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Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. I Band.

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wast im Wahlbezirk Posni-Sander vorgefallen, daß zwei deutsche/ adlige,
aber katholische Gutsbesitzer durch ihre Stimmen den Ausschlag für den pol¬
nischen Abgeordneten gaben -- so weit geht hier die Begriffsverwechslung
von Polenthum und Katholicismus.

Unter den Deutschen aller älteren Provinzen Preußens, also nicht blos
in den einstmals polnischen, ist denn auch, soweit sie politisch zurechenbar
sind, nur eine Stimme in der Beziehung, daß es nämlich für das preußische
Gebiet keine polnische Frage giebt, daß vielmehr, wenn wirklich das Con-
greßkönigreich mit oder ohne Lithauen sich von Rußland unabhängig zu
machen vermag, die Lostrennung irgend welcher jetzt preußischen Gebiete
nimmermehr in Betracht gezogen werden dürfe. In der Provinz Posen
gehen die Deutschen vielfältig noch einen Schritt weiter. Es ist unter ihnen
Niemand, der in dem verzweifelten Ringen der Polen mit den Russen
nicht mit ganzem Herzen auf der Seite der ersteren stände; denn nirgends,
soweit man einen Don Carlos und einen Egmont in der Ursprache zu lesen
vermag, wird bei allem Nationalhader die Stimme der Menschlichkeit über¬
hört werden. Man erkennt dabei zugleich klarer als irgendwo weiter im
Westen, daß die Polen aus eigener Kraft sich ihrer Bedränger nimmer er¬
wehren werden, daß nur bewaffneter Beistand von außen sie zu erlösen ver¬
mag, endlich aber, daß dieser Beistand ihnen nur von Seiten unseres Vater¬
landes kommen könnte. Und das wünscht Niemand. --

Wenn wir die Frage über die preußische Herrschaft in Posen und West¬
preußen als unwiderruflich entschieden ansehen, so bestimmt uns dazu nicht
blos die Geschichte, die völkerrechtlichen Verträge, die geographische Lage der
beiden Provinzen, welche als unentbehrliche Bindeglieder zwischen mehreren
andern dienen, nicht blos die bisherigen Verdienste der Negierung um die
Förderung der Cultur und Wohlfahrt des Volkes und die bereits vorgerückte
Verschmelzung dieser Glieder mit dem ganzen Staatskörper, sondern auch die
Unmöglichkeit einer friedlichen und irgend befriedigenden Auseinandersetzung
und Scheidung der beiden Stämme in.den betreffenden Grenzgebieten. Dem
Professor Kinkel ist gewiß die "Sprachkarte des preußischen Staats" (im
Auftrage des statistischen Bureaus bearbeitet von Richard, Boeckh Berlin bei
Dietrich Reimer) unbekannt, und sie ist leider noch wenig genug bekannt.
Ein einziger Blick auf sie lehrt deutlich die Unmöglichkeit, zwischen den bei¬
den Volksstämmen eine politische Scheidelinie zu ziehen. Es würde uns zu weit
und doch schließlich nicht zum Ziele führen, wollten wir hier durch Beschreibung
eine irgend genauere Vorstellung von dem Bilde hervorrufen, welches die
Karte bietet. In den allgemeinsten Umrissen gezeichnet, ergibt sich aus dem
Anblick derselben zuvörderst, daß die Deutschen der Provinz Posen die Polen
in einem weiten Halbkreise von Süden, Westen und Norden umfassen und


wast im Wahlbezirk Posni-Sander vorgefallen, daß zwei deutsche/ adlige,
aber katholische Gutsbesitzer durch ihre Stimmen den Ausschlag für den pol¬
nischen Abgeordneten gaben — so weit geht hier die Begriffsverwechslung
von Polenthum und Katholicismus.

Unter den Deutschen aller älteren Provinzen Preußens, also nicht blos
in den einstmals polnischen, ist denn auch, soweit sie politisch zurechenbar
sind, nur eine Stimme in der Beziehung, daß es nämlich für das preußische
Gebiet keine polnische Frage giebt, daß vielmehr, wenn wirklich das Con-
greßkönigreich mit oder ohne Lithauen sich von Rußland unabhängig zu
machen vermag, die Lostrennung irgend welcher jetzt preußischen Gebiete
nimmermehr in Betracht gezogen werden dürfe. In der Provinz Posen
gehen die Deutschen vielfältig noch einen Schritt weiter. Es ist unter ihnen
Niemand, der in dem verzweifelten Ringen der Polen mit den Russen
nicht mit ganzem Herzen auf der Seite der ersteren stände; denn nirgends,
soweit man einen Don Carlos und einen Egmont in der Ursprache zu lesen
vermag, wird bei allem Nationalhader die Stimme der Menschlichkeit über¬
hört werden. Man erkennt dabei zugleich klarer als irgendwo weiter im
Westen, daß die Polen aus eigener Kraft sich ihrer Bedränger nimmer er¬
wehren werden, daß nur bewaffneter Beistand von außen sie zu erlösen ver¬
mag, endlich aber, daß dieser Beistand ihnen nur von Seiten unseres Vater¬
landes kommen könnte. Und das wünscht Niemand. —

Wenn wir die Frage über die preußische Herrschaft in Posen und West¬
preußen als unwiderruflich entschieden ansehen, so bestimmt uns dazu nicht
blos die Geschichte, die völkerrechtlichen Verträge, die geographische Lage der
beiden Provinzen, welche als unentbehrliche Bindeglieder zwischen mehreren
andern dienen, nicht blos die bisherigen Verdienste der Negierung um die
Förderung der Cultur und Wohlfahrt des Volkes und die bereits vorgerückte
Verschmelzung dieser Glieder mit dem ganzen Staatskörper, sondern auch die
Unmöglichkeit einer friedlichen und irgend befriedigenden Auseinandersetzung
und Scheidung der beiden Stämme in.den betreffenden Grenzgebieten. Dem
Professor Kinkel ist gewiß die „Sprachkarte des preußischen Staats" (im
Auftrage des statistischen Bureaus bearbeitet von Richard, Boeckh Berlin bei
Dietrich Reimer) unbekannt, und sie ist leider noch wenig genug bekannt.
Ein einziger Blick auf sie lehrt deutlich die Unmöglichkeit, zwischen den bei¬
den Volksstämmen eine politische Scheidelinie zu ziehen. Es würde uns zu weit
und doch schließlich nicht zum Ziele führen, wollten wir hier durch Beschreibung
eine irgend genauere Vorstellung von dem Bilde hervorrufen, welches die
Karte bietet. In den allgemeinsten Umrissen gezeichnet, ergibt sich aus dem
Anblick derselben zuvörderst, daß die Deutschen der Provinz Posen die Polen
in einem weiten Halbkreise von Süden, Westen und Norden umfassen und


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. I Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_286711/462>, abgerufen am 04.07.2024.