Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. I Band.

Bild:
<< vorherige Seite

aber nicht ergötzt von diesem schönen Schein zu anspruchsloseren Schöpfun¬
gen, in denen das Absichtliche, feiner verhüllt, uns desto leichter vergnügt.

Als Contrast stellen wir das Talent Fromentin's gegenüber, dem die
hohe Gabe geworden, den Blitz des vorüberfliehenden Augenblicks in der
Handlung zu fixiren. In seinen Bildern ist Alles gedrängte Bewegung. --
wäg er nun einen Nomadenzug in der Wüste, oder wie hier den Kampf
auf Leben und Tod zwischen einer Löwin und zwei berittenen Arabern in
einer Felsenschlucht zeichnen. Die Stellung des links sich bäumenden, schon
verwundeten Schimmels ist unnachahmlich kühn; -- fein Reiter stützt sich
mit der geballten Linken fest auf den Sattelknopf, die Rechte krampfhaft
gegen die Brust gepreßt sucht das Schloß des Carabiners und das Löwen¬
herz als Ziel; -- aber er zögert in den Gliederknäuel vor sich zu feuern, --
denn das Pferd seines Genossen hat sich überschlagend diesen aus dem
Sattel geworfen; aber der Sohn der Wüste sendet mit letzter Kraftanstren¬
gung den Blitz seines Revolvers gegen die Bestie. Man steht fast athemlos
vor diesem wilden Drama, obgleich die aus der Ferne heransprengenden
Stammesgenossen uns nochmals des glücklichen Ausgangs versichern. Dar¬
nach wird man begreifen, wenn wir Herr Fromentin anklagen, daß er uns
um eine Freude und die Nachwelt um ein Meisterstück betrügt, wenn er, wie
Blondin seines äquilidrs und seines Sichergehens überall gewiß, sich an
halsbrechende Aufgaben wagt und sich in der Wahl seines Stoffes vergreift,
wie diesmal in seinen männlichen und weiblichen Centauren, welche Geier
wie ihren Pfeilen erlegen. Unsere der Wirklichkeit zugeneigte Empfindung
sträubt sich, blonde Weiberbüsten auf Pferderücken zu bewundern, wären sie
anatomisch auch noch so kunstgerecht verschmolzen. Die Griechen wußten
durch streng classische Formen die Darstellung solcher Zwitterwesen vor dem
Sinnenkitzel wie vor dem Widerwillen zu retten, während die indecent rea¬
listisch thiermenschlichen Formen Fromentin's gegen Tradition und Ideal zu¬
gleich verstoßen. Wem die Wunder der afrikanischen Wüste und des
Orients offen stehen, wie diesem Meister, der lasse den Olymp mit seinen
hohen und niederen Genossen, die mit der Dampfkraft moderner Sinnen-
uberreizung nicht zu erreichen sind, in Ruhe.

Als unser Altmeister Göthe die Gruppe des Laokoon dem fixirten Blitz
oder der versteinerten Welle verglich, wußte er wohl, daß die Welle nie ver¬
steinern könne, wenn auch nicht, daß der Blitz niemals in einer Neuntel-Se¬
cunde, die nach den Physiologen zu jeder Wahrnehmung gehört, in einer
Form vor unserem Auge festzuhalten sei, da er mit der Geschwindigkeit
von 77,000 Meilen in der Secunde den Raum durchfährt, sonst hätte Herr
Otto von Thoren ebenfalls ein gleich wahres wie schönes Bild geschaffen.
Er hat wenigstens die Wirkung, die das flammende Meteor einen Baum


42*

aber nicht ergötzt von diesem schönen Schein zu anspruchsloseren Schöpfun¬
gen, in denen das Absichtliche, feiner verhüllt, uns desto leichter vergnügt.

Als Contrast stellen wir das Talent Fromentin's gegenüber, dem die
hohe Gabe geworden, den Blitz des vorüberfliehenden Augenblicks in der
Handlung zu fixiren. In seinen Bildern ist Alles gedrängte Bewegung. —
wäg er nun einen Nomadenzug in der Wüste, oder wie hier den Kampf
auf Leben und Tod zwischen einer Löwin und zwei berittenen Arabern in
einer Felsenschlucht zeichnen. Die Stellung des links sich bäumenden, schon
verwundeten Schimmels ist unnachahmlich kühn; — fein Reiter stützt sich
mit der geballten Linken fest auf den Sattelknopf, die Rechte krampfhaft
gegen die Brust gepreßt sucht das Schloß des Carabiners und das Löwen¬
herz als Ziel; — aber er zögert in den Gliederknäuel vor sich zu feuern, —
denn das Pferd seines Genossen hat sich überschlagend diesen aus dem
Sattel geworfen; aber der Sohn der Wüste sendet mit letzter Kraftanstren¬
gung den Blitz seines Revolvers gegen die Bestie. Man steht fast athemlos
vor diesem wilden Drama, obgleich die aus der Ferne heransprengenden
Stammesgenossen uns nochmals des glücklichen Ausgangs versichern. Dar¬
nach wird man begreifen, wenn wir Herr Fromentin anklagen, daß er uns
um eine Freude und die Nachwelt um ein Meisterstück betrügt, wenn er, wie
Blondin seines äquilidrs und seines Sichergehens überall gewiß, sich an
halsbrechende Aufgaben wagt und sich in der Wahl seines Stoffes vergreift,
wie diesmal in seinen männlichen und weiblichen Centauren, welche Geier
wie ihren Pfeilen erlegen. Unsere der Wirklichkeit zugeneigte Empfindung
sträubt sich, blonde Weiberbüsten auf Pferderücken zu bewundern, wären sie
anatomisch auch noch so kunstgerecht verschmolzen. Die Griechen wußten
durch streng classische Formen die Darstellung solcher Zwitterwesen vor dem
Sinnenkitzel wie vor dem Widerwillen zu retten, während die indecent rea¬
listisch thiermenschlichen Formen Fromentin's gegen Tradition und Ideal zu¬
gleich verstoßen. Wem die Wunder der afrikanischen Wüste und des
Orients offen stehen, wie diesem Meister, der lasse den Olymp mit seinen
hohen und niederen Genossen, die mit der Dampfkraft moderner Sinnen-
uberreizung nicht zu erreichen sind, in Ruhe.

Als unser Altmeister Göthe die Gruppe des Laokoon dem fixirten Blitz
oder der versteinerten Welle verglich, wußte er wohl, daß die Welle nie ver¬
steinern könne, wenn auch nicht, daß der Blitz niemals in einer Neuntel-Se¬
cunde, die nach den Physiologen zu jeder Wahrnehmung gehört, in einer
Form vor unserem Auge festzuhalten sei, da er mit der Geschwindigkeit
von 77,000 Meilen in der Secunde den Raum durchfährt, sonst hätte Herr
Otto von Thoren ebenfalls ein gleich wahres wie schönes Bild geschaffen.
Er hat wenigstens die Wirkung, die das flammende Meteor einen Baum


42*
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0357" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/287069"/>
          <p xml:id="ID_910" prev="#ID_909"> aber nicht ergötzt von diesem schönen Schein zu anspruchsloseren Schöpfun¬<lb/>
gen, in denen das Absichtliche, feiner verhüllt, uns desto leichter vergnügt.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_911"> Als Contrast stellen wir das Talent Fromentin's gegenüber, dem die<lb/>
hohe Gabe geworden, den Blitz des vorüberfliehenden Augenblicks in der<lb/>
Handlung zu fixiren. In seinen Bildern ist Alles gedrängte Bewegung. &#x2014;<lb/>
wäg er nun einen Nomadenzug in der Wüste, oder wie hier den Kampf<lb/>
auf Leben und Tod zwischen einer Löwin und zwei berittenen Arabern in<lb/>
einer Felsenschlucht zeichnen. Die Stellung des links sich bäumenden, schon<lb/>
verwundeten Schimmels ist unnachahmlich kühn; &#x2014; fein Reiter stützt sich<lb/>
mit der geballten Linken fest auf den Sattelknopf, die Rechte krampfhaft<lb/>
gegen die Brust gepreßt sucht das Schloß des Carabiners und das Löwen¬<lb/>
herz als Ziel; &#x2014; aber er zögert in den Gliederknäuel vor sich zu feuern, &#x2014;<lb/>
denn das Pferd seines Genossen hat sich überschlagend diesen aus dem<lb/>
Sattel geworfen; aber der Sohn der Wüste sendet mit letzter Kraftanstren¬<lb/>
gung den Blitz seines Revolvers gegen die Bestie. Man steht fast athemlos<lb/>
vor diesem wilden Drama, obgleich die aus der Ferne heransprengenden<lb/>
Stammesgenossen uns nochmals des glücklichen Ausgangs versichern. Dar¬<lb/>
nach wird man begreifen, wenn wir Herr Fromentin anklagen, daß er uns<lb/>
um eine Freude und die Nachwelt um ein Meisterstück betrügt, wenn er, wie<lb/>
Blondin seines äquilidrs und seines Sichergehens überall gewiß, sich an<lb/>
halsbrechende Aufgaben wagt und sich in der Wahl seines Stoffes vergreift,<lb/>
wie diesmal in seinen männlichen und weiblichen Centauren, welche Geier<lb/>
wie ihren Pfeilen erlegen. Unsere der Wirklichkeit zugeneigte Empfindung<lb/>
sträubt sich, blonde Weiberbüsten auf Pferderücken zu bewundern, wären sie<lb/>
anatomisch auch noch so kunstgerecht verschmolzen. Die Griechen wußten<lb/>
durch streng classische Formen die Darstellung solcher Zwitterwesen vor dem<lb/>
Sinnenkitzel wie vor dem Widerwillen zu retten, während die indecent rea¬<lb/>
listisch thiermenschlichen Formen Fromentin's gegen Tradition und Ideal zu¬<lb/>
gleich verstoßen. Wem die Wunder der afrikanischen Wüste und des<lb/>
Orients offen stehen, wie diesem Meister, der lasse den Olymp mit seinen<lb/>
hohen und niederen Genossen, die mit der Dampfkraft moderner Sinnen-<lb/>
uberreizung nicht zu erreichen sind, in Ruhe.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_912" next="#ID_913"> Als unser Altmeister Göthe die Gruppe des Laokoon dem fixirten Blitz<lb/>
oder der versteinerten Welle verglich, wußte er wohl, daß die Welle nie ver¬<lb/>
steinern könne, wenn auch nicht, daß der Blitz niemals in einer Neuntel-Se¬<lb/>
cunde, die nach den Physiologen zu jeder Wahrnehmung gehört, in einer<lb/>
Form vor unserem Auge festzuhalten sei, da er mit der Geschwindigkeit<lb/>
von 77,000 Meilen in der Secunde den Raum durchfährt, sonst hätte Herr<lb/>
Otto von Thoren ebenfalls ein gleich wahres wie schönes Bild geschaffen.<lb/>
Er hat wenigstens die Wirkung, die das flammende Meteor einen Baum</p><lb/>
          <fw type="sig" place="bottom"> 42*</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0357] aber nicht ergötzt von diesem schönen Schein zu anspruchsloseren Schöpfun¬ gen, in denen das Absichtliche, feiner verhüllt, uns desto leichter vergnügt. Als Contrast stellen wir das Talent Fromentin's gegenüber, dem die hohe Gabe geworden, den Blitz des vorüberfliehenden Augenblicks in der Handlung zu fixiren. In seinen Bildern ist Alles gedrängte Bewegung. — wäg er nun einen Nomadenzug in der Wüste, oder wie hier den Kampf auf Leben und Tod zwischen einer Löwin und zwei berittenen Arabern in einer Felsenschlucht zeichnen. Die Stellung des links sich bäumenden, schon verwundeten Schimmels ist unnachahmlich kühn; — fein Reiter stützt sich mit der geballten Linken fest auf den Sattelknopf, die Rechte krampfhaft gegen die Brust gepreßt sucht das Schloß des Carabiners und das Löwen¬ herz als Ziel; — aber er zögert in den Gliederknäuel vor sich zu feuern, — denn das Pferd seines Genossen hat sich überschlagend diesen aus dem Sattel geworfen; aber der Sohn der Wüste sendet mit letzter Kraftanstren¬ gung den Blitz seines Revolvers gegen die Bestie. Man steht fast athemlos vor diesem wilden Drama, obgleich die aus der Ferne heransprengenden Stammesgenossen uns nochmals des glücklichen Ausgangs versichern. Dar¬ nach wird man begreifen, wenn wir Herr Fromentin anklagen, daß er uns um eine Freude und die Nachwelt um ein Meisterstück betrügt, wenn er, wie Blondin seines äquilidrs und seines Sichergehens überall gewiß, sich an halsbrechende Aufgaben wagt und sich in der Wahl seines Stoffes vergreift, wie diesmal in seinen männlichen und weiblichen Centauren, welche Geier wie ihren Pfeilen erlegen. Unsere der Wirklichkeit zugeneigte Empfindung sträubt sich, blonde Weiberbüsten auf Pferderücken zu bewundern, wären sie anatomisch auch noch so kunstgerecht verschmolzen. Die Griechen wußten durch streng classische Formen die Darstellung solcher Zwitterwesen vor dem Sinnenkitzel wie vor dem Widerwillen zu retten, während die indecent rea¬ listisch thiermenschlichen Formen Fromentin's gegen Tradition und Ideal zu¬ gleich verstoßen. Wem die Wunder der afrikanischen Wüste und des Orients offen stehen, wie diesem Meister, der lasse den Olymp mit seinen hohen und niederen Genossen, die mit der Dampfkraft moderner Sinnen- uberreizung nicht zu erreichen sind, in Ruhe. Als unser Altmeister Göthe die Gruppe des Laokoon dem fixirten Blitz oder der versteinerten Welle verglich, wußte er wohl, daß die Welle nie ver¬ steinern könne, wenn auch nicht, daß der Blitz niemals in einer Neuntel-Se¬ cunde, die nach den Physiologen zu jeder Wahrnehmung gehört, in einer Form vor unserem Auge festzuhalten sei, da er mit der Geschwindigkeit von 77,000 Meilen in der Secunde den Raum durchfährt, sonst hätte Herr Otto von Thoren ebenfalls ein gleich wahres wie schönes Bild geschaffen. Er hat wenigstens die Wirkung, die das flammende Meteor einen Baum 42*

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_286711
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_286711/357
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. I Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_286711/357>, abgerufen am 04.07.2024.