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Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. I Band.

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gedeutet werden könnte, die Stellung seines Ministeriums zu den translei-
thanischen Collegen zu verschieben, und diese Stellung ist an und für sich schwierig
genug. Während die Erbitterung der Ultras gegen die Deakisten so hoch
gestiegen ist, daß eine Verschwörung gegen das Leben des großen ungarischen
Patrioten möglich war, macht diese "zahme" Regierungspartei selbst Miene,
mit einem neuen Anspruch an die westliche Reichshälfte hervorzutreten. ?esti
Naplo und andere Organe der Majorität glauben den autonomistischen Gelüsten
der südwestlichen Slaven nicht rascher die Spitze abbrechen zu können, als durch
Unterstützung der Agitation für den Anschluß Dalmatiens an Croatien und da¬
mit an die Stefanskrone. Auch abgesehen von der materiellen und moralischen
Einbuße, welche der westlichen Reichshälfte dadurch angesonnen würde, haben
die außer-ungarischen Oestreicher allen Grund, sich diesem magyarischen Ännexi-
onsplane zu widersetzen. So wenig sich die Deutsch-Oestreicher auch rühmen
können, in dem Kampfe gegen das andringende slavische Element glücklich ge¬
wesen zu sein -- es steht doch fest, daß eine Auseinandersetzung zwischen
ihnen und den Slaven immer noch aussichtsvoller ist, als wenn dieselbe den
Magyaren übertragen würde. Man braucht nur die wichtigeren der russischen
und czechischen Journale zur Hand zu nehmen, um sich von der maßlosen
Erbitterung eine Vorstellung zu machen, welche in allen slavischen Stämmen --
den polnischen allein ausgenommen -- gegen das Magyarenthum herrscht.
Die Ueberlegenheit deutscher Cultur anzuerkennen, dünkt dem slavischen Selbst¬
gefühl schon wegen des hohen Alters derselben lange nicht so demüthigend,
wie der Anspruch auf Unterordnung unter die Enkel Arpad's, da diese unter
den großen Culturvölkern des Welttheils bis jetzt nicht mitgezählt haben
und schon wegen ihrer numerischen Schwäche kaum jemals mitzählen werden.
So leidenschaftlich ist das Verlangen der östreichischen Slaven nach Brechung
des den Magyaren eingeräumten Vorrangs, daß die Czechen neuerdings den
Versuch gemacht haben sich mit den galizischen Polen zu verständigen, so ge¬
nau sie auch wissen, daß das Bündniß mit diesen den Verlust aller rus¬
sischen Sympathien für ihre Sache zur augenblicklichen Folge haben würde.
So gewiß sich auch voraussagen läßt, daß dieses Fufionsproject scheitern
wird (die Czechen haben sich an die einflußloseste der polnisch-galizischen Par¬
teien, die democratische gewandt) -- für die östreichische Negierung ist schon
die Drohung mit demselben eine Unbequemlichkeit. Der Zwiespalt zwischen
Polen und Ruthenen, dessen Beseitigung die Czechen zur selbstverständlichen
Bedingung ihrer Freundschaft machen, ist die hauptsächlichste Stütze der östrei¬
chischen Position an derrussischen Grenze, und jeder Ausgleich desselben geschieht
auf Unkosten des Kaiserstaats, weil er dem Panslavismus zu Gute kommt.

Inzwischen sind die Einzellandtage der östreichischen Kronländer zusam¬
mengetreten. In den deutschen Provinzen boten dieselben den neuernannten


gedeutet werden könnte, die Stellung seines Ministeriums zu den translei-
thanischen Collegen zu verschieben, und diese Stellung ist an und für sich schwierig
genug. Während die Erbitterung der Ultras gegen die Deakisten so hoch
gestiegen ist, daß eine Verschwörung gegen das Leben des großen ungarischen
Patrioten möglich war, macht diese „zahme" Regierungspartei selbst Miene,
mit einem neuen Anspruch an die westliche Reichshälfte hervorzutreten. ?esti
Naplo und andere Organe der Majorität glauben den autonomistischen Gelüsten
der südwestlichen Slaven nicht rascher die Spitze abbrechen zu können, als durch
Unterstützung der Agitation für den Anschluß Dalmatiens an Croatien und da¬
mit an die Stefanskrone. Auch abgesehen von der materiellen und moralischen
Einbuße, welche der westlichen Reichshälfte dadurch angesonnen würde, haben
die außer-ungarischen Oestreicher allen Grund, sich diesem magyarischen Ännexi-
onsplane zu widersetzen. So wenig sich die Deutsch-Oestreicher auch rühmen
können, in dem Kampfe gegen das andringende slavische Element glücklich ge¬
wesen zu sein — es steht doch fest, daß eine Auseinandersetzung zwischen
ihnen und den Slaven immer noch aussichtsvoller ist, als wenn dieselbe den
Magyaren übertragen würde. Man braucht nur die wichtigeren der russischen
und czechischen Journale zur Hand zu nehmen, um sich von der maßlosen
Erbitterung eine Vorstellung zu machen, welche in allen slavischen Stämmen —
den polnischen allein ausgenommen — gegen das Magyarenthum herrscht.
Die Ueberlegenheit deutscher Cultur anzuerkennen, dünkt dem slavischen Selbst¬
gefühl schon wegen des hohen Alters derselben lange nicht so demüthigend,
wie der Anspruch auf Unterordnung unter die Enkel Arpad's, da diese unter
den großen Culturvölkern des Welttheils bis jetzt nicht mitgezählt haben
und schon wegen ihrer numerischen Schwäche kaum jemals mitzählen werden.
So leidenschaftlich ist das Verlangen der östreichischen Slaven nach Brechung
des den Magyaren eingeräumten Vorrangs, daß die Czechen neuerdings den
Versuch gemacht haben sich mit den galizischen Polen zu verständigen, so ge¬
nau sie auch wissen, daß das Bündniß mit diesen den Verlust aller rus¬
sischen Sympathien für ihre Sache zur augenblicklichen Folge haben würde.
So gewiß sich auch voraussagen läßt, daß dieses Fufionsproject scheitern
wird (die Czechen haben sich an die einflußloseste der polnisch-galizischen Par¬
teien, die democratische gewandt) — für die östreichische Negierung ist schon
die Drohung mit demselben eine Unbequemlichkeit. Der Zwiespalt zwischen
Polen und Ruthenen, dessen Beseitigung die Czechen zur selbstverständlichen
Bedingung ihrer Freundschaft machen, ist die hauptsächlichste Stütze der östrei¬
chischen Position an derrussischen Grenze, und jeder Ausgleich desselben geschieht
auf Unkosten des Kaiserstaats, weil er dem Panslavismus zu Gute kommt.

Inzwischen sind die Einzellandtage der östreichischen Kronländer zusam¬
mengetreten. In den deutschen Provinzen boten dieselben den neuernannten


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[0376] gedeutet werden könnte, die Stellung seines Ministeriums zu den translei- thanischen Collegen zu verschieben, und diese Stellung ist an und für sich schwierig genug. Während die Erbitterung der Ultras gegen die Deakisten so hoch gestiegen ist, daß eine Verschwörung gegen das Leben des großen ungarischen Patrioten möglich war, macht diese „zahme" Regierungspartei selbst Miene, mit einem neuen Anspruch an die westliche Reichshälfte hervorzutreten. ?esti Naplo und andere Organe der Majorität glauben den autonomistischen Gelüsten der südwestlichen Slaven nicht rascher die Spitze abbrechen zu können, als durch Unterstützung der Agitation für den Anschluß Dalmatiens an Croatien und da¬ mit an die Stefanskrone. Auch abgesehen von der materiellen und moralischen Einbuße, welche der westlichen Reichshälfte dadurch angesonnen würde, haben die außer-ungarischen Oestreicher allen Grund, sich diesem magyarischen Ännexi- onsplane zu widersetzen. So wenig sich die Deutsch-Oestreicher auch rühmen können, in dem Kampfe gegen das andringende slavische Element glücklich ge¬ wesen zu sein — es steht doch fest, daß eine Auseinandersetzung zwischen ihnen und den Slaven immer noch aussichtsvoller ist, als wenn dieselbe den Magyaren übertragen würde. Man braucht nur die wichtigeren der russischen und czechischen Journale zur Hand zu nehmen, um sich von der maßlosen Erbitterung eine Vorstellung zu machen, welche in allen slavischen Stämmen — den polnischen allein ausgenommen — gegen das Magyarenthum herrscht. Die Ueberlegenheit deutscher Cultur anzuerkennen, dünkt dem slavischen Selbst¬ gefühl schon wegen des hohen Alters derselben lange nicht so demüthigend, wie der Anspruch auf Unterordnung unter die Enkel Arpad's, da diese unter den großen Culturvölkern des Welttheils bis jetzt nicht mitgezählt haben und schon wegen ihrer numerischen Schwäche kaum jemals mitzählen werden. So leidenschaftlich ist das Verlangen der östreichischen Slaven nach Brechung des den Magyaren eingeräumten Vorrangs, daß die Czechen neuerdings den Versuch gemacht haben sich mit den galizischen Polen zu verständigen, so ge¬ nau sie auch wissen, daß das Bündniß mit diesen den Verlust aller rus¬ sischen Sympathien für ihre Sache zur augenblicklichen Folge haben würde. So gewiß sich auch voraussagen läßt, daß dieses Fufionsproject scheitern wird (die Czechen haben sich an die einflußloseste der polnisch-galizischen Par¬ teien, die democratische gewandt) — für die östreichische Negierung ist schon die Drohung mit demselben eine Unbequemlichkeit. Der Zwiespalt zwischen Polen und Ruthenen, dessen Beseitigung die Czechen zur selbstverständlichen Bedingung ihrer Freundschaft machen, ist die hauptsächlichste Stütze der östrei¬ chischen Position an derrussischen Grenze, und jeder Ausgleich desselben geschieht auf Unkosten des Kaiserstaats, weil er dem Panslavismus zu Gute kommt. Inzwischen sind die Einzellandtage der östreichischen Kronländer zusam¬ mengetreten. In den deutschen Provinzen boten dieselben den neuernannten

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. I Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_286711/376>, abgerufen am 04.07.2024.