Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. I Band.Cialdini gewesen zu sein scheint, der sich doch keinem Oberbefehl unterworfen Italien hat für die Sünden seiner Kriegführung schwer büßen müssen. Cialdini gewesen zu sein scheint, der sich doch keinem Oberbefehl unterworfen Italien hat für die Sünden seiner Kriegführung schwer büßen müssen. <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0459" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/287171"/> <p xml:id="ID_1176" prev="#ID_1175"> Cialdini gewesen zu sein scheint, der sich doch keinem Oberbefehl unterworfen<lb/> hätte. Deswegen sendet Lamarmora dem Commandanten des 4. Armeekorps<lb/> auch keine Befehle, sondern er „bittet ihn inständig", diese oder jene Be¬<lb/> wegung zu machen, und Cialdini erfüllt diese Bitten, oder auch nicht. Am<lb/> 26. Juni, zwei Tage nach Custozza. bat Lamarmora Cialdini dringend, den<lb/> Po nicht zu verlassen, sondern die Demonstrationen zu dessen Überschreitung<lb/> fortzusetzen. Als er dann erfährt, daß Cialdini bereits auf dem Rückweg<lb/> gegen Modena sich befindet, wird es ihm doch zu bunt, er ist „mehr denn<lb/> je von der Nothwendigkeit durchdrungen, daß ein Einziger die Kriegsopera¬<lb/> tionen leite", er schreibt an Cialdini, vor Allem müsse die Vielregiererei auf¬<lb/> hören und bietet ihm selbst den Oberbefehl über alle Streitkräfte zu Wasser<lb/> und zu Lande an. Wirklich reichte Lamarmora seine Entlassung als Chef<lb/> des Generalstabs ein und war nur auf dringende Bitten Ricasoli's zu be¬<lb/> legen, wenigstens provisorisch auf seinem Platze zu bleiben. Denn Cialdini<lb/> hatte abgelehnt, „weil Lamarmora, Durando. Dell« Rocca doch nicht unter<lb/> ihm stehen könnten" (!), und erst später verstand er sich dazu, den Oberbefehl<lb/> von dem Augenblick an zu übernehmen, da die Vereinigung beider Armeen<lb/> vollzogen wäre. Auch in Betreff der Flottenoperationsn bestand, wie aus<lb/> den von Lamarmora mitgetheilten Schriftstücken hervorgeht, kein eigentlicher<lb/> Plan, noch weniger der Plan einer combinirten Action von Flotte und Heer,<lb/> und die Telegramme, welche in der zweiten Woche des Juli zwischen Lamar¬<lb/> mora, Persano und dem Marineminister Depretis gewechselt wurden, gehören<lb/> Wohl zum naivsten, was die Kriegsgeschichte aufzuweisen hat. Unter solchen<lb/> Umständen war es freilich ein Glück für Italien, daß die Diplomatie bereits<lb/> die Resultate gesichert hatte, „welche der Krieg blos ratificiren sollte."</p><lb/> <p xml:id="ID_1177" next="#ID_1178"> Italien hat für die Sünden seiner Kriegführung schwer büßen müssen.<lb/> ^ hat zwar das Ziel des Kriegs erreicht, aber um die Früchte, welche es<lb/> wie Recht davon erwarten konnte, ist es größtentheils betrogen. Die super-<lb/> ^ugen Politiker, welche eine energische Kriegführung im großen Stil für<lb/> überflüssig hielten oder gar für bedenklich, um Preußen nicht übergewaltig<lb/> werden zu lassen, sahen über den eingebildeten Besorgnissen, die ihnen ein<lb/> preußisches Kaiserreich einflößte, nicht die wirklichen empfindlichen Nachtheile,<lb/> welche sie ihrem Lande zufügten. Welche Rückwirkung hätte es auf die inneren<lb/> Zustände Italiens haben müssen, wenn die Armee den Marsch ausgeführt<lb/> Härte, welchen der preußische Kriegsplan von ihr verlangte, wenn sie wenig¬<lb/> stens nur den Willen und den Muth zu einer kraftvollen Initiative gezeigt<lb/> hätte! Wer im Herbst 1866 nach dem Friedensschluß jenseits der Alpen war.<lb/> ^ fand wohl in den venetianischen Städten überall Freude und Jubel über<lb/> Befreiung, und den italienischen Offizieren und Soldaten hätten keine<lb/> äußeren Ovationen dargebracht werden können, wenn sie als Sieger ihren</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0459]
Cialdini gewesen zu sein scheint, der sich doch keinem Oberbefehl unterworfen
hätte. Deswegen sendet Lamarmora dem Commandanten des 4. Armeekorps
auch keine Befehle, sondern er „bittet ihn inständig", diese oder jene Be¬
wegung zu machen, und Cialdini erfüllt diese Bitten, oder auch nicht. Am
26. Juni, zwei Tage nach Custozza. bat Lamarmora Cialdini dringend, den
Po nicht zu verlassen, sondern die Demonstrationen zu dessen Überschreitung
fortzusetzen. Als er dann erfährt, daß Cialdini bereits auf dem Rückweg
gegen Modena sich befindet, wird es ihm doch zu bunt, er ist „mehr denn
je von der Nothwendigkeit durchdrungen, daß ein Einziger die Kriegsopera¬
tionen leite", er schreibt an Cialdini, vor Allem müsse die Vielregiererei auf¬
hören und bietet ihm selbst den Oberbefehl über alle Streitkräfte zu Wasser
und zu Lande an. Wirklich reichte Lamarmora seine Entlassung als Chef
des Generalstabs ein und war nur auf dringende Bitten Ricasoli's zu be¬
legen, wenigstens provisorisch auf seinem Platze zu bleiben. Denn Cialdini
hatte abgelehnt, „weil Lamarmora, Durando. Dell« Rocca doch nicht unter
ihm stehen könnten" (!), und erst später verstand er sich dazu, den Oberbefehl
von dem Augenblick an zu übernehmen, da die Vereinigung beider Armeen
vollzogen wäre. Auch in Betreff der Flottenoperationsn bestand, wie aus
den von Lamarmora mitgetheilten Schriftstücken hervorgeht, kein eigentlicher
Plan, noch weniger der Plan einer combinirten Action von Flotte und Heer,
und die Telegramme, welche in der zweiten Woche des Juli zwischen Lamar¬
mora, Persano und dem Marineminister Depretis gewechselt wurden, gehören
Wohl zum naivsten, was die Kriegsgeschichte aufzuweisen hat. Unter solchen
Umständen war es freilich ein Glück für Italien, daß die Diplomatie bereits
die Resultate gesichert hatte, „welche der Krieg blos ratificiren sollte."
Italien hat für die Sünden seiner Kriegführung schwer büßen müssen.
^ hat zwar das Ziel des Kriegs erreicht, aber um die Früchte, welche es
wie Recht davon erwarten konnte, ist es größtentheils betrogen. Die super-
^ugen Politiker, welche eine energische Kriegführung im großen Stil für
überflüssig hielten oder gar für bedenklich, um Preußen nicht übergewaltig
werden zu lassen, sahen über den eingebildeten Besorgnissen, die ihnen ein
preußisches Kaiserreich einflößte, nicht die wirklichen empfindlichen Nachtheile,
welche sie ihrem Lande zufügten. Welche Rückwirkung hätte es auf die inneren
Zustände Italiens haben müssen, wenn die Armee den Marsch ausgeführt
Härte, welchen der preußische Kriegsplan von ihr verlangte, wenn sie wenig¬
stens nur den Willen und den Muth zu einer kraftvollen Initiative gezeigt
hätte! Wer im Herbst 1866 nach dem Friedensschluß jenseits der Alpen war.
^ fand wohl in den venetianischen Städten überall Freude und Jubel über
Befreiung, und den italienischen Offizieren und Soldaten hätten keine
äußeren Ovationen dargebracht werden können, wenn sie als Sieger ihren
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