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Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. I Band.

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Anderen ersehnte -- vor 34- Jahren, als alles hätte gethan werden sollen
und alles in Frieden hätte gethan werden können. In England Hat unsere
Sache zwei große Feinde: die commercielle Eifersucht auf ein einiges Deutsch¬
land und die Apathie, welche das Kind des Egoismus und die Mutter der
Unwissenheit ist." -- In der letzten Bemerkung liegt unstreitig viel Wahres;
indessen hatte das kühle Verhalten Englands zu der deutschen Bewegung
doch auch andere Gründe. Die politisch reifen britischen Staatsmänner glaubten
eben nicht, daß durch eine Revolution, die sich über ihre Ziele und Mittel
so wenig klar war, praktisch dauernde Erfolge sich erreichen ließen und Bunsen's
Bemühungen, ihre Zweifel zu widerlegen, blieben wesentlich deshalb ohne
Resultat, weil man dem sanguinem Flug seiner Gedanken nicht zu folgen
vermochte; ein charakteristisches Beispiel hierfür ist sein Brief an Mr. Reeve,
den Herausgeber der Edinburgh Review, durch den er denselben zu über¬
zeugen sucht, daß die deutsche Bewegung die Fortsetzung der Freiheitskriege
sei -- "äeseeuäit coelo" wiederholt er unablässig. -- Bunsen sollte sich in
diesen Hoffnungen schmerzlich getäuscht sehen. Zunächst in Frankfurt, wo er
vergeblich auf Mäßigung und Verständigung mit Berlin drang, indem er
vor Allem nach dem Programm von Kremsier den Ausschluß der Oestreicher
aus dem Parlament verlangte, weit empfindlicher aber später in Berlin
selbst, wohin er 1848 berufen war. Es wird über diese Episode ein inter¬
essanter Auszug einer von ihm verfaßten Denkschrift mitgetheilt. Bunsen,
der mit Gagern im Sommer 1848 befreundet geworden war, sollte als Ver¬
mittler zwischen Frankfurt und Berlin dienen und es gelang ihm, den König
zu Concessionen zu bringen, auf die er bisher vergeblich gedrungen; er eilte
nach Frankfurt und einigte sich dort rasch mit Gagern; das Ergebniß dieser
Verhandlung legte er nach seiner Rückkehr dem König in einem Berichte vor,
dessen fünf Hauptpunkte waren: das erbliche Princip für das Reichsober¬
haupt, die sofortige Revision der Verfassung, die Nothwendigkeit, daß
Preußen sich bereit erklären solle, mit Ausschluß Oestreichs die Führung zu
übernehmen, daß es aber gleichzeitig jedem anderen Gliede des früheren
Bundes freistehen sollte, beizutreten oder nicht, endlich daß der frankfurter
Hebel nicht zerbrochen werden dürfe. "Der König antwortete mir augenblick¬
lich und in Eile, daß er von alledem nichts thun wolle, daß der vorge¬
schlagene Weg ein Unrecht gegen Oestreich sei; er wolle mit einer so abscheu¬
lichen Politik nichts zu thun haben, sondern sie dem frankfurter Ministerium
überlassen; wenn die persönliche Frage (d. h. wegen Annahme der Kaiser¬
krone) an ihn gestellt werden sollte, werde er als ein Hohenzollern antworten
und als ein ehrlicher Mann leben und sterben. Bald erhielt ich von den
Ministern den Commentar zu diesen Aeußerungen; sobald ich Berlin verlassen,
war der König wieder umgeschlagen: er führte eine geheime Correspondenz


Anderen ersehnte — vor 34- Jahren, als alles hätte gethan werden sollen
und alles in Frieden hätte gethan werden können. In England Hat unsere
Sache zwei große Feinde: die commercielle Eifersucht auf ein einiges Deutsch¬
land und die Apathie, welche das Kind des Egoismus und die Mutter der
Unwissenheit ist." — In der letzten Bemerkung liegt unstreitig viel Wahres;
indessen hatte das kühle Verhalten Englands zu der deutschen Bewegung
doch auch andere Gründe. Die politisch reifen britischen Staatsmänner glaubten
eben nicht, daß durch eine Revolution, die sich über ihre Ziele und Mittel
so wenig klar war, praktisch dauernde Erfolge sich erreichen ließen und Bunsen's
Bemühungen, ihre Zweifel zu widerlegen, blieben wesentlich deshalb ohne
Resultat, weil man dem sanguinem Flug seiner Gedanken nicht zu folgen
vermochte; ein charakteristisches Beispiel hierfür ist sein Brief an Mr. Reeve,
den Herausgeber der Edinburgh Review, durch den er denselben zu über¬
zeugen sucht, daß die deutsche Bewegung die Fortsetzung der Freiheitskriege
sei — „äeseeuäit coelo" wiederholt er unablässig. — Bunsen sollte sich in
diesen Hoffnungen schmerzlich getäuscht sehen. Zunächst in Frankfurt, wo er
vergeblich auf Mäßigung und Verständigung mit Berlin drang, indem er
vor Allem nach dem Programm von Kremsier den Ausschluß der Oestreicher
aus dem Parlament verlangte, weit empfindlicher aber später in Berlin
selbst, wohin er 1848 berufen war. Es wird über diese Episode ein inter¬
essanter Auszug einer von ihm verfaßten Denkschrift mitgetheilt. Bunsen,
der mit Gagern im Sommer 1848 befreundet geworden war, sollte als Ver¬
mittler zwischen Frankfurt und Berlin dienen und es gelang ihm, den König
zu Concessionen zu bringen, auf die er bisher vergeblich gedrungen; er eilte
nach Frankfurt und einigte sich dort rasch mit Gagern; das Ergebniß dieser
Verhandlung legte er nach seiner Rückkehr dem König in einem Berichte vor,
dessen fünf Hauptpunkte waren: das erbliche Princip für das Reichsober¬
haupt, die sofortige Revision der Verfassung, die Nothwendigkeit, daß
Preußen sich bereit erklären solle, mit Ausschluß Oestreichs die Führung zu
übernehmen, daß es aber gleichzeitig jedem anderen Gliede des früheren
Bundes freistehen sollte, beizutreten oder nicht, endlich daß der frankfurter
Hebel nicht zerbrochen werden dürfe. „Der König antwortete mir augenblick¬
lich und in Eile, daß er von alledem nichts thun wolle, daß der vorge¬
schlagene Weg ein Unrecht gegen Oestreich sei; er wolle mit einer so abscheu¬
lichen Politik nichts zu thun haben, sondern sie dem frankfurter Ministerium
überlassen; wenn die persönliche Frage (d. h. wegen Annahme der Kaiser¬
krone) an ihn gestellt werden sollte, werde er als ein Hohenzollern antworten
und als ein ehrlicher Mann leben und sterben. Bald erhielt ich von den
Ministern den Commentar zu diesen Aeußerungen; sobald ich Berlin verlassen,
war der König wieder umgeschlagen: er führte eine geheime Correspondenz


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[0498] Anderen ersehnte — vor 34- Jahren, als alles hätte gethan werden sollen und alles in Frieden hätte gethan werden können. In England Hat unsere Sache zwei große Feinde: die commercielle Eifersucht auf ein einiges Deutsch¬ land und die Apathie, welche das Kind des Egoismus und die Mutter der Unwissenheit ist." — In der letzten Bemerkung liegt unstreitig viel Wahres; indessen hatte das kühle Verhalten Englands zu der deutschen Bewegung doch auch andere Gründe. Die politisch reifen britischen Staatsmänner glaubten eben nicht, daß durch eine Revolution, die sich über ihre Ziele und Mittel so wenig klar war, praktisch dauernde Erfolge sich erreichen ließen und Bunsen's Bemühungen, ihre Zweifel zu widerlegen, blieben wesentlich deshalb ohne Resultat, weil man dem sanguinem Flug seiner Gedanken nicht zu folgen vermochte; ein charakteristisches Beispiel hierfür ist sein Brief an Mr. Reeve, den Herausgeber der Edinburgh Review, durch den er denselben zu über¬ zeugen sucht, daß die deutsche Bewegung die Fortsetzung der Freiheitskriege sei — „äeseeuäit coelo" wiederholt er unablässig. — Bunsen sollte sich in diesen Hoffnungen schmerzlich getäuscht sehen. Zunächst in Frankfurt, wo er vergeblich auf Mäßigung und Verständigung mit Berlin drang, indem er vor Allem nach dem Programm von Kremsier den Ausschluß der Oestreicher aus dem Parlament verlangte, weit empfindlicher aber später in Berlin selbst, wohin er 1848 berufen war. Es wird über diese Episode ein inter¬ essanter Auszug einer von ihm verfaßten Denkschrift mitgetheilt. Bunsen, der mit Gagern im Sommer 1848 befreundet geworden war, sollte als Ver¬ mittler zwischen Frankfurt und Berlin dienen und es gelang ihm, den König zu Concessionen zu bringen, auf die er bisher vergeblich gedrungen; er eilte nach Frankfurt und einigte sich dort rasch mit Gagern; das Ergebniß dieser Verhandlung legte er nach seiner Rückkehr dem König in einem Berichte vor, dessen fünf Hauptpunkte waren: das erbliche Princip für das Reichsober¬ haupt, die sofortige Revision der Verfassung, die Nothwendigkeit, daß Preußen sich bereit erklären solle, mit Ausschluß Oestreichs die Führung zu übernehmen, daß es aber gleichzeitig jedem anderen Gliede des früheren Bundes freistehen sollte, beizutreten oder nicht, endlich daß der frankfurter Hebel nicht zerbrochen werden dürfe. „Der König antwortete mir augenblick¬ lich und in Eile, daß er von alledem nichts thun wolle, daß der vorge¬ schlagene Weg ein Unrecht gegen Oestreich sei; er wolle mit einer so abscheu¬ lichen Politik nichts zu thun haben, sondern sie dem frankfurter Ministerium überlassen; wenn die persönliche Frage (d. h. wegen Annahme der Kaiser¬ krone) an ihn gestellt werden sollte, werde er als ein Hohenzollern antworten und als ein ehrlicher Mann leben und sterben. Bald erhielt ich von den Ministern den Commentar zu diesen Aeußerungen; sobald ich Berlin verlassen, war der König wieder umgeschlagen: er führte eine geheime Correspondenz

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. I Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_286711/498>, abgerufen am 04.07.2024.