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Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. I Band.

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mauer, über die sie doch wahrscheinlich zu ihrem "Stelldichein" geklettert, und
lassen die Füße ins Grüne baumeln. Aber mit der Unterhaltung scheint es
nicht recht fort zu wollen; er. sichtbar um das rechte Wort zur Liebeser¬
klärung verlegen, zieht einen Strohhalm durch die Lippen, dumm genug
dabei aussehend; das Mädchen, halb schelmisch, halb sinnig, schaut ebenfalls
verlegen nach der anderen Seite, die Hände ineinander gefügt, voll Er¬
gebung und Erwartung der Dinge und des Wortes, welches nicht kommen will.
Man wird in der That vor diesen Bildern an Claus Groth's oder Fritz
Reuter's humoristische Schilderungen des Bauernlebens erinnert. Auch Herr
Jurte hat in seiner "Rai-Ausritt" ein fein beobachtetes Naturpoem ge¬
geben. Es ist etwas Träumerisches, noch Unaufgewecktes in ihren Zügen, die
erhobenen Arme, die Halbtoilette lassen uns die jungen Reize, die weichen
Linien dieses frischen Körpers entzückt bewundern, und der mit Tausendschön
(marFusrite) durchwebte Teppich des hohen Grases, der blühende Apfel¬
baum, das silberne Licht, das diese knospenden Formen liebkost, sind ganz
Jugend und Morgen. -- Daran reihen sich Herrn Emil Levys neue Variatio¬
nen seines monopolisirten Themas: Paul und Virginie. Es ist noch selten
der bildenden Kunst gelungen, sich der sentimentalen Delicatesse dieses Stoffes
ohne Schaden zu bemächtigen; auch Herr Levy ist der Ziererei verfallen.

Eilen wir jetzt flüchtig -- ich setze auch Leserinnen meines Artikels
voraus -- an der üeins an s^Ion vorüber, mit der Herr Jules Lefebvre
einen so großen Triumph errungen. Die nackte Gestalt, die sich auf einem
rothsammtnen Ruhebett von rothen Vorhängen umspielt vor uns dehnt,
täuscht unsern erstaunten Blick wirklich mit dem vollen Anschein des Lebens;
aber sie blickt uns keck herausfordernd an. Ihre Bewunderer vergeben ihr
das. Die Aerzte behaupten, es fließe cruorhaltiges Blut in ihren Adern,
und die Anatomen ärgern sich, keine Fehler auszufinden. Dafür fehlt ihr
aber neben allem Phantastischen auch jede Schamempfindung, und so entläßt
uns diese selbstbewußte Schönheit mit der Aufforderung, dies unsererseits
nachzuholen.

Eine andere nackte Grazie wiegt sich, als Nereide mit dem Kopfe ab¬
wärts liegend in einer Riesenmuschel, über deren hohen Rand sie die Knie
kreuzt. -- das blonde perldurchflochtene Haar von der Fluth halb getragen,
in der sie die zarten Hände kühlt. Hier opalistrt Alles -- Muschel, Wellen
und Wolken, ja selbst die Atlashaut dieses Götterkindes, die den Lichtton so
voll empfängt, daß sie hie und da fast transparent erscheint. Herr Adolph
Lefebvre lügt indessen so anmuthig, (überdies sind wir hier ja auch im Ge¬
biete der Fabel) daß wir es uns gefallen lassen, mit ihm dieses Meerwunder
zu erträumen. Man trägt sich dazu im Publikum mit der pikanten Anek-
dote. einer der Schöpfer dieser Nuditäten habe früher als Eleve im Atelier


mauer, über die sie doch wahrscheinlich zu ihrem „Stelldichein" geklettert, und
lassen die Füße ins Grüne baumeln. Aber mit der Unterhaltung scheint es
nicht recht fort zu wollen; er. sichtbar um das rechte Wort zur Liebeser¬
klärung verlegen, zieht einen Strohhalm durch die Lippen, dumm genug
dabei aussehend; das Mädchen, halb schelmisch, halb sinnig, schaut ebenfalls
verlegen nach der anderen Seite, die Hände ineinander gefügt, voll Er¬
gebung und Erwartung der Dinge und des Wortes, welches nicht kommen will.
Man wird in der That vor diesen Bildern an Claus Groth's oder Fritz
Reuter's humoristische Schilderungen des Bauernlebens erinnert. Auch Herr
Jurte hat in seiner „Rai-Ausritt" ein fein beobachtetes Naturpoem ge¬
geben. Es ist etwas Träumerisches, noch Unaufgewecktes in ihren Zügen, die
erhobenen Arme, die Halbtoilette lassen uns die jungen Reize, die weichen
Linien dieses frischen Körpers entzückt bewundern, und der mit Tausendschön
(marFusrite) durchwebte Teppich des hohen Grases, der blühende Apfel¬
baum, das silberne Licht, das diese knospenden Formen liebkost, sind ganz
Jugend und Morgen. — Daran reihen sich Herrn Emil Levys neue Variatio¬
nen seines monopolisirten Themas: Paul und Virginie. Es ist noch selten
der bildenden Kunst gelungen, sich der sentimentalen Delicatesse dieses Stoffes
ohne Schaden zu bemächtigen; auch Herr Levy ist der Ziererei verfallen.

Eilen wir jetzt flüchtig — ich setze auch Leserinnen meines Artikels
voraus — an der üeins an s^Ion vorüber, mit der Herr Jules Lefebvre
einen so großen Triumph errungen. Die nackte Gestalt, die sich auf einem
rothsammtnen Ruhebett von rothen Vorhängen umspielt vor uns dehnt,
täuscht unsern erstaunten Blick wirklich mit dem vollen Anschein des Lebens;
aber sie blickt uns keck herausfordernd an. Ihre Bewunderer vergeben ihr
das. Die Aerzte behaupten, es fließe cruorhaltiges Blut in ihren Adern,
und die Anatomen ärgern sich, keine Fehler auszufinden. Dafür fehlt ihr
aber neben allem Phantastischen auch jede Schamempfindung, und so entläßt
uns diese selbstbewußte Schönheit mit der Aufforderung, dies unsererseits
nachzuholen.

Eine andere nackte Grazie wiegt sich, als Nereide mit dem Kopfe ab¬
wärts liegend in einer Riesenmuschel, über deren hohen Rand sie die Knie
kreuzt. — das blonde perldurchflochtene Haar von der Fluth halb getragen,
in der sie die zarten Hände kühlt. Hier opalistrt Alles — Muschel, Wellen
und Wolken, ja selbst die Atlashaut dieses Götterkindes, die den Lichtton so
voll empfängt, daß sie hie und da fast transparent erscheint. Herr Adolph
Lefebvre lügt indessen so anmuthig, (überdies sind wir hier ja auch im Ge¬
biete der Fabel) daß wir es uns gefallen lassen, mit ihm dieses Meerwunder
zu erträumen. Man trägt sich dazu im Publikum mit der pikanten Anek-
dote. einer der Schöpfer dieser Nuditäten habe früher als Eleve im Atelier


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[0359] mauer, über die sie doch wahrscheinlich zu ihrem „Stelldichein" geklettert, und lassen die Füße ins Grüne baumeln. Aber mit der Unterhaltung scheint es nicht recht fort zu wollen; er. sichtbar um das rechte Wort zur Liebeser¬ klärung verlegen, zieht einen Strohhalm durch die Lippen, dumm genug dabei aussehend; das Mädchen, halb schelmisch, halb sinnig, schaut ebenfalls verlegen nach der anderen Seite, die Hände ineinander gefügt, voll Er¬ gebung und Erwartung der Dinge und des Wortes, welches nicht kommen will. Man wird in der That vor diesen Bildern an Claus Groth's oder Fritz Reuter's humoristische Schilderungen des Bauernlebens erinnert. Auch Herr Jurte hat in seiner „Rai-Ausritt" ein fein beobachtetes Naturpoem ge¬ geben. Es ist etwas Träumerisches, noch Unaufgewecktes in ihren Zügen, die erhobenen Arme, die Halbtoilette lassen uns die jungen Reize, die weichen Linien dieses frischen Körpers entzückt bewundern, und der mit Tausendschön (marFusrite) durchwebte Teppich des hohen Grases, der blühende Apfel¬ baum, das silberne Licht, das diese knospenden Formen liebkost, sind ganz Jugend und Morgen. — Daran reihen sich Herrn Emil Levys neue Variatio¬ nen seines monopolisirten Themas: Paul und Virginie. Es ist noch selten der bildenden Kunst gelungen, sich der sentimentalen Delicatesse dieses Stoffes ohne Schaden zu bemächtigen; auch Herr Levy ist der Ziererei verfallen. Eilen wir jetzt flüchtig — ich setze auch Leserinnen meines Artikels voraus — an der üeins an s^Ion vorüber, mit der Herr Jules Lefebvre einen so großen Triumph errungen. Die nackte Gestalt, die sich auf einem rothsammtnen Ruhebett von rothen Vorhängen umspielt vor uns dehnt, täuscht unsern erstaunten Blick wirklich mit dem vollen Anschein des Lebens; aber sie blickt uns keck herausfordernd an. Ihre Bewunderer vergeben ihr das. Die Aerzte behaupten, es fließe cruorhaltiges Blut in ihren Adern, und die Anatomen ärgern sich, keine Fehler auszufinden. Dafür fehlt ihr aber neben allem Phantastischen auch jede Schamempfindung, und so entläßt uns diese selbstbewußte Schönheit mit der Aufforderung, dies unsererseits nachzuholen. Eine andere nackte Grazie wiegt sich, als Nereide mit dem Kopfe ab¬ wärts liegend in einer Riesenmuschel, über deren hohen Rand sie die Knie kreuzt. — das blonde perldurchflochtene Haar von der Fluth halb getragen, in der sie die zarten Hände kühlt. Hier opalistrt Alles — Muschel, Wellen und Wolken, ja selbst die Atlashaut dieses Götterkindes, die den Lichtton so voll empfängt, daß sie hie und da fast transparent erscheint. Herr Adolph Lefebvre lügt indessen so anmuthig, (überdies sind wir hier ja auch im Ge¬ biete der Fabel) daß wir es uns gefallen lassen, mit ihm dieses Meerwunder zu erträumen. Man trägt sich dazu im Publikum mit der pikanten Anek- dote. einer der Schöpfer dieser Nuditäten habe früher als Eleve im Atelier

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. I Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_286711/359>, abgerufen am 04.07.2024.