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Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. I Band.

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fremd gewesen sind. Ein schwarzer Schatten breitet sich so nicht blos über
den Ruf eines Staatsmanns, dessen Loyalität bisher fast sprichwörtlich ge¬
wesen war, der Schatten fällt auf das preußisch-italienische Bündniß selbst.

Und doch ist es heute an der Zeit, daran zu erinnern, daß die gewal¬
tige Bedeutung dieses Bündnisses wenig berührt wird durch die in der Aus¬
führung desselben zu Tag getretenen Schwächen. Die diplomatische Seite
desselben wiegt ungleich schwerer als die militärisches Und der Triumph der
Staatskunst selbst wäre nicht so vollständig, gesellte sich nicht dazu die Idea¬
lität der Zwecke, die durch dasselbe erreicht werden sollten. Niemals ist ein
Bündniß zwischen Regierungen abgeschlossen worden, das in solchem Grad
^die verständnißvolle Sympathie der Bevölkerungen für sich gehabt hätte. In
Deutschland ist die Ueberzeugung, daß Preußen eine nationale Politik ver¬
folge, erst vollends siegreich durchgebrochen, als man es dem jungen Na¬
tionalstaate die Hand reichen sah, der sich jenseits der Alpen auf den Trüm¬
mern seiner Theilsouveränetäten aufgebaut hatte und nun sich anschickte,
das Werk seiner Unabhängigkeit zu vollenden. Und was für die Italiener
das Bündniß bedeute, ist von diesen selbst allgemein anerkannt worden:
nicht blos der Erfolg der Waffengemeinschast vollendete die Unabhängigkeit
und Einheit des Staats, sondern das Bündniß selbst war eine Durchbrechung
der Fesseln, welche bisher Italien ausschließlich an die bevormundende
Schutzmacht gekettet hatten. Keinerlei nachträgliche Enthüllung über die
Kriegführung soll den beiden Völkern die Erinnerung an die Epoche trüben,
da sie den sittlich berechtigtsten aller Kriege, den um die nationale Existenz,
mit vereinten Kräften wider denselben Gegner geführt haben.

Die größte Thatsache der europäischen Politik, so hat Thiers auf der
französischen Rednerbühne das italienisch-preußische Bündniß genannt. Die
spätere Geschichte darf dieses Urtheil des Zeitgenossen ratificiren; inzwischen
mag die Gegenwart das geschichtliche Material sammeln und richtig stellen,
das die Enthüllungen eingeweihter Männer darbieten. Schon jetzt darf man
sagen, daß noch selten eine so geheime und complicirte diplomatische Action
nach so kurzer Zeit an das volle Tageslicht getreten ist. Obwohl noch man¬
ches nicht aufgehellt ist, was der Aufhellung bedarf, liegt doch schon eine
Geschichte der preußisch-italienischen Allianz von ihren Anfängen bis zur
kriegerischen Action vor, die in den Zusammenhang der Verhandlungen blicken
läßt und ohne die Grenzen der Discretion zu überschreiten, eine Fülle inte¬
ressanter Details gibt; ein italienischer Minister selbst hat sie.geschrieben.

Stefano Jacini, ein Staatsmann aus Cavours Schule, war Mitglied
des Ministeriums Lamarmora, das im September 1864 in Folge des Sep¬
tembervertrags (oder genauer, in Folge der turiner Unruhen, welche dieser
Vertrag veranlaßt hatte) gebildet worden war. Es war das Ministerium,


fremd gewesen sind. Ein schwarzer Schatten breitet sich so nicht blos über
den Ruf eines Staatsmanns, dessen Loyalität bisher fast sprichwörtlich ge¬
wesen war, der Schatten fällt auf das preußisch-italienische Bündniß selbst.

Und doch ist es heute an der Zeit, daran zu erinnern, daß die gewal¬
tige Bedeutung dieses Bündnisses wenig berührt wird durch die in der Aus¬
führung desselben zu Tag getretenen Schwächen. Die diplomatische Seite
desselben wiegt ungleich schwerer als die militärisches Und der Triumph der
Staatskunst selbst wäre nicht so vollständig, gesellte sich nicht dazu die Idea¬
lität der Zwecke, die durch dasselbe erreicht werden sollten. Niemals ist ein
Bündniß zwischen Regierungen abgeschlossen worden, das in solchem Grad
^die verständnißvolle Sympathie der Bevölkerungen für sich gehabt hätte. In
Deutschland ist die Ueberzeugung, daß Preußen eine nationale Politik ver¬
folge, erst vollends siegreich durchgebrochen, als man es dem jungen Na¬
tionalstaate die Hand reichen sah, der sich jenseits der Alpen auf den Trüm¬
mern seiner Theilsouveränetäten aufgebaut hatte und nun sich anschickte,
das Werk seiner Unabhängigkeit zu vollenden. Und was für die Italiener
das Bündniß bedeute, ist von diesen selbst allgemein anerkannt worden:
nicht blos der Erfolg der Waffengemeinschast vollendete die Unabhängigkeit
und Einheit des Staats, sondern das Bündniß selbst war eine Durchbrechung
der Fesseln, welche bisher Italien ausschließlich an die bevormundende
Schutzmacht gekettet hatten. Keinerlei nachträgliche Enthüllung über die
Kriegführung soll den beiden Völkern die Erinnerung an die Epoche trüben,
da sie den sittlich berechtigtsten aller Kriege, den um die nationale Existenz,
mit vereinten Kräften wider denselben Gegner geführt haben.

Die größte Thatsache der europäischen Politik, so hat Thiers auf der
französischen Rednerbühne das italienisch-preußische Bündniß genannt. Die
spätere Geschichte darf dieses Urtheil des Zeitgenossen ratificiren; inzwischen
mag die Gegenwart das geschichtliche Material sammeln und richtig stellen,
das die Enthüllungen eingeweihter Männer darbieten. Schon jetzt darf man
sagen, daß noch selten eine so geheime und complicirte diplomatische Action
nach so kurzer Zeit an das volle Tageslicht getreten ist. Obwohl noch man¬
ches nicht aufgehellt ist, was der Aufhellung bedarf, liegt doch schon eine
Geschichte der preußisch-italienischen Allianz von ihren Anfängen bis zur
kriegerischen Action vor, die in den Zusammenhang der Verhandlungen blicken
läßt und ohne die Grenzen der Discretion zu überschreiten, eine Fülle inte¬
ressanter Details gibt; ein italienischer Minister selbst hat sie.geschrieben.

Stefano Jacini, ein Staatsmann aus Cavours Schule, war Mitglied
des Ministeriums Lamarmora, das im September 1864 in Folge des Sep¬
tembervertrags (oder genauer, in Folge der turiner Unruhen, welche dieser
Vertrag veranlaßt hatte) gebildet worden war. Es war das Ministerium,


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[0390] fremd gewesen sind. Ein schwarzer Schatten breitet sich so nicht blos über den Ruf eines Staatsmanns, dessen Loyalität bisher fast sprichwörtlich ge¬ wesen war, der Schatten fällt auf das preußisch-italienische Bündniß selbst. Und doch ist es heute an der Zeit, daran zu erinnern, daß die gewal¬ tige Bedeutung dieses Bündnisses wenig berührt wird durch die in der Aus¬ führung desselben zu Tag getretenen Schwächen. Die diplomatische Seite desselben wiegt ungleich schwerer als die militärisches Und der Triumph der Staatskunst selbst wäre nicht so vollständig, gesellte sich nicht dazu die Idea¬ lität der Zwecke, die durch dasselbe erreicht werden sollten. Niemals ist ein Bündniß zwischen Regierungen abgeschlossen worden, das in solchem Grad ^die verständnißvolle Sympathie der Bevölkerungen für sich gehabt hätte. In Deutschland ist die Ueberzeugung, daß Preußen eine nationale Politik ver¬ folge, erst vollends siegreich durchgebrochen, als man es dem jungen Na¬ tionalstaate die Hand reichen sah, der sich jenseits der Alpen auf den Trüm¬ mern seiner Theilsouveränetäten aufgebaut hatte und nun sich anschickte, das Werk seiner Unabhängigkeit zu vollenden. Und was für die Italiener das Bündniß bedeute, ist von diesen selbst allgemein anerkannt worden: nicht blos der Erfolg der Waffengemeinschast vollendete die Unabhängigkeit und Einheit des Staats, sondern das Bündniß selbst war eine Durchbrechung der Fesseln, welche bisher Italien ausschließlich an die bevormundende Schutzmacht gekettet hatten. Keinerlei nachträgliche Enthüllung über die Kriegführung soll den beiden Völkern die Erinnerung an die Epoche trüben, da sie den sittlich berechtigtsten aller Kriege, den um die nationale Existenz, mit vereinten Kräften wider denselben Gegner geführt haben. Die größte Thatsache der europäischen Politik, so hat Thiers auf der französischen Rednerbühne das italienisch-preußische Bündniß genannt. Die spätere Geschichte darf dieses Urtheil des Zeitgenossen ratificiren; inzwischen mag die Gegenwart das geschichtliche Material sammeln und richtig stellen, das die Enthüllungen eingeweihter Männer darbieten. Schon jetzt darf man sagen, daß noch selten eine so geheime und complicirte diplomatische Action nach so kurzer Zeit an das volle Tageslicht getreten ist. Obwohl noch man¬ ches nicht aufgehellt ist, was der Aufhellung bedarf, liegt doch schon eine Geschichte der preußisch-italienischen Allianz von ihren Anfängen bis zur kriegerischen Action vor, die in den Zusammenhang der Verhandlungen blicken läßt und ohne die Grenzen der Discretion zu überschreiten, eine Fülle inte¬ ressanter Details gibt; ein italienischer Minister selbst hat sie.geschrieben. Stefano Jacini, ein Staatsmann aus Cavours Schule, war Mitglied des Ministeriums Lamarmora, das im September 1864 in Folge des Sep¬ tembervertrags (oder genauer, in Folge der turiner Unruhen, welche dieser Vertrag veranlaßt hatte) gebildet worden war. Es war das Ministerium,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. I Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_286711/390>, abgerufen am 04.07.2024.