ihm
hörte, waren: "Dich rette ich gern." -- Nachdem Lewaschow sein Protokoll
beendet hatte, überreichte er mir das Papier zum Durchlesen, damit ich mit
meiner Unterschrift die Wahrheit meiner Aussagen bezeugen sollte. Ich bat
ihn, mich von solcher Unterschrift zu entbinden und gab ihm zu verstehen,
daß ich die ganze Wahrheit nicht enthüllen könne. "In diesem Falle muß
ich Sie von neuem verhören." Mir blieb nichts übrig, als das Protokoll
doch zu unterzeichnen; meine anfängliche Zögerung wurde dem Kaiser aber
berichtet und soll von ihm als Nichtachtung seines gnädigen Versprechens
aufgefaßt worden sein. Mein Urtheil wurde, wie in der Folge näher aus¬
geführt werden soll, nicht nur nicht gemildert, sondern verschärft.

Diese "ersten Verhöre" im Palais haben alle in die Verschwörung ver¬
wickelten oder der Theilnahme an derselben bezichtigten Personen durchzu¬
machen gehabt. Der Kaiser sah und sprach Jeden von ihnen. Die Generaladju¬
tanten Lewaschow, Benkendorff*) und Toll schrieben nach der Reihe die
Aussagen nieder, am häufigsten Lewaschow, der sich nicht selten einer höchst
eigenthümlichen Methode der Untersuchungsführung bediente. So zum Beispiel
sagte er zu Bestushew-Rjumin, der nicht gleich auf alle seine Fragen ant¬
wortete: "Vous LÄVös, u'g, pu'g. airs un mot et vous aves
veeu". Dem Obrist M. F. Mittkow sagte er: ,Mis it v a ach movens
xour vous taire avousr", sodaß dieser gezwungen war, ihm zu bemerken,
daß wir im 19. Jahrhunderte lebten und daß die Tortur durch ein Gesetz
des Kaisers Alexander aufgehoben worden sei. -- Diese ersten Verhöre im
Cabinet des Kaisers konnten unmöglich in alle Einzelheiten der Verschwö-



-) Später Chef der politischen Polizei und als solcher einer der einflußreichsten Rathgeber
deS Kaisers Nikolaus.
Grenzboten IV. 1SK8. 18

zu thun, was möglich sei, um mich zu retten; dann entfernte er sich wieder.
Das Verhör wurde, sobald der Kaiser das Gemach verlassen hatte, wieder
aufgenommen. Ich befand mich in der peinlichsten Lage; für meine Person
zu leugnen, hatte ich keine Möglichkeit und keinen Grund, aber die ganze
Wahrheit durfte ich doch nicht sagen, insbesondere Niemand von den Theil-
nehmern und Anstiftern nennen. Nach einer halben Stunde kam der Kaiser
wieder herein, nahm dem General Lewaschow den Bogen mit den protokol-
lirten Antworten aus der Hand und las denselben. In meinen Aussagen
war kein Name genannt — mit Wohlwollen sah er mich an und er-
muthigte mich, offenherzig zu sein- Der Kaiser trug, wie er früher als Gro߬
fürst gethan, einen alten Uniformsrock (vom ismailow'schen Regiment) ohne
Epauletten; die blasse Farbe seines Gesichts, die an Entzündung leidenden
Augen zeigten deutlich, daß er viel arbeitete, in Alles eindringen. Alles
selbst hören, selbst lesen wollte. Als er in sein Cabinet zurückgekehrt war,
öffnete er noch einmal die Thüre, und die letzten Worte, die ich von ihm
hörte, waren: „Dich rette ich gern." — Nachdem Lewaschow sein Protokoll
beendet hatte, überreichte er mir das Papier zum Durchlesen, damit ich mit
meiner Unterschrift die Wahrheit meiner Aussagen bezeugen sollte. Ich bat
ihn, mich von solcher Unterschrift zu entbinden und gab ihm zu verstehen,
daß ich die ganze Wahrheit nicht enthüllen könne. „In diesem Falle muß
ich Sie von neuem verhören." Mir blieb nichts übrig, als das Protokoll
doch zu unterzeichnen; meine anfängliche Zögerung wurde dem Kaiser aber
berichtet und soll von ihm als Nichtachtung seines gnädigen Versprechens
aufgefaßt worden sein. Mein Urtheil wurde, wie in der Folge näher aus¬
geführt werden soll, nicht nur nicht gemildert, sondern verschärft.

Diese „ersten Verhöre" im Palais haben alle in die Verschwörung ver¬
wickelten oder der Theilnahme an derselben bezichtigten Personen durchzu¬
machen gehabt. Der Kaiser sah und sprach Jeden von ihnen. Die Generaladju¬
tanten Lewaschow, Benkendorff*) und Toll schrieben nach der Reihe die
Aussagen nieder, am häufigsten Lewaschow, der sich nicht selten einer höchst
eigenthümlichen Methode der Untersuchungsführung bediente. So zum Beispiel
sagte er zu Bestushew-Rjumin, der nicht gleich auf alle seine Fragen ant¬
wortete: „Vous LÄVös, u'g, pu'g. airs un mot et vous aves
veeu". Dem Obrist M. F. Mittkow sagte er: ,Mis it v a ach movens
xour vous taire avousr", sodaß dieser gezwungen war, ihm zu bemerken,
daß wir im 19. Jahrhunderte lebten und daß die Tortur durch ein Gesetz
des Kaisers Alexander aufgehoben worden sei. — Diese ersten Verhöre im
Cabinet des Kaisers konnten unmöglich in alle Einzelheiten der Verschwö-



-) Später Chef der politischen Polizei und als solcher einer der einflußreichsten Rathgeber
deS Kaisers Nikolaus.
Grenzboten IV. 1SK8. 18
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. II Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_287271/153>, abgerufen am 05.02.2025.