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Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, I. Semester. I. Band.

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Nach den Ereignissen vom letzten und vorletzten October d. I. hätte
Jedermann, der unsere Zustände nicht kennt, glauben sollen, bei uns sei nun
die Einheitsbewegung im besten Zuge. Welch' ein Irrthum! Unser gouver-
nementaler Pendel hatte blos seine Schwingung nach links erschöpft. Daraus
folgt bei uns natürlich nichts, als daß er nun wieder zurückgeht und nach
rechts schwingt.

"^ever lor ever" tickt die alte englische Standuhr. "Nimmer für immer"
ist auch bei uns die Parole. Es waren keine sechs Wochen nach dem letzten
October verflossen, da wehte der Wind wieder aus dem schwarzgelben Loche.

Den Beginn machte der Chef des Justizdepartements Staatsrath Mitt¬
nacht. Er gehörte bis tief in das Jahr 1867 hinein zu den entschiedensten
Großdeutschen. Trotzdem war er noch nach dem Tage des Schutz- und Trutz¬
bündnisses, nach dem 13. August 1866, auf Antrag Varnbülers zum Justiz¬
minister ernannt worden. Als Abgeordneter, was er damals war und jetzt
noch ist, setzte er an der Spitze der gouvernementalen Mittelpartei seine gro߬
deutsche Politik mit Entschiedenheit fort und zeigte namentlich gegen die
deutsch-nationale Partei eine solche Feindseligkeit, daß die letztere, obgleich
in ihren Reihen die anerkanntesten Kapacitäten sitzen, bei den damaligen
Ausschußwahlen auch nicht ein Mitglied durchsetzen konnte und sich daher
von allen Commissionsarbeiten ausgeschlossen sah.

Vielleicht wußte damals der Justizminister selbst noch nichts von dem
Schutz- und Trutzbündniß des 23. August 1866, das bis zum März 1867
ein wohlbewahrtes Geheimniß des König Karl und des Minister Varnbüler
blieb. Vielleicht hoffte man damals noch am Nesenbach, der norddeutsche
Bund werde ebenfalls einen Ausgang nehmen, wie das Hornberger Schießen
und die Erfurter Union. Berechtigte ja doch die Haltung, welche der äußerste
Flügel der liberalen Partei in Preußen selbst annahm, die süddeutschen Par-
ticularisten zu den angenehmsten Hoffnungen.

Allein sie täuschten sich. Die Verfassung des norddeutschen Bundes
kam zu Stande. Der Reichstag sanctionirte diese Verfassung und sie errang
im Sturme die Zustimmung der einzelnen Regierungen und der Particular-
Landtage. Sie erwies sich als ebenso dauerhaft, wie entwicklungsfähig. Die
Schutz- und Trutzbündnisse wurden bekannt. Die Zollvereinsverträge wurden
reformirt und erneuert. Das luxemburger Gewitter verzog sich. Die Feinde
Preußens waren abermals um eine Reihe von Hoffnungen ärmer.

Der Chef des würtembergischen Justizdepartements war zwischenzeitig
immer mehr von seiner großdeutschen Richtung zurückgekommen, sodaß er
nicht mehr das volle Vertrauen der Klerikalen genoß. Herr Mittnacht ist
weder Phantast noch Fanatiker, sondern ein kluger, kalter, wohl berechnender
Realist, der namentlich seine Person und seine Stellung nie aus den Augen


8'

Nach den Ereignissen vom letzten und vorletzten October d. I. hätte
Jedermann, der unsere Zustände nicht kennt, glauben sollen, bei uns sei nun
die Einheitsbewegung im besten Zuge. Welch' ein Irrthum! Unser gouver-
nementaler Pendel hatte blos seine Schwingung nach links erschöpft. Daraus
folgt bei uns natürlich nichts, als daß er nun wieder zurückgeht und nach
rechts schwingt.

„^ever lor ever" tickt die alte englische Standuhr. „Nimmer für immer"
ist auch bei uns die Parole. Es waren keine sechs Wochen nach dem letzten
October verflossen, da wehte der Wind wieder aus dem schwarzgelben Loche.

Den Beginn machte der Chef des Justizdepartements Staatsrath Mitt¬
nacht. Er gehörte bis tief in das Jahr 1867 hinein zu den entschiedensten
Großdeutschen. Trotzdem war er noch nach dem Tage des Schutz- und Trutz¬
bündnisses, nach dem 13. August 1866, auf Antrag Varnbülers zum Justiz¬
minister ernannt worden. Als Abgeordneter, was er damals war und jetzt
noch ist, setzte er an der Spitze der gouvernementalen Mittelpartei seine gro߬
deutsche Politik mit Entschiedenheit fort und zeigte namentlich gegen die
deutsch-nationale Partei eine solche Feindseligkeit, daß die letztere, obgleich
in ihren Reihen die anerkanntesten Kapacitäten sitzen, bei den damaligen
Ausschußwahlen auch nicht ein Mitglied durchsetzen konnte und sich daher
von allen Commissionsarbeiten ausgeschlossen sah.

Vielleicht wußte damals der Justizminister selbst noch nichts von dem
Schutz- und Trutzbündniß des 23. August 1866, das bis zum März 1867
ein wohlbewahrtes Geheimniß des König Karl und des Minister Varnbüler
blieb. Vielleicht hoffte man damals noch am Nesenbach, der norddeutsche
Bund werde ebenfalls einen Ausgang nehmen, wie das Hornberger Schießen
und die Erfurter Union. Berechtigte ja doch die Haltung, welche der äußerste
Flügel der liberalen Partei in Preußen selbst annahm, die süddeutschen Par-
ticularisten zu den angenehmsten Hoffnungen.

Allein sie täuschten sich. Die Verfassung des norddeutschen Bundes
kam zu Stande. Der Reichstag sanctionirte diese Verfassung und sie errang
im Sturme die Zustimmung der einzelnen Regierungen und der Particular-
Landtage. Sie erwies sich als ebenso dauerhaft, wie entwicklungsfähig. Die
Schutz- und Trutzbündnisse wurden bekannt. Die Zollvereinsverträge wurden
reformirt und erneuert. Das luxemburger Gewitter verzog sich. Die Feinde
Preußens waren abermals um eine Reihe von Hoffnungen ärmer.

Der Chef des würtembergischen Justizdepartements war zwischenzeitig
immer mehr von seiner großdeutschen Richtung zurückgekommen, sodaß er
nicht mehr das volle Vertrauen der Klerikalen genoß. Herr Mittnacht ist
weder Phantast noch Fanatiker, sondern ein kluger, kalter, wohl berechnender
Realist, der namentlich seine Person und seine Stellung nie aus den Augen


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[0067] Nach den Ereignissen vom letzten und vorletzten October d. I. hätte Jedermann, der unsere Zustände nicht kennt, glauben sollen, bei uns sei nun die Einheitsbewegung im besten Zuge. Welch' ein Irrthum! Unser gouver- nementaler Pendel hatte blos seine Schwingung nach links erschöpft. Daraus folgt bei uns natürlich nichts, als daß er nun wieder zurückgeht und nach rechts schwingt. „^ever lor ever" tickt die alte englische Standuhr. „Nimmer für immer" ist auch bei uns die Parole. Es waren keine sechs Wochen nach dem letzten October verflossen, da wehte der Wind wieder aus dem schwarzgelben Loche. Den Beginn machte der Chef des Justizdepartements Staatsrath Mitt¬ nacht. Er gehörte bis tief in das Jahr 1867 hinein zu den entschiedensten Großdeutschen. Trotzdem war er noch nach dem Tage des Schutz- und Trutz¬ bündnisses, nach dem 13. August 1866, auf Antrag Varnbülers zum Justiz¬ minister ernannt worden. Als Abgeordneter, was er damals war und jetzt noch ist, setzte er an der Spitze der gouvernementalen Mittelpartei seine gro߬ deutsche Politik mit Entschiedenheit fort und zeigte namentlich gegen die deutsch-nationale Partei eine solche Feindseligkeit, daß die letztere, obgleich in ihren Reihen die anerkanntesten Kapacitäten sitzen, bei den damaligen Ausschußwahlen auch nicht ein Mitglied durchsetzen konnte und sich daher von allen Commissionsarbeiten ausgeschlossen sah. Vielleicht wußte damals der Justizminister selbst noch nichts von dem Schutz- und Trutzbündniß des 23. August 1866, das bis zum März 1867 ein wohlbewahrtes Geheimniß des König Karl und des Minister Varnbüler blieb. Vielleicht hoffte man damals noch am Nesenbach, der norddeutsche Bund werde ebenfalls einen Ausgang nehmen, wie das Hornberger Schießen und die Erfurter Union. Berechtigte ja doch die Haltung, welche der äußerste Flügel der liberalen Partei in Preußen selbst annahm, die süddeutschen Par- ticularisten zu den angenehmsten Hoffnungen. Allein sie täuschten sich. Die Verfassung des norddeutschen Bundes kam zu Stande. Der Reichstag sanctionirte diese Verfassung und sie errang im Sturme die Zustimmung der einzelnen Regierungen und der Particular- Landtage. Sie erwies sich als ebenso dauerhaft, wie entwicklungsfähig. Die Schutz- und Trutzbündnisse wurden bekannt. Die Zollvereinsverträge wurden reformirt und erneuert. Das luxemburger Gewitter verzog sich. Die Feinde Preußens waren abermals um eine Reihe von Hoffnungen ärmer. Der Chef des würtembergischen Justizdepartements war zwischenzeitig immer mehr von seiner großdeutschen Richtung zurückgekommen, sodaß er nicht mehr das volle Vertrauen der Klerikalen genoß. Herr Mittnacht ist weder Phantast noch Fanatiker, sondern ein kluger, kalter, wohl berechnender Realist, der namentlich seine Person und seine Stellung nie aus den Augen 8'

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_117005/67>, abgerufen am 05.02.2025.