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Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. I Band.

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schon in den verhängnißvollen letzten Wochen des Jahres 1863 ein Schutz-
und Trutzbündniß angeboten hat, unter der einzigen Bedingung, daß Däne¬
mark Holstein, und damit jedes staatsrechtliche Verhältniß zu Deutschland
fahren lasse. Der König von Schweden ist ein Eiderdäne. oder wie es heute
in dem vorgerückteren Stadium heißt: ein Scandinavist. Er schwärmt sür
die Einheit der drei Nordstaaten und ihre unbedingte Abschließung gegen
Süden hin. Als Enkel des Gründers seiner Dynastie ist er wirklich, was
Napoleon der Erste mitunter zu sein wünschte, und glaubt nach der weisen
Zurückhaltung seiner beiden Vorfahren das Haus Bernadotte mit Recht hin¬
länglich auf dem Throne befestigt, um sich bei günstiger Gelegenheit einer
activen Politik hingeben zu dürfen, und Gustav Adolfs glänzende historische
Rolle, wenn auch in enger begrenztem Rahmen, vor der staunenden Welt zu
erneuern. Was Victor Emanuel für das südliche, Wilhelm I. für das mitt¬
lere, das denkt Karl XV. für das nördlichste Stück Mitteleuropas thun zu
können. Sollte sich dazu der Bismarck oder Cavour nicht finden, so sucht
er am Ende auch ohne einen solchen Gehilfen ans Ziel zu gelangen.

Vergegenwärtigt man sich diese Anschauungen des wichtigeren und leiten¬
den unter den beiden nordischen Monarchen, nimmt man hinzu, daß König
Karls nächst jüngerer Bruder, der Herzog von Ostgothland, womöglich ein noch
leidenschaftlicherer Scandinavist und gleichfalls ein begabter Mann ist, so hat
es geringe Wahrscheinlichkeit, daß die politische Rechnung bei dem Verlöbniß
blos auf den Tag zielen sollte, an welchem nach dem Hinscheiden beider
königlichen Väter das verbundene Paar die drei Länder gemeinschaftlich be¬
herrschen wird. Mit dieser voraussichtlich noch recht fernen Eventualität
wird weniger das Ziel der Abmachung selber, als vielmehr eine freilich
sehr erwünschte Kräftigung desselben ins Auge gefaßt worden sein. Die heute
herrschende Generation aber, zumal auf schwedischer Seite, wird auch selber
noch etwas davon erleben wollen. Es mag den leitenden politischen Köpfen
ganz recht sein, daß der nächste, bei der Nachricht von diesem Familienbunde
auf der Oberfläche liegende Gedanke so weit in die Zukunft hinausführt; desto
besser werden sie verborgen glauben, was an näheren und praktischeren Ver¬
abredungen nebenher gegangen ist. Die scandinavistische Presse muß von
diesen letzteren entweder förmlich unterrichtet sein oder zuverlässige Witterung
haben, so völlig beruhigt zeigt sie sich dem Anschein nach bei den vagsten
Hoffnungen auf größere gegenseitige Annäherung über ein Ereigniß, das sie
seit Jahren herbeigesehnt, in welchem sie von jeher einstimmig den einzig
möglichen großen Schritt zu ihrem Ziele während einer Zeit des Friedens
und der Vorbereitung erblickt hat.

Der Scandinavismus ist demnach mit dem Abschluß.dieses Eheverspruchs
unleugbar in eine neue Phase getreten: eine allgemeine Verständigung


schon in den verhängnißvollen letzten Wochen des Jahres 1863 ein Schutz-
und Trutzbündniß angeboten hat, unter der einzigen Bedingung, daß Däne¬
mark Holstein, und damit jedes staatsrechtliche Verhältniß zu Deutschland
fahren lasse. Der König von Schweden ist ein Eiderdäne. oder wie es heute
in dem vorgerückteren Stadium heißt: ein Scandinavist. Er schwärmt sür
die Einheit der drei Nordstaaten und ihre unbedingte Abschließung gegen
Süden hin. Als Enkel des Gründers seiner Dynastie ist er wirklich, was
Napoleon der Erste mitunter zu sein wünschte, und glaubt nach der weisen
Zurückhaltung seiner beiden Vorfahren das Haus Bernadotte mit Recht hin¬
länglich auf dem Throne befestigt, um sich bei günstiger Gelegenheit einer
activen Politik hingeben zu dürfen, und Gustav Adolfs glänzende historische
Rolle, wenn auch in enger begrenztem Rahmen, vor der staunenden Welt zu
erneuern. Was Victor Emanuel für das südliche, Wilhelm I. für das mitt¬
lere, das denkt Karl XV. für das nördlichste Stück Mitteleuropas thun zu
können. Sollte sich dazu der Bismarck oder Cavour nicht finden, so sucht
er am Ende auch ohne einen solchen Gehilfen ans Ziel zu gelangen.

Vergegenwärtigt man sich diese Anschauungen des wichtigeren und leiten¬
den unter den beiden nordischen Monarchen, nimmt man hinzu, daß König
Karls nächst jüngerer Bruder, der Herzog von Ostgothland, womöglich ein noch
leidenschaftlicherer Scandinavist und gleichfalls ein begabter Mann ist, so hat
es geringe Wahrscheinlichkeit, daß die politische Rechnung bei dem Verlöbniß
blos auf den Tag zielen sollte, an welchem nach dem Hinscheiden beider
königlichen Väter das verbundene Paar die drei Länder gemeinschaftlich be¬
herrschen wird. Mit dieser voraussichtlich noch recht fernen Eventualität
wird weniger das Ziel der Abmachung selber, als vielmehr eine freilich
sehr erwünschte Kräftigung desselben ins Auge gefaßt worden sein. Die heute
herrschende Generation aber, zumal auf schwedischer Seite, wird auch selber
noch etwas davon erleben wollen. Es mag den leitenden politischen Köpfen
ganz recht sein, daß der nächste, bei der Nachricht von diesem Familienbunde
auf der Oberfläche liegende Gedanke so weit in die Zukunft hinausführt; desto
besser werden sie verborgen glauben, was an näheren und praktischeren Ver¬
abredungen nebenher gegangen ist. Die scandinavistische Presse muß von
diesen letzteren entweder förmlich unterrichtet sein oder zuverlässige Witterung
haben, so völlig beruhigt zeigt sie sich dem Anschein nach bei den vagsten
Hoffnungen auf größere gegenseitige Annäherung über ein Ereigniß, das sie
seit Jahren herbeigesehnt, in welchem sie von jeher einstimmig den einzig
möglichen großen Schritt zu ihrem Ziele während einer Zeit des Friedens
und der Vorbereitung erblickt hat.

Der Scandinavismus ist demnach mit dem Abschluß.dieses Eheverspruchs
unleugbar in eine neue Phase getreten: eine allgemeine Verständigung


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. I Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_286711/222>, abgerufen am 30.06.2024.