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Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, I. Semester. I. Band.

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ordentlich lebhafte gewesen; es ist genau 12 Monate her, daß an allen Ecken
und Enden des Reichs für die Candioten gesammelt wurde und daß die
kaiserliche Familie zur Verwunderung der gesammten Diplomatie auf dem
Ballfest erschien, welches ein Petersburger Candiotencomit6 im großen Theater
veranstaltete. Nichtsdestoweniger ist das Frühjahr friedlich verlaufen und
warten die Kämpfer von Cauca noch heute vergeblich auf die Truppen, welche
der weiße Zaar von Moskau über das Meer- senden soll. Immerhin ist es
der Beachtung werth, daß die Theilnahme des russischen Volks für die grie¬
chischen Glaubensbrüder in demselben Maße genährt worden ist, in welchem
die diplomatische Action der Großmächte zu Gunsten derselben abgenommen
hat und daß eine so tumultuarische Vereinigung wie der Slavencongreß
schließlich doch dazu geführt hat, die Gedanken unserer panslavistischen Schwär¬
mer zu ernüchtern und auf praktische Ziele hinzurichten, die den von der
Regierung verfolgten mindestens ziemlich nahe stehen.




Literatur.

Briefe von Friedrich von Gentz an Pilat. Ein Beitrag zur Geschichte
Deutschlands im 19. Jahrh. Herausgegeben von Dr. Mendelssohn-Bartholdv,
Professor zu Heidelberg. 2 Bände. Leipzig bei F. C. W. Vogel 1868. --

Bekanntlich bildeten die Bruchstücke der Gentzischen Briefe an Pilat den bei
weitem wichtigsten und interessantesten Theil der in dem jüngst erschienenen Werk
"Aus dem Nachlasse Friedrichs von Gentz" zum erstenmale veröffentlichten Papiere.
Dem Herausgeber des Nachlasses standen nur wenige der an Pilat gerichteten Briefe
und diese in nur verstümmelter Form zu Gebote; aber schon dies Wenige enthält
soviel des Bedeutenden, daß man der vom Prof. Mendelssohn angekündigten Her¬
ausgabe der sämmtlichen Briefe mit Spannung entgegensehen mußte. In zwei
Bänden liegt gegenwärtig die ganze Sammlung, mehr als 800 Briefe enthaltend,
vor und die gehegten Erwartungen find in der That nicht getäuscht worden. So¬
viel auch, namentlich in den letzten Jahren, über den berühmten Staatsmann ver¬
öffentlicht worden, wir gewinnen durch diese Briefe zum erstenmal einen Einblick
in seine Thätigkeit, in die politische Wirksamkeit, welche Gentz so lange Jahre hin¬
durch in der wiener Staatskanzlei geübt hat. Pilat war damals der Redacteur
des halbofficiellen Journals des Fürsten Metternich, des östreichischen Beobachters,
und Gentz amtlich mit der obersten Ueberwachung und Leitung dieses Blattes be¬
traut. So brachte es schon das amtliche Verhältniß, in dem Gentz zu Pilat stand,
mit sich, daß er mit diesem alle wichtigen Zeitereignisse besprach, ihm die Farben
angab, mit welchen sie in dem Regierungsorgan dargestellt werden sollten u. s. w.
Noch höheres Interesse, als durch diese geschäftliche Beziehung, erhalten die Briefe
durch die persönliche Freundschaft, welche Gentz mit Pilat verband. Gentz betrach-


ordentlich lebhafte gewesen; es ist genau 12 Monate her, daß an allen Ecken
und Enden des Reichs für die Candioten gesammelt wurde und daß die
kaiserliche Familie zur Verwunderung der gesammten Diplomatie auf dem
Ballfest erschien, welches ein Petersburger Candiotencomit6 im großen Theater
veranstaltete. Nichtsdestoweniger ist das Frühjahr friedlich verlaufen und
warten die Kämpfer von Cauca noch heute vergeblich auf die Truppen, welche
der weiße Zaar von Moskau über das Meer- senden soll. Immerhin ist es
der Beachtung werth, daß die Theilnahme des russischen Volks für die grie¬
chischen Glaubensbrüder in demselben Maße genährt worden ist, in welchem
die diplomatische Action der Großmächte zu Gunsten derselben abgenommen
hat und daß eine so tumultuarische Vereinigung wie der Slavencongreß
schließlich doch dazu geführt hat, die Gedanken unserer panslavistischen Schwär¬
mer zu ernüchtern und auf praktische Ziele hinzurichten, die den von der
Regierung verfolgten mindestens ziemlich nahe stehen.




Literatur.

Briefe von Friedrich von Gentz an Pilat. Ein Beitrag zur Geschichte
Deutschlands im 19. Jahrh. Herausgegeben von Dr. Mendelssohn-Bartholdv,
Professor zu Heidelberg. 2 Bände. Leipzig bei F. C. W. Vogel 1868. —

Bekanntlich bildeten die Bruchstücke der Gentzischen Briefe an Pilat den bei
weitem wichtigsten und interessantesten Theil der in dem jüngst erschienenen Werk
„Aus dem Nachlasse Friedrichs von Gentz" zum erstenmale veröffentlichten Papiere.
Dem Herausgeber des Nachlasses standen nur wenige der an Pilat gerichteten Briefe
und diese in nur verstümmelter Form zu Gebote; aber schon dies Wenige enthält
soviel des Bedeutenden, daß man der vom Prof. Mendelssohn angekündigten Her¬
ausgabe der sämmtlichen Briefe mit Spannung entgegensehen mußte. In zwei
Bänden liegt gegenwärtig die ganze Sammlung, mehr als 800 Briefe enthaltend,
vor und die gehegten Erwartungen find in der That nicht getäuscht worden. So¬
viel auch, namentlich in den letzten Jahren, über den berühmten Staatsmann ver¬
öffentlicht worden, wir gewinnen durch diese Briefe zum erstenmal einen Einblick
in seine Thätigkeit, in die politische Wirksamkeit, welche Gentz so lange Jahre hin¬
durch in der wiener Staatskanzlei geübt hat. Pilat war damals der Redacteur
des halbofficiellen Journals des Fürsten Metternich, des östreichischen Beobachters,
und Gentz amtlich mit der obersten Ueberwachung und Leitung dieses Blattes be¬
traut. So brachte es schon das amtliche Verhältniß, in dem Gentz zu Pilat stand,
mit sich, daß er mit diesem alle wichtigen Zeitereignisse besprach, ihm die Farben
angab, mit welchen sie in dem Regierungsorgan dargestellt werden sollten u. s. w.
Noch höheres Interesse, als durch diese geschäftliche Beziehung, erhalten die Briefe
durch die persönliche Freundschaft, welche Gentz mit Pilat verband. Gentz betrach-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_117005/84>, abgerufen am 25.08.2024.