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Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. I Band.

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"Mein General, seit drei Wochen würden die Befehle des Königs aus¬
geführt sein, wenn er sich nicht drein gemischt hätte. Die Durchreise des
Königs fiel mitten in meine Thätigkeit und hat mir solche Stöcke zwischen
die Räder geworfen, daß Nichts mehr vorwärts geht. Ich machte was aus
den Tarentinern und setzte acht Tage lang bei ihnen Alles durch, ja man
kam meinen Forderungen zuvor. Kaum aber war der König erschienen, so
war von Nichts mehr die Rede, als ihm die Hand zu küssen, und die sie ge¬
küßt hatten, wollten sie nochmals küssen; da war weder Maire, noch Adjunct,
noch irgend ein Arbeiter in Stadt, Hafen oder Arsenal, den ich vom Vor-
Zimmer oder der Treppe der königlichen Wohnung Härte loseisen können.
Der beste Gebrauch des Scepters wäre bei dieser Gelegenheit gewesen, allen
diesen Handkußlüsternen Eins auf die Nase zu geben. Allein nichts der Art!
Mich ausgenommen, hatte alle Welt an dieser Albernheit Vergnügen!"--

In einem anderen Briefe sagt er kurz darauf (Croton, 23. Juni 1806):
"---Wunderbar! Wohin man sich begibt in Calabrien oder anderen
Orten macht alle Welt Kratzfüße, und ein Hof ist da. Es scheint ein Natur¬
trieb zu sein. Wir werden als Lakaien geboren. Die Menschen sind feige,
feil und unverschämt, sie verabscheuen Gerechtigkeit und Gleichheit. Jeder
will nicht gerade der Herr, aber der begünstigte Sclave sein. Wenn es nur
drei Menschen in der Welt gäbe, sie würden sich organisiren; der Eine
Würde dem Anderen den Hof machen, ihn Gnädiger Herr nennen, und diese
Beiden vereint wieder den Dritten zwingen, für sie zu arbeiten. Das ist
der Punkt."

Dann schildert er gelegentlich voll Entrüstung die grausame Art der
Kriegführung in Italien. So schreibt er am 21. August 1806:

"Da Sie sagen, daß wir nichts thun, hören Sie denn: Wir haben bei
San Giovanni einen Kapuziner gehenkt nebst etwa zwei Dutzend anderer
armer Teufel, die mehr nach Kohlenbrennern als sonst was aussahen. Der
Kapuziner, ein Mann von Geist, sprach sehr vernünftig mit Reynier. Reynier
sagte zu ihm: "Ihr habt gegen uns gepredigt." Er vertheidigte sich, wie
Wir schien, mit schlagenden Gründen. Da er uns hatte abziehen gesehen, als
sollten wir nicht wiederkommen, hat er für unsere Nachfolger gepredigt.
Konnte er es anders machen? -- Aber wenn man ihnen zuhörte, würde man
Niemanden hängen. Hier (in Scigliano) haben wir blos zwei Leute, einen
Bater und seinen Sohn aushängen können, die man in einem Graben ein¬
geschlafen fand. Der gnädige Herr wird entschuldigen, es fand sich nicht
Wehr vor. Keine Seele in der Stadt; alles rettet sich und nur die Katzen
bleiben in den Häusern."

Courier selbst hatte auf seinen Streifzügen mehrmals bei denen, welche


Grenzboten III. 1S68. 52

„Mein General, seit drei Wochen würden die Befehle des Königs aus¬
geführt sein, wenn er sich nicht drein gemischt hätte. Die Durchreise des
Königs fiel mitten in meine Thätigkeit und hat mir solche Stöcke zwischen
die Räder geworfen, daß Nichts mehr vorwärts geht. Ich machte was aus
den Tarentinern und setzte acht Tage lang bei ihnen Alles durch, ja man
kam meinen Forderungen zuvor. Kaum aber war der König erschienen, so
war von Nichts mehr die Rede, als ihm die Hand zu küssen, und die sie ge¬
küßt hatten, wollten sie nochmals küssen; da war weder Maire, noch Adjunct,
noch irgend ein Arbeiter in Stadt, Hafen oder Arsenal, den ich vom Vor-
Zimmer oder der Treppe der königlichen Wohnung Härte loseisen können.
Der beste Gebrauch des Scepters wäre bei dieser Gelegenheit gewesen, allen
diesen Handkußlüsternen Eins auf die Nase zu geben. Allein nichts der Art!
Mich ausgenommen, hatte alle Welt an dieser Albernheit Vergnügen!"--

In einem anderen Briefe sagt er kurz darauf (Croton, 23. Juni 1806):
„---Wunderbar! Wohin man sich begibt in Calabrien oder anderen
Orten macht alle Welt Kratzfüße, und ein Hof ist da. Es scheint ein Natur¬
trieb zu sein. Wir werden als Lakaien geboren. Die Menschen sind feige,
feil und unverschämt, sie verabscheuen Gerechtigkeit und Gleichheit. Jeder
will nicht gerade der Herr, aber der begünstigte Sclave sein. Wenn es nur
drei Menschen in der Welt gäbe, sie würden sich organisiren; der Eine
Würde dem Anderen den Hof machen, ihn Gnädiger Herr nennen, und diese
Beiden vereint wieder den Dritten zwingen, für sie zu arbeiten. Das ist
der Punkt."

Dann schildert er gelegentlich voll Entrüstung die grausame Art der
Kriegführung in Italien. So schreibt er am 21. August 1806:

„Da Sie sagen, daß wir nichts thun, hören Sie denn: Wir haben bei
San Giovanni einen Kapuziner gehenkt nebst etwa zwei Dutzend anderer
armer Teufel, die mehr nach Kohlenbrennern als sonst was aussahen. Der
Kapuziner, ein Mann von Geist, sprach sehr vernünftig mit Reynier. Reynier
sagte zu ihm: „Ihr habt gegen uns gepredigt." Er vertheidigte sich, wie
Wir schien, mit schlagenden Gründen. Da er uns hatte abziehen gesehen, als
sollten wir nicht wiederkommen, hat er für unsere Nachfolger gepredigt.
Konnte er es anders machen? — Aber wenn man ihnen zuhörte, würde man
Niemanden hängen. Hier (in Scigliano) haben wir blos zwei Leute, einen
Bater und seinen Sohn aushängen können, die man in einem Graben ein¬
geschlafen fand. Der gnädige Herr wird entschuldigen, es fand sich nicht
Wehr vor. Keine Seele in der Stadt; alles rettet sich und nur die Katzen
bleiben in den Häusern."

Courier selbst hatte auf seinen Streifzügen mehrmals bei denen, welche


Grenzboten III. 1S68. 52
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[0439] „Mein General, seit drei Wochen würden die Befehle des Königs aus¬ geführt sein, wenn er sich nicht drein gemischt hätte. Die Durchreise des Königs fiel mitten in meine Thätigkeit und hat mir solche Stöcke zwischen die Räder geworfen, daß Nichts mehr vorwärts geht. Ich machte was aus den Tarentinern und setzte acht Tage lang bei ihnen Alles durch, ja man kam meinen Forderungen zuvor. Kaum aber war der König erschienen, so war von Nichts mehr die Rede, als ihm die Hand zu küssen, und die sie ge¬ küßt hatten, wollten sie nochmals küssen; da war weder Maire, noch Adjunct, noch irgend ein Arbeiter in Stadt, Hafen oder Arsenal, den ich vom Vor- Zimmer oder der Treppe der königlichen Wohnung Härte loseisen können. Der beste Gebrauch des Scepters wäre bei dieser Gelegenheit gewesen, allen diesen Handkußlüsternen Eins auf die Nase zu geben. Allein nichts der Art! Mich ausgenommen, hatte alle Welt an dieser Albernheit Vergnügen!"-- In einem anderen Briefe sagt er kurz darauf (Croton, 23. Juni 1806): „---Wunderbar! Wohin man sich begibt in Calabrien oder anderen Orten macht alle Welt Kratzfüße, und ein Hof ist da. Es scheint ein Natur¬ trieb zu sein. Wir werden als Lakaien geboren. Die Menschen sind feige, feil und unverschämt, sie verabscheuen Gerechtigkeit und Gleichheit. Jeder will nicht gerade der Herr, aber der begünstigte Sclave sein. Wenn es nur drei Menschen in der Welt gäbe, sie würden sich organisiren; der Eine Würde dem Anderen den Hof machen, ihn Gnädiger Herr nennen, und diese Beiden vereint wieder den Dritten zwingen, für sie zu arbeiten. Das ist der Punkt." Dann schildert er gelegentlich voll Entrüstung die grausame Art der Kriegführung in Italien. So schreibt er am 21. August 1806: „Da Sie sagen, daß wir nichts thun, hören Sie denn: Wir haben bei San Giovanni einen Kapuziner gehenkt nebst etwa zwei Dutzend anderer armer Teufel, die mehr nach Kohlenbrennern als sonst was aussahen. Der Kapuziner, ein Mann von Geist, sprach sehr vernünftig mit Reynier. Reynier sagte zu ihm: „Ihr habt gegen uns gepredigt." Er vertheidigte sich, wie Wir schien, mit schlagenden Gründen. Da er uns hatte abziehen gesehen, als sollten wir nicht wiederkommen, hat er für unsere Nachfolger gepredigt. Konnte er es anders machen? — Aber wenn man ihnen zuhörte, würde man Niemanden hängen. Hier (in Scigliano) haben wir blos zwei Leute, einen Bater und seinen Sohn aushängen können, die man in einem Graben ein¬ geschlafen fand. Der gnädige Herr wird entschuldigen, es fand sich nicht Wehr vor. Keine Seele in der Stadt; alles rettet sich und nur die Katzen bleiben in den Häusern." Courier selbst hatte auf seinen Streifzügen mehrmals bei denen, welche Grenzboten III. 1S68. 52

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. I Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_286711/439>, abgerufen am 04.07.2024.