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Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. I Band.

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und entschlossenen Politik, welche aus der Usedom'schen Note sprach, erscheint
im gegenwärtigen Augenblick, wo Preußen eben erst in den Rang der Groß,
Staaten eingetreten ist, besonders unverzeihlich. Einmal wird durch dieselbe
dem Unverstande derer in die Hände gearbeitet, welche jenes Actenstück zur Grund¬
lage ihrer Beurtheilung der gegenwärtigen preußisch-östreichischen Beziehungen
wachen. Hätte man einfach gesagt: "o'6tuit 1a Zuerre und im Kriege gelten
alle Mittel" und hätte man dieser Erklärung die Bemerkung hinzugefügt
"gegenwärtig aber haben wir Frieden" -- das großdeutsche Verrathsgeschret
wäre gründlicher auf den Mund geschlagen worden als gegenwärtig, wo die
ungeschickt formulirte halbe Dementirung des berliner Amtsblattes Gegenstand
des Spottes aller Parteien ist und von keiner geglaubt wird. Vor einem
lauten und deutlichen Wort, das man einmal gesprochen, noch in der Er¬
innerung zurückzuschrecken, -- das ist die Art des Philisters, im politischen
Leben die des Kleinstaats, die Würde des großen Staats fordert, daß eine
Regierung für das, was sie einmal gethan und gesprochen, zu jeder Zeit
eintrete. Von allem Uebrigen abgesehen -- erscheint es unbegreiflich, daß und
warum man überhaupt zu leugnen versucht, daß Preußen zur Zeit des Krie¬
ges von 1866 bestrebt gewesen, seinem Gegner den größtmöglichen Schaden.
größte Summe von Verlegenheiten zu bereiten? hat Oestreich etwa nicht
das Gleiche gethan, als es nach Königgrätz eine französische Intervention zu
veranlassen suchte und als es Herrn von Beust zu diesem Behuf seine unglück¬
liche Reise nach Paris machen ließ? Rückschlüsse daraus auf die veränderten
Verhältnisse der Gegenwart zu machen, scheint uns nun ebenso absurd, wie
die Berechtigung derselben durch nachträgliche Umdeutungsversuche indirect
anzuerkennen. Wenn Preußen im gegenwärtigen Zeitpunkt Miene macht,
auch nur ein Titelchen seiner Politik vom Sommer und Herbst 1866 zu ver.
leugnen, wenn es eine ängstliche Schamröthe zeigt, sobald auf dieselbe die
Rede kommt, so arbeitet es seinen Gegnern noch viel directer in die Hände,
als durch eine reactionäre innere Politik. Den Muth seiner Meinung ver¬
loren, ist an und für sich ein schwerer Verlust -- mit dem Eingeständniß
dieses Verlustes hört die Möglichkeit der Rückgewinnung des Verlorenen auf.

In Sachen der inneren Politik scheint es den Verleugnern der Usedom"
schen Note dagegen an Muth nicht zu fehlen. Fast sollte man glauben, die¬
selben hätten es ausdrücklich darauf abgesehen, den liberalen Elementen, auf
deren Unterstützung die Regierung bisher in den Fragen, auf welche es
Wesentlich ankam, rechnen konnte -- denselben zu beweisen, daß die Zeiten
vorüber sind, in denen man ihrer bedürfte und in denen man auf sie Rück¬
sicht nahm. Wir reden nicht davon, daß die Wiederanstellung des ehemaligen
^heff des Militärcabinets davon zeugt, daß man für die Sympathien und
Antipathien der nationalen Partei vollständig gleichartig ist, auch nicht davon,


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und entschlossenen Politik, welche aus der Usedom'schen Note sprach, erscheint
im gegenwärtigen Augenblick, wo Preußen eben erst in den Rang der Groß,
Staaten eingetreten ist, besonders unverzeihlich. Einmal wird durch dieselbe
dem Unverstande derer in die Hände gearbeitet, welche jenes Actenstück zur Grund¬
lage ihrer Beurtheilung der gegenwärtigen preußisch-östreichischen Beziehungen
wachen. Hätte man einfach gesagt: „o'6tuit 1a Zuerre und im Kriege gelten
alle Mittel" und hätte man dieser Erklärung die Bemerkung hinzugefügt
»gegenwärtig aber haben wir Frieden" — das großdeutsche Verrathsgeschret
wäre gründlicher auf den Mund geschlagen worden als gegenwärtig, wo die
ungeschickt formulirte halbe Dementirung des berliner Amtsblattes Gegenstand
des Spottes aller Parteien ist und von keiner geglaubt wird. Vor einem
lauten und deutlichen Wort, das man einmal gesprochen, noch in der Er¬
innerung zurückzuschrecken, — das ist die Art des Philisters, im politischen
Leben die des Kleinstaats, die Würde des großen Staats fordert, daß eine
Regierung für das, was sie einmal gethan und gesprochen, zu jeder Zeit
eintrete. Von allem Uebrigen abgesehen — erscheint es unbegreiflich, daß und
warum man überhaupt zu leugnen versucht, daß Preußen zur Zeit des Krie¬
ges von 1866 bestrebt gewesen, seinem Gegner den größtmöglichen Schaden.
größte Summe von Verlegenheiten zu bereiten? hat Oestreich etwa nicht
das Gleiche gethan, als es nach Königgrätz eine französische Intervention zu
veranlassen suchte und als es Herrn von Beust zu diesem Behuf seine unglück¬
liche Reise nach Paris machen ließ? Rückschlüsse daraus auf die veränderten
Verhältnisse der Gegenwart zu machen, scheint uns nun ebenso absurd, wie
die Berechtigung derselben durch nachträgliche Umdeutungsversuche indirect
anzuerkennen. Wenn Preußen im gegenwärtigen Zeitpunkt Miene macht,
auch nur ein Titelchen seiner Politik vom Sommer und Herbst 1866 zu ver.
leugnen, wenn es eine ängstliche Schamröthe zeigt, sobald auf dieselbe die
Rede kommt, so arbeitet es seinen Gegnern noch viel directer in die Hände,
als durch eine reactionäre innere Politik. Den Muth seiner Meinung ver¬
loren, ist an und für sich ein schwerer Verlust — mit dem Eingeständniß
dieses Verlustes hört die Möglichkeit der Rückgewinnung des Verlorenen auf.

In Sachen der inneren Politik scheint es den Verleugnern der Usedom«
schen Note dagegen an Muth nicht zu fehlen. Fast sollte man glauben, die¬
selben hätten es ausdrücklich darauf abgesehen, den liberalen Elementen, auf
deren Unterstützung die Regierung bisher in den Fragen, auf welche es
Wesentlich ankam, rechnen konnte — denselben zu beweisen, daß die Zeiten
vorüber sind, in denen man ihrer bedürfte und in denen man auf sie Rück¬
sicht nahm. Wir reden nicht davon, daß die Wiederanstellung des ehemaligen
^heff des Militärcabinets davon zeugt, daß man für die Sympathien und
Antipathien der nationalen Partei vollständig gleichartig ist, auch nicht davon,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. I Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_286711/373>, abgerufen am 04.07.2024.